Polens Außenpolitik: Präsident und Premier auf einer Linie
11. März 2024Polens Staatspräsident Andrzej Duda und der Regierungschef Donald Tusk stehen seit langem auf Kriegsfuß miteinander. Kein Wunder: Die Kohabitation zwischen dem Premier der Mitte-Links-Koalition und dem nationalkonservativen Staatsoberhaupt, der aus seiner Nähe zur im Oktober abgewählten PiS-Regierung keinen Hehl macht, entwickelt sich äußerst schwierig.
Doch in der Frage der Sicherheit des mitteleuropäischen Landes sprechen beide Spitzenpolitiker mit einer Stimme. Die USA gelten als der wichtigste Garant der Sicherheit Polens. Derzeit ist das Ziel der Führung in Warschau die Stärkung der Ostflanke der NATO, die durch Russlands Krieg gegen die Ukraine bedroht ist.
Unter diesem Vorzeichen reisen Duda und Tusk nun nach Washington, wo sie am Dienstag (12.03.2024) von US-Präsident Joe Biden gemeinsam empfangen werden. Duda hat am Abreisetag (11.03.2024) - und zwar ausdrücklich, um die Einigkeit in der Frage der Sicherheitspolitik zu demonstrieren - den Rat der Nationalen Sicherheit (RBN) einberufen. Dem Beratungsgremium des Präsidenten gehören neben dem Premier unter anderem auch die Vorsitzenden der beiden Parlamentskammern und mehrere Minister der Schlüsselressorts an.
NATO-Erweiterung vor 25 Jahren
Die Einladung ins Weiße Haus sei eine "große und sehr bedeutende Geste" für Polen, sagte Duda am Montag bei der Eröffnung der RBN-Sitzung. "In den Fragen der Sicherheit sind wir uns in Polen einig. Diese Botschaft geht in die Welt", betonte das Staatsoberhaupt. Die Vereinigten Staaten seien seit dem Fall des Eisernen Vorhangs ein "Fundament der strategischen Sicherheit". Er wolle beim Treffen mit Biden dafür plädieren, dass der empfohlene Mindestwert für Verteidigungsausgaben in den NATO-Staaten nicht zwei, sondern drei Prozent des BIP betragen werde, so Duda. Polen gibt für seine Streitkräfte mehr als vier Prozent aus.
Der Zeitpunkt der Reise ist nicht zufällig gewählt. Genau vor 25 Jahren trat Polen zusammen mit Tschechien und Ungarn der NATO bei. Es war der Beginn der euroatlantischen Erweiterungspolitik in Nord-, Mittel- und Südosteuropa. Nach fünf Jahrzehnten sowjetischer Dominanz im Ostblock und nach Einmärschen in Ungarn (1956) und der Tschechoslowakei (1968) trug das einem tiefen Sicherheitsbedürfnis in der Region Rechnung. Besonders auch in Polen, das in seiner Geschichte von seinen Nachbarn vielfach zer- oder aufgeteilt wurde.
Doch auch die USA wollen mit dem Termin am Dienstag ihre Wertschätzung für Polen ausdrücken: Es sei eine gute Gelegenheit, um "unsere Dankbarkeit zu zeigen für all das, was Polen nicht nur als exzellenter Verbündeter in der NATO, sondern auch als Unterstützer der Ukraine getan" habe, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats der USA, John Kirby, nach der Verkündigung des Termins Mitte Februar.
Washington erzwingt die Eintracht
Dass die beiden wichtigsten Amtsträger eines Landes vom US-Präsidenten gleichzeitig empfangen werden, ist eher ungewöhnlich. "Die Amerikaner wissen, dass es in der polnischen Außenpolitik die Doppelherrschaft gibt", sagte Bohdan Szklarski, USA-Experte an der Warschauer Universität, der Gazeta Wyborcza. Mit dieser Doppeleinladung wolle Washington verhindern, dass die fundamentalen Fragen der Sicherheit in den Strudel der innenpolitischen Auseinandersetzungen geraten.
Polen gilt als zuverlässiger Bündnispartner. Der Flughafen Jasionka bei Rzeszow im Südosten Polens fungiert als wichtigstes Drehkreuz für die Unterstützung der Ukraine. In Polen sind derzeit 10.000 US-Soldaten stationiert. Und die US-Militärinfrastruktur vor Ort wird systematisch ausgebaut.
Die US-Präsenz erfreut sich breiter politischer Unterstützung seitens aller wichtigen politischen Kräfte und wird auch von der Bevölkerung akzeptiert. Die Sympathiewerte für US-Amerikaner erreichen in Umfragen 70 Prozent und mehr.
Kein Treffen Duda-Trump
Wegen seiner konsequenten Haltung in der Ukraine-Frage kann Biden mit breiter Zustimmung der Polen rechnen. Als die Republikaner Anfang Februar das Hilfspaket für Kiew ablehnten, reagierte Tusk mit einer forschen Bemerkung auf X: "Liebe republikanische Senatoren von Amerika. Ronald Reagan, der Millionen von uns geholfen hat, unsere Freiheit und Unabhängigkeit zurückzugewinnen, wird sich heute im Grab umdrehen. Schande über Sie."
Staatspräsident Duda, der Donald Trump für seinen Wunschkandidaten hält, konterte daraufhin, ebenfalls auf X: "Das Bündnis Polen-USA muss stark sein, unabhängig davon, wer aktuell die Macht in Polen und den USA ausübt. Eine Beleidigung der Hälfte der amerikanischen Politszene dient weder unseren Wirtschaftsinteressen noch der Sicherheit Polens", schrieb er. Anders als Viktor Orban wird er aber Trump diesmal nicht treffen.
Polnischstämmige Wähler wichtig für Biden
Die sicherheitspolitischen Interessen dürfen allerdings nicht der einzige Grund für die Einladung ins Weiße Haus sein. In den USA leben zwischen neun und zehn Millionen Polnischstämmige - ein nicht zu unterschätzendes Stimmenpotenzial für den Wahlkämpfer Biden. Bei Handelsumsätzen bleiben die USA zwar weit hinter Deutschland und anderen europäischen Partnern zurück, aber die polnisch-amerikanischen Wirtschaftsbeziehungen gewinnen seit Jahren an Bedeutung.
Vor allem als Abnehmer amerikanischer Waffen steigt Polens Bedeutung für die US-Rüstungsindustrie. Im Februar genehmigte das US State Department den Verkauf eines ASRR-Luftraum- und Bodenüberwachungssystems für 1,2 Milliarden Dollar. Auf der Liste der polnischen Ankäufe und Bestellungen stehen unter anderem das Luftabwehrsystem Patriot (15 Milliarden Dollar), 96 hochmoderne Hubschrauber AH-64E "Apache" (zwölf Milliarden Dollar), Himars-Raketenwerfer (zehn Milliarden Dollar) und Abrams Kampfpanzer (sechs Milliarden Dollar).
Nicht weniger wichtig sind die US-amerikanischen Investitionen infolge des polnischen Einstiegs in die Atomindustrie. Die Tusk-Regierung ist fest entschlossen, den von der Vorgängerregierung eingeleiteten Bau von Atomkraftwerken fortzusetzen. Den ersten Schritt dazu hatte Staatspräsident Duda im Juni 2020 bei einem Besuch in Washington getan. Vier Monate später unterzeichnete der US-Staatssekretär für Energie, Dan Brouillette, in Warschau ein Abkommen über die amerikanisch-polnische Entwicklung der Atomenergie.
"Waffenstillstand" nicht von Dauer
Wie die liberale Zeitung Gazeta Wyborcza in der vergangenen Woche berichtete, wird der polnische Premier Tusk bei seinem jetzigen Besuch in Washington wahrscheinlich versuchen, bessere Bedingungen, unter anderem finanzielle Garantien der amerikanischen Regierung, auszuhandeln. Staatspräsident Duda bleibt einen Tag länger in den USA und wird am Mittwoch ein Atomkraftwerk im Bundesstaat Georgia besuchen.
Insgesamt ist zu vermuten, dass der "Waffenstillstand" zwischen Duda und Tusk nicht von langer Dauer sein wird. Der nationalkonservative Präsident blockiert die Arbeit der neuen Regierung, wo er nur kann. Bei fast allen Vorhaben, ob Liberalisierung des Abtreibungsrechts oder Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit, hängt Dudas präsidiales Veto über der Regierung wie ein Damoklesschwert. Die schwierige Kohabitation wird wohl mindestens bis zur Präsidentschaftswahl im Sommer 2025 bestehen.