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Politik und Karneval

Wolfgang Dick12. Februar 2013

Schon vor 200 Jahren machten sich die Karnevalisten über die Mächtigen lustig. Napoleon wurde es zu bunt und verbot das närrische Treiben kurzerhand. Heute müssen die Karnevalsvereine gegen andere Widerstände kämpfen.

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Ein Mottowagen, der den iranischen Präsidenten Ahmadinedschad und die Atompolitik seines Landes darstellt, fährt beim Rosenmontagszug 2012 in Düsseldorf (Foto: Roland Weihrauch dpa/lnw)
Bild: picture alliance / dpa

In diesem Jahr ernährt Bundeskanzlerin Angela Merkel im Kölner Rosenmontagsumzug als "Muttersau" ganz viele kleine Ferkel, die auf ihrem Rücken die Flaggen Not leidender EU-Staaten tragen. Der Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich sitzt auf einer Toilette, in der eine Bombe von Neonazis explodiert. Dazu heißt es derb: "Arsch hoch!" Genauso nennt sich nämlich eine Initiative von Rockmusikern gegen rechten Terror. Auch unabhängig von Personen wird Politik kritisiert. Die Nobelpreis-Friedenstaube für die Europäische Union sitzt auf Kisten mit Waffen, die zum Export bestimmt sind. Und eine Schweizer Kuh frisst Euros aus Deutschland und scheidet CDs von Schweizer Banken mit Daten von deutschen Steuerhinterziehern aus ihrem Hintern.

Sie sind die Höhepunkte in den Karnevalzentren Köln, Düsseldorf und Mainz: die Straßenumzüge mit den sogenannten Motivwagen. Wochenlang werden in aufwendiger Handarbeit aus Papier und Draht Figuren gebaut, die aktuelle Politiker in oft grotesken Situationen zeigen.

Angela Merkel schwenkt 2003 die US-amerikanische Fahnen aus dem Hinterteil von 'Uncle Sam' , während des traditionellen Rosenmontagsumzugs in Duesseldorf (AP Photo/Frank Augstein)
Angela Merkel muss im Karneval einiges aushaltenBild: AP

Möglichst Ärger vermeiden

Die Wagenmotive bleiben bis kurz vor den Umzügen geheim. Niemand darf vorab Fotos machen. Das soll zum einen natürlich die Neugier steigern und möglichst viele Zuschauer anlocken, denn der Straßenkarneval ist ein millionenschwerer Wirtschaftsfaktor. Zum anderen aber wollen die Organisatoren vermeiden, dass ihre Motive schon im Vorfeld in Augenschein genommen und dann juristisch beanstandet werden.

"Solche Auseinandersetzungen gibt es immer wieder" bestätigt Kay-Uwe Schreiber, der als Vorstandsmitglied des "Mainzer Carnevalsvereins" den Straßenumzug organisiert. Rechtsanwälte hätten schon mehrfach in der Wagenhalle gestanden und rechtliche Zwangsmaßnahmen zur Veränderung der Motive angedroht. Tatsächlich unternommen wurde aber bisher nichts. Großen Ärger machte den Düsseldorfer Narren allerdings der ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl.

Sie wollten den Kanzler zu Karneval 2000 wegen seiner Parteispendenaffäre als Bewohner einer "Bananenrepublik", in der Figur eines halb nackten Urwaldindianers zeigen. Vor den sehr kurz geratenen Bastrock und die heikle Stelle eines kleinen Penis positionierten die Wagenbauer einfach einen Topf mit einer Palme, um die Kritik abzuschwächen. Als die nach wenigen Metern Fahrt umkippte, stürzten sich die Fotografen auf das Motiv. Der Eklat war perfekt. Riesenärger gab es auch 2009 um die Darstellung einer Nonne hinter einem so genannten "Nacktscanner", die an Flughäfen einführt werden sollten, um Sprengstoffe besser erkennen zu können. Die Nonne, die die Karnevalisten zeigten, stand in Strapsen hinter dem Scanner auf dem Karnevalswagen, um die Idee der Politiker besonders makaber erscheinen zu lassen.

Die Mainzer Hofsänger stehen auf der Bühne bei der Generalprobe für die Fernseh-Fastnachtssitzung "Mainz bleibt Mainz, wie es singt und lacht" im Kurfürstlichen Schloss in Mainz. (Foto: Uwe Anspach dpa/lrs)
Mainzer Hofsänger: Musikalische PolitkritikBild: picture-alliance/dpa

Handzahme Kritik

Politik zu kritisieren sei weiterhin Ehrensache der Karnevalisten. "Das müssen auch die Politiker aushalten", sagt der Mainzer Zugorganisator Kay-Uwe Schreiber. Aber die Themen Religion und Kirche seien inzwischen kaum noch darstellbar, weil es sofort Protest gäbe. "Große Aufreger versuchen wir zu vermeiden." Auch andere Aktive im Karneval geben sich in den Gesprächen mit der Deutschen Welle eher harmonisch.

"Wir wollen nur humorvoll Kritik üben, aber auf keinen Fall persönlich verletzen", betont Sigrid Krebs vom Festkomitee Kölner Karneval gleich mehrfach. "Wir behaupten nichts, was nicht wahr ist und beleidigen nicht", stellt Jürgen Dietz klar. Dietz tritt seit 30 Jahren bei Karnevalssitzungen in großen Sälen in der Rolle als Bote aus dem Bundestag auf und kennt die Empfindlichkeiten von Politikern. "Wenn man fair bleibt, darf man auch mal sticheln", erzählt der Karnevalist. Seine Kollegen, die "Mainzer Hofsänger" allerdings zogen sich schon mehrfach von einer Veranstaltung zurück, weil ihre politischen Vorträge von der Sitzungsleitung selbst kritisiert wurden.

Jürgen Dietz als Bote vom Bundestag (Foto: imago/Rau)
Jürgen Dietz als Bote vom BundestagBild: imago/Rau

Unheimliche Allianz

Vor allem Lokalpolitiker, Regierungs- und Ministerpräsidenten zeigen sich gerne bei den Karnevalsveranstaltungen in aufwendigen Kostümen einmal werbewirksam volksnah. Karnevalsveranstaltungen sind zu einer Bühne exklusiver Begegnungen in lockerer Atmosphäre geworden. Da wird auch schon mal ein lukrativer Handel abgeschlossen, berichten Mitglieder von Karnevalsvereinen. Aktivitäten in Traditionsvereinen sind teuer. Entsprechend tummeln sich dort viele mittelständische Unternehmer, die sich gerne mit Politikern in einem anderen Rahmen umgeben. Eine Art gegenseitige Abhängigkeit ist entstanden.Davon profitiert der Aachener Karnevalsverein. Seit den 1950er Jahren verleihen die Aachener die in Deutschland wohl renommierteste Auszeichnung der Narren, den "Orden wider des tierischen Ernsts". Menschlichkeit und Humor im Amt sollen damit gelobt werden. Unter den Preisträgern waren die bekanntesten Spitzenpolitiker: Konrad Adenauer, Helmut Schmidt oder Hans-Dietrich Genscher. "Das Interesse der Politik ist groß", weiß Organisator und Vereinspräsident Werner Pfeil. "Aber niemand drängt sich von sich aus auf", beschwichtigt Pfeil, der beruflich als Jurist arbeitet. Hinweise auf mögliche Preisträger kämen immer von dritter Stelle.

Der Präsident des Aachener Karnevalsvereins, Werner Pfeil (li.), und der Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Cem Özdemir (re.), steht am 26.01.2013 in Aachen bei der Verleihung des Ordens wider den tierischen Ernst 2013 auf der Bühne (Foto: Henning Kaiser/dpa)
Cem Özdemir (re.), Bundesvorsitzender der Grünen, erhält den Karnevalsorden "Orden wider des tierischen Ernsts" 2013Bild: picture-alliance/dpa

Frechheit siegt dennoch

Eine letzte Bastion der ursprünglich ziemlich aufmüpfigen "Jecken", wie die Karneval feiernden im Rheinland heißen, gibt es eigentlich nur noch in Köln. Seit 1983 organisiert ein Kreis von Kabarettisten die so genannte "Stunksitzung". Das Wort "Stunk" kommt vom Begriff "Gestank" und soll die besonders ätzende und streitlustige Kritik der Veranstaltung ausdrücken. Rücksicht nehmen die "Stunker" auf niemanden."Wir prügeln auf alle ein", meint Winnie Rau, einer der Verantwortlichen stolz. Während die Politik sich daran gewöhnte, hagelte es nach beißender Kritik an der katholischen Kirche und dem örtlichen Kardinal Anzeigen. "Es gab früh morgens Hausdurchsuchungen der Polizei und ein Verfahren gegen den Regisseur", erzählt Winnie Rau. Die Gerichte hätten aber keine Strafen verhängt. Es galt das Argument, die Karnevalisten hätten lediglich Gebrauch von ihrer "künstlerischen Freiheit" gemacht. Die "künstlerische Freiheit" ist nach dem deutschen Grundgesetz besonders geschützt. Beim Publikum kommen die "Stunksitzungen" sehr gut an. Alle Vorstellungen sind lange im Voraus komplett ausgebucht.

Der "Elferrat" eröffnet die alternative Karnevalssitzung "Stunksitzung" in Köln (Foto: dpa)
Kein Rücksicht - Stunksitzung im Kölner KarnevalBild: picture alliance / dpa

Damit wäre man wieder bei den Anfängen. Um das Auftreten und die Disziplin der preußischen Besatzungssoldaten im Rheinland lächerlich zu machen, trugen zu Beginn des 19. Jahrhunderts Menschen im Karneval Fantasieuniformen und über der Schulter Holzgewehre, aus deren Lauf Blumen herausragten. Das galt damals als äußerst frech.