Polens Justiz in der Hand der Regierung
14. Juli 2017Für die Abstimmung über ihre zentralen Gesetzesvorhaben hat sich Polens rechtspopulistische Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) schon immer wenig beachtete Randzeiten ausgesucht. So wurde die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts gleich nach der Machtübernahme zum Jahreswechsel 2015/16 stark eingeschränkt. Jetzt hat die Regierung die Sommerferien gewählt, um der polnischen Justiz weitere Beschränkungen aufzuerlegen. Nach wochenlangen Verzögerungen, die von Optimisten schon als Einlenken gegenüber der EU gedeutet wurden, brachte die Regierungspartei PiS nun die Gerichtsreform überraschend am Mittwoch ins Parlament.
Dem Sejm, der Großen Kammer, reichten wenige Stunden, um die von PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski und dem jungen Justizminister Zbigniew Ziobro gewünschte Unterwerfung der Gerichte unter die Regierung ohne Einschränkungen zu beschließen. Im Eiltempo gelangte die Vorlage in der Nacht zum Freitag in die zweite Parlamentskammer, den Senat. Auch dort verfügt Kaczynskis PiS über die absolute Mehrheit.
Nächtliche Bürgerproteste
Doch der Protest gegen die Reform formiert sich. Zwei Dutzend Bürgeraktivisten der beiden Gruppen "Komitee zur Verteidigung der Demokratie" (KOR) und "Bürger der Republik Polen" haben sich in der Nacht Zugang zum Senatsgebäude verschafft. Obwohl einige von ihnen von den wenigen verbliebenen Senatoren der liberalen Bürgerplattform (PO) eingeladen worden waren, wurden sie sofort gewaltsam aus dem Gebäude gedrängt. Am Freitagmorgen zogen Polizeikräfte zusätzliche Metallgitter rund um das Parlamentsgebäude hoch. Allgemein wird damit gerechnet, dass auch der Senat Kaczynskis Gesetzeswünsche durchwinkt.
Die beiden Vorlagen haben laut der Opposition zum Ziel, nach dem Verfassungsgericht nun auch die restliche Justiz dem Willen der PiS zu unterwerfen. Die Regierung stellt dies in Abrede und begründet die Vorlagen mit zu lange heraus gezögerten Reformen, die den einfachen Bürgern den Zugang zur Gerechtigkeit erleichtern sollen.
Nur noch regierungsfreundliche Urteile?
Bei der ersten Gesetzesnovelle geht es darum, den bisher mächtigen Landesjustizrat (KRS) unter die Kontrolle des Parlaments zu stellen. Zukünftig sollen dessen Mitglieder zur Hälfte vom Sejm und zur Hälfte von vom Sejm dafür delegierten Richtern bestimmt werden. Da die PiS über die absolute Mehrheit in beiden Parlamentskammern verfügt, befürchtet die Opposition eine Rückkehr zum keineswegs unabhängigen Gerichtswesen vor der Wende.
Die zweite Gesetzesnovelle erlaubt es dem Justizminister, die bisher vom Richterkolleg in Eigenregie bestimmten Gerichtspräsidenten selbst zu bestimmen – und auch jederzeit wieder abzusetzen. Die bisherigen Gerichtspräsidenten verlieren demnach ihren Posten, sobald das Gesetz in Kraft tritt. Der umstrittene Justizminister Ziobro kann demnach mehrere Tausend Gerichtspräsidien mit eigenen Gefolgsleuten besetzen.
Rechtsexperten fürchten, dass diese neuen Vollmachten für das Justizministerium dafür sorgen könnten, dass Richter in Zukunft politisch genehme Urteile fällen werden. Unabhängige und unbequeme Richter könnten von den neuen Gerichtspräsidenten in Sorge um ihre Leitungsfunktion und damit verbundene Aufstiegschancen behindert oder gar in den Ruhestand versetzt werden.
Angriff auf das Oberste Gericht
Eine dritte, noch anhängige Gesetzesnovelle der PiS knüpft sich das Oberste Gericht vor. Dessen Vorsitzende, Malgorzata Gersdorf, gilt der Opposition als letzte große Hürde auf dem Weg der völligen Unterwerfung der Justiz unter den Willen der Regierungspartei. Unter dem Vorwand einer nötigen Neuorganisation des Obersten Gerichte, das neue Abteilungen brauche, wird die Amtszeit von dessen Leitung in der Gesetzesnovelle genauso wie jene sämtlicher Richter der Institution beendet - es sei denn, sie werden nach Inkrafttreten des Gesetzes vom Justizminister neu bestätigt. Außerdem erhält das Justizministerium künftig das Recht, sämtliche hohen Richter in Eigenregie zu bestimmen. Gersdorf hatte bisher immer betont, die Unabhängigkeit des Obersten Gerichts verteidigen zu wollen. "Ich rechne nicht damit, meine Amtszeit regulär beenden zu können", sagte Polens Oberste Richterin jedoch am Donnerstagabend.
Hintergrund der drei Gesetzesnovellen der Regierung ist die Überzeugung des autoritär auftretenden PiS-Gründers Kaczynski, ein ausgebildeter Jurist, dass das polnische Gerichtswesen immer noch von Seilschaften der einstigen kommunistischen Herrschaft durchwoben sei. In der Tat gehören die Richter zu den wenigen systemtragenden Berufsgruppen, die nach 1989 nie durchgehend auf ihre Vergangenheit überprüft wurden. Zwar schließt das Lustrationsgesetz von 1997 auch die Richter ein, doch müssen sich diese selbst der richterlichen Immunität entziehen, was die wenigsten getan haben. Damit war die Säuberung der Gerichte nach 1989 eine Fiktion.
Ein folgsamer Präsident
Verschiedene Justizskandale sowie die zumeist sehr langsamen Mühlen der Justiz haben das Vertrauen der Polen in die Richter über die Jahre hinweg untergraben. Dazu kommt eine populistische Breitseite der regierungsfreundlichen Medien, in denen die Richter als Kaste von Unantastbaren dargestellt werden. Die liberale Opposition ist in dieser Lesart nur ein Helfershelfer der Kommunisten, die sich auch 28 Jahre nach der Wende noch immer an den Schalthebeln der Macht festklammern.
Das rabiate Vorgehen Ziobros und Kaczynskis kurz vor der Sommerpause des Parlaments hat nun aber sogar eingefleischte PiS-Anhänger offenbar schockiert. So forderte der rechte Publizist Rafal Ziemkiewicz am Freitag über Twitter Staatspräsident Andrzej Duda (PiS) dazu auf, sein Veto einzulegen und beide Parlamentskammern damit zu Nachbearbeitungen zu zwingen. Duda indes hat bisher fast jedes von Kaczynski gewünschte Gesetz unterzeichnet und damit in Kraft gesetzt.