Polen: Festgenommene PiS-Abgeordnete treten in Hungerstreik
11. Januar 2024Polens verurteilter Ex-Innenminister Mariusz Kaminski von der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) ist in den Hungerstreik getreten. Seine Verurteilung sei ein Akt politischer Rache, weil er während seiner Amtszeit als Chef der Antikorruptionsbehörde gegen Korruption vorgegangen sei, schrieb er in einem Brief an das Justizministerium. Er betrachte sich selbst als politischen Gefangenen. Auch sein ehemaliger Stellvertreter und Mithäftling, Maciej Wasik soll nach Angaben seiner Ehefrau inzwischen in den Hungerstreik getreten sein.
Nach Informationen des privaten Fernsehsenders TVN wurden beide am Donnerstag (11.01.2024) von der Untersuchungshaftanstalt in Warschau in zwei unterschiedliche Gefängnisse verlegt. Die polnische Regierung wies die Anschuldigungen der beiden Politiker zurück. Die stellvertretende Justizministerin Maria Ejchart sagte, es sei eine Übertreibung sie als politische Gefangene zu betrachten. Wenn ein Politiker ins Gefängnis komme, sei er dadurch nicht automatisch ein politischer Häftling.
Die Opposition hat für Donnerstag Nachmittag Proteste angekündigt. Vor ihrer Festnahme hatten Kaminski und Wasik "alle anständigen und normalen" Polen aufgerufen, am Donnerstag an einer Demonstration vor dem Parlament teilzunehmen. Sie sollte ursprünglich den Veränderungen in den öffentlichen Medien gelten. Jetzt wird wahrscheinlich die Freilassung der beiden verhafteten PiS-Politiker im Vordergrund stehen.
Der tiefe Fall der beiden mächtigen Politiker
Bis vor Kurzem hatten Kaminski und Wasik zu den mächtigsten Menschen in Polen gehört. Als Innenminister in der nationalkonservativen Regierung von Mateusz Morawiecki(2017-2023) war Kaminski Herr über die Polizei und Geheimdienste. Sein Stellvertreter Wasik fungierte im Ministerium als seine rechte Hand. Seit dem Machtwechsel im Dezember 2023 saßen beide Politiker für die jetzt größte Oppositionsfraktion PiS im Parlament.
Am Dienstagabend waren sie von ihren früheren Untergebenen, die seit einem Monat andere Vorgesetzte haben, im Präsidentenpalast in Warschau festgenommen und ins Gefängnis gebracht worden. Sie seien in Handschellen abgeführt worden, berichtete die Onlineplattform Onet.
Ein Gericht hatte zuvor die Verhaftung von Kaminski und Wasik angeordnet, nachdem sie im Dezember 2023 zu je zwei Jahren Haft verurteilt worden waren - wegen Überschreitung ihrer Kompetenzen im Jahr 2007. Damals leiteten sie die Antikorruptionsbehörde CBA und hatten sich laut Gericht des Amtsmissbrauchs schuldig gemacht.
Festnahme im Präsidentenpalast
"Das ist das symbolische Ende der Rechtlosigkeit der PiS. Es gibt keine heiligen Kühe mehr", sagte der liberale Abgeordnete Dariusz Jonski. Ganz anders sehen das die Mitglieder und Anhänger der früheren Regierungspartei PiS. Vor der Haftanstalt im Stadtteil Grochow versammelten sich in der Nacht zum Mittwoch mehrere PiS-Abgeordnete. Die Verhaftung sei eine "Rache" und ein "unerhörter Skandal", sagte der PiS-VorsitzendeJaroslaw Kaczynski. Er wiederholte seine Vorwürfe gegen die neue Regierung, die "von außen gesteuert" sei und das Ziel verfolge, den "polnischen Staat zu vernichten".
Ein erster Versuch, den Befehl auszuführen, war am Dienstagvormittag (09.01.2024) gescheitert. Als die Polizisten vor dem Wohnsitz der Politiker erschienen, waren die Gesuchten bereits auf dem Weg zum Treffen mit Polens Präsident Andrzej Duda. Das Staatsoberhaupt, das aus dem gleichen politischen Lager wie sie kommt und aus seiner Nähe zur PiS nie einen Hehl gemacht hat, lud Kaminski und Wasik zu einer Veranstaltung in seinen Amtssitz ein. Demonstrativ ernannte Duda zwei ihrer engsten Mitarbeiter zu seinen Beratern und lobte deren Patriotismus. Ein auf der Internetseite des Präsidenten veröffentlichtes Foto zeigt die Teilnehmer in bester Laune.
Nach dem Termin trafen sich Kaminski und Wasik auf dem Palast-Gelände mit Journalisten und gaben eine Erklärung ab. In Polen entstehe eine "dunkle Diktatur", sagte Kaminski und sprach von einer "ernsten Staatskrise". Laut Wasik bewegt sich Polen in die Richtung eines "totalitären Staates". "Gerechtigkeit wird siegen, das Böse verliert", riefen sie und kehrten in den Palast zurück. Als Duda seinen Amtssitz kurz verließ, um an einem Treffen außerhalb der Residenz teilzunehmen, griffen die Polizisten am Dienstagabend durch und nahmen die beiden Verurteilten fest.
Duda will sich an Staatschefs in der Welt wenden
"Ich bin persönlich tief erschüttert", sagte Duda am Mittwoch (10.01.2023) in einer ersten Stellungnahme. Er bezeichnete Kaminski und Wasik als "kristall-aufrechte" Menschen, die gegen Korruption gekämpft hätten. "Ich werde nicht ruhen, solange Minister Kaminski und seine Mitarbeiter nicht wieder zu freien Menschen werden", versicherte Polens Präsident. Angesichts der angekündigten Proteste appellierte er an die Landsleute, Ruhe zu bewahren und friedlich zu demonstrieren. Seine Kanzleichefin Grazyna Ignaczak-Bandych hatte zuvor auf X (früher Twitter) bekannt gegeben, dass der Präsident die Staatschefs der Welt darüber informieren werde, dass die Exekutive das polnische Recht und die Verfassung breche.
Regierungschef Donald Tusk reagierte auf Dudas Versuch, den Gesuchten in seinem Amtssitz Asyl zu gewähren, mit einem Zitat aus dem Strafgesetzbuch. "Wer Strafverfahren erschwert bzw. vereitelt, indem er einem Straftäter hilft, sich der Verantwortung zu entziehen, besonders wer den Täter versteckt (…), unterliegt einer Freiheitsstrafe von drei Monaten bis maximal fünf Jahre", las der Premier vor. Er wolle die politische Auseinandersetzung nicht anheizen, sondern nur dem Präsidenten bewusst machen, in was er sich verwickeln lasse, versicherte Tusk.
Provokation statt Verfolgung der Korruption
Doch Duda blieb in dieser Sache - nach seiner Ansicht - nur konsequent. Denn die aktuelle Situation ist die Folge einer langen und komplizierten Justizgeschichte. Kaminski und Wasik waren bereits im März 2015 in erster Instanz verurteilt worden - damals zu je drei Jahren Freiheitsstrafe. Der Präsident hatte seine Parteikollegen aber sofort nach seiner Amtsübernahme Ende 2015 begnadigt - bevor das Urteil rechtskräftig wurde. Damit ermöglichte er es ihnen, Ministerposten in der damals neuen PiS-Regierung zu übernehmen. Das Oberste Gericht befand die Begnadigung im Juni 2022 als rechtswidrig und ordnete eine Neuaufnahme des Prozesses in zweiter Instanz an. Im Dezember 2023 wurde dann ein rechtskräftiges Urteil gesprochen.
Die zu zwei Jahren Haft Verurteilten verloren auch ihre Parlamentsmandate - eine Entscheidung, die sie nicht akzeptierten. "Nur mit physischer Gewalt kann man mich von der Teilnahme an der Sejm-Sitzung abbringen", sagte Kaminski in einem Rundfunk-Interview am Montag (08.01.2024). Um mögliche Zwischenfälle im Parlament zu vermeiden, verschob Sejm-Chef Szymon Holownia die Sitzung von diesem Mittwoch (10.01.2024) auf die kommende Woche.
Protest vor dem Parlament geplant
Dabei liegt ein einfacher Ausweg aus der Krise auf der Hand: Duda müsste nur Kaminski und Wasik nochmals begnadigen, diesmal zu Recht, weil das Verfahren beendet und das Urteil rechtskräftig ist. Das Staatsoberhaupt will das nicht tun, weil er damit zugeben würde, dass seine erste Begnadigung fehlerhaft war.
Der von der PiS während ihrer Regierungszeit mit Hilfe des Präsidenten forcierte Justiz-Umbau hat praktisch zur Doppelherrschaft und zum Chaos geführt. Das nationalkonservative Lager um Kaczynski erkennt nur solche Gerichtsurteile an, die für PiS von Vorteil sind. Die Richter, die im Rahmen der Reform neu berufen wurden, werden wiederum in der Europäischen Union nicht akzeptiert.
"Der Präsident geht aufs Ganze. Er spielt das gefährlichste Spiel seines Lebens. (…) Die Kriegsfraktion hat gewonnen", kommentiert der Chefredakteur der Tageszeitung "Rzeczpospolita" am Mittwoch. Und seine Redaktionskollegin Zusanna Dabrowska nennt Kaminski und Wasik "lebendige Torpedos" im Kampf der nationalkonservativen Opposition gegen die Mitte-Links-Regierung von Tusk.