Showdown in Polen: Tusk gegen Kaczynski
11. Oktober 2023Donald Tusk und Jaroslaw Kaczynski - zwei Politiker, die heute alles trennt und nichts verbindet. Bei nur acht Jahren Altersunterschied wirken sie, als ob sie zwei verschiedenen Generationen angehörten und aus zwei verschiedenen Welten kämen.
Der 66-jährige Oppositionsführer Tusk trägt weißes Hemd ohne Krawatte mit einem Anstecker in Form eines weiß-roten Herzens. Bei seinen Wahlveranstaltungen wirkt der Vorsitzende der liberal-konservativen Bürgerplattform (PO) jugendlich und dynamisch. Er spricht frei und scheut keine Polemik. Seine Kundgebungen sind für alle offen, auch für seine politischen Gegner, die oft unbequeme Fragen stellen.
Der 74-jährige Kaczynski, Chef der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), ist sein Gegenteil. Seine Veranstaltungen werden durch hunderte Polizisten von der Außenwelt abgeriegelt und sind nur für ausgewählte Funktionäre und Parteianhänger zugänglich. Im altmodischen schwarzen Anzug und mit Krawatte betet Kaczynski nuschelnd seine Reden herunter, die hauptsächlich aus Warnungen vor Tusk und aus Attacken auf die bösen Deutschen bestehen. Und wenn er dabei einen Witz bemüht, müssen meistens die Organisatoren ein Zeichen geben, damit das Publikum zu lachen beginnt. Fragen, wenn überhaupt, werden vorher vorbereitet und vom Zettel abgelesen.
Tusk und Kaczynski: Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Mehrmals rief Tusk seinen Gegenspieler zu einer Fernsehdebatte auf, stieß dabei jedoch auf taube Ohren. Als der Staatssender TVP am Montag endlich eine Debatte zwischen den Spitzenpolitikern der Parteien organisierte, ließ Kaczynski sich von Ministerpräsident Mateusz Morawiecki vertreten. Er selbst zog eine Wahlkundgebung in der Provinz vor. "Feigling", kommentierte Tusk die Flucht des Gegners vor der Auseinandersetzung und dem Urteil der Öffentlichkeit. Zuletzt standen die beiden im Jahr 2007 in einem Duell vor den Fernsehkameras. Damals verlor Kaczynski kläglich.
Es ist schwer zu glauben, dass Kaczynski und Tusk in der Vergangenheit viele Gemeinsamkeiten hatten. Beide engagierten sich in der antikommunistischen Opposition - Kaczynski bereits in den 70er Jahren als Mitarbeiter des Komitees zur Verteidigung der Arbeiter (KOR), Tusk unterstützte als Student der Geschichte in Danzig von Anfang an die 1980 gegründete Gewerkschaft Solidarnosc (Solidarität).
Neue Perspektiven nach Zusammenbruch des Kommunismus
Der Zusammenbruch des Kommunismus 1989 eröffnete den beiden Regimekritikern neue Horizonte. Begeistert von liberalen Ideen gründete Tusk nach der demokratischen Wende den Liberal-Demokratischen Kongress (KLD). Eine Zeitlang gehörte seine KLD sogar zur christdemokratischen Partei Porozumienie Centrum von Jaroslaw Kaczynski, doch bald trennten sich die Wege der Beiden.
2001 hoben die Polit-Profis neue Parteien aus der Taufe, die bis heute die politische Landschaft in Polen bestimmen. Jaroslaw Kaczynski und sein Zwillingsbruder Lech gründeten die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS); Donald Tusk rief die Bürgerplattform (PO) ins Leben.
Vier Jahre später kreuzten sich ihre Wege als mögliche politische Verbündete zum letzten Mal. Nach der Parlamentswahl 2005 verhandelten beide Parteien über eine gemeinsame Regierung, doch Misstrauen und Ehrgeiz sowie Führungsambitionen verhinderten eine Koalition.
Seitdem wechseln sich die beiden Alpha-Tiere an der Macht immer wieder ab. 2005 - 2007 regierte Kaczynski, dann Tusk und seine PO. Seit 2015 dominiert wieder die PiS die polnische Politik.
Kaczynski gibt Tusk Schuld am Tod seines Bruders
Der politische Wettstreit, der ein legitimer Bestandteil der Demokratie ist, hat sich inzwischen in persönlich gefärbte gegenseitige Abneigung verwandelt, die manchmal in Hass ausufert. Der Tod von Präsident Lech Kaczynski bei einem Flugzeugabsturz in Russland 2010 vertiefte die Feindschaft. "Ihr habt mir meinen Bruder ermordet", rief der überlebende Zwilling einmal an die Adresse von Oppositionsführer Tusk.
Kaczynski glaubt fest an einen russischen Anschlag und gibt Tusk die Mitschuld daran. Der war damals als Regierungschef allein zu dem 70-jährigen Gedenken an das Massaker von Katyn in Smolensk gereist. Damit habe er es Russland ermöglicht, einen Anschlag auf das Flugzeug des Präsidenten zu verüben, der mit einer großen Delegation drei Tage später in einer eigenen Maschine unterwegs war. Für diese Anschuldigung gibt es jedoch keinerlei Beweise. Das Flugzeug war im dichten Nebel abgestürzt.
Antideutsche Stimmung
Doch der Hass und die Feindschaft saßen tief. Als Tusk sich 2017 um die Wiederwahl als Vorsitzender des Europäischen Rates bemühte, setzte Kaczynski alle Hebel in Bewegung, um das zu verhindern - vergeblich.
Der PiS-Chef wirft Tusk vor, nicht polnische, sondern deutsche Interessen zu vertreten. Dem Nachbarstaat unterstellt er böse Absichten gegenüber Polen. Möglicherweise hat er inzwischen vergessen, dass er selbst Anfang der 1990er Jahre um die Gunst der CDU gebuhlt hatte. Dass Bundeskanzler Helmut Kohl damals Tusks Partei als Partner seiner Christlich-Demokratischen Union (CDU) wählte, empfand der ehrgeizige Politiker als eine Schmach, die er lange nicht verkraften konnte.
Das Verhältnis zu Deutschland ist nicht das einzige Streitthema. Tusk ist ein begeisterter Europäer. Kaczynski lehnt eine starke Europäische Union ab, weil er in Brüssel ein deutsches Instrument zur Beherrschung Europas sieht. Stattdessen plädiert er für ein "Europa der Vaterländer" - für eine Rückkehr zu den Ideen von Konrad Adenauer und Alcide de Gasperi, den Gründervätern der Europäischen Gemeinschaft.
"Emeritierter Erlöser der Nation"
"Jaroslaw (Kaczynski) ist nur an der reinen Macht interessiert", zitiert der Journalist Kamil Dziubka einen PiS-Parlamentarier. "Er ist ein emotionaler Psychopath. Er kümmert sich kaum um seine finanzielle Lage. Er überlegt nicht, was er zu Mittag isst, weil seine Nahrung die Politik ist."
Ganz anders fällt das Urteil über Tusk aus. "Donald Merkel" nannte ihn der Publizist Wawrzyniec Smoczynski von der Wochenzeitung "Polityka" im Jahr 2007, als er gerade die Macht übernommen hatte. Er wollte damit unterstreichen, dass Tusk Merkels Methode der kleinen Schritte und des vorsichtigen Navigierens kopiere. Er wolle dafür sorgen "dass es in der Leitung warmes Wasser gibt", beschrieb Tusk selbst damals seinen Regierungsstil, den er bis heute verteidigt. Doch die Frage ist, ob das ausreicht in einem Europa, das sich nach dem russischen Angriff auf die Ukraine grundlegend verändert hat.
In diesem Jahr kämpfen die beiden Rivalen um alles oder nichts. Der Einsatz ist sehr hoch. Wenn Tusk die Wahl am 15.10.2023 verliert, wird er wahrscheinlich von der Bühne abtreten, um Jüngeren Platz zu machen. Auch Kaczynskis Karriere kann im Falle einer Niederlage am 15. Oktober ein Ende nehmen. Ob die PiS ohne ihn weiter bestehen kann, ist offen. "Ich möchte als emeritierter Erlöser der Nation in die Geschichte eingehen", hatte Kaczynski 1994 in einem Interview gesagt. Kann sein, dass er diesem Ziel näher ist, als ihm das lieb sein kann.