Politische Agenda gegen den Hunger
30. Januar 2014Es ist bereits 19.20 Uhr, als Gerd Müller im Bundestag ans Rednerpult tritt, um den Abgeordneten zu erklären, was er als Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in den kommenden vier Jahren vorhat. Hinter den Parlamentariern liegt bereits ein langer Arbeitstag, die Entwicklungspolitik ist der letzte Punkt auf der Tagesordnung.
Kann man daraus auf den Stellenwert des Ressorts innerhalb der Bundesregierung schließen? Auf keinen Fall, meint Müller und erhebt die Stimme. "Entwicklungspolitik ist keine Nischenpolitik, sondern im Zentrum der Politik. Sie ist Zukunftspolitik, Friedenspolitik, Innenpolitik." Auch wenn das noch nicht alle gemerkt hätten, schiebt er ehrlicherweise nach.
Doch das will der neue Minister ändern. Dafür ist er angetreten, das ist zu spüren. Einfach wird das nicht. In den Koalitionsverhandlungen ist eine deutliche Aufstockung des Etats für Entwicklungszusammenarbeit schließlich anderen politischen Prioritäten geopfert worden. Gerd Müller kann in dieser Legislaturperiode nur zwei Milliarden Euro zusätzlich einplanen. Das wird bei weitem nicht reichen, um die Gelder für die Entwicklungszusammenarbeit auf 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen. Das ist lediglich ein Ausgleich der Inflationsrate. So wird der deutsche Beitrag bei ungefähr der Hälfte des angepeilten Werts stagnieren.
Ernährung sichern
Dabei werden die entwicklungspolitischen Herausforderungen immer größer. Vor allem die Aussichten auf eine wachsende Weltbevölkerung und die daraus resultierenden Folgen treiben Minister Müller um. Täglich wächst die Weltbevölkerung um 230.000 Menschen. 2050 werden mindestens neun Milliarden Menschen auf der Erde leben. Es könnten sogar 9,7 Milliarden werden, ganz einig sind sich die Experten da noch nicht. Sicher ist, dass sich bis zu diesem Zeitpunkt die Bevölkerung in Afrika verdoppelt haben wird.
Wie werden alle diese Menschen leben können, wie sollen sie satt werden? Schon jetzt leiden rund eine Milliarde Menschen Hunger. "Täglich sterben bis zu 30.000 Kinder, während wir auf der Sonnenseite mit Übergewicht und Fettleibigkeit kämpfen. Das ist nicht hinnehmbar", sagt der CSU-Politiker Müller. Seit seinem Geburtsjahr 1955 habe sich die Weltbevölkerung verdoppelt. Gleichzeitig habe sich der Wasserverbrauch verdreifacht, der CO2-Ausstoß vervierfacht und die Wirtschaftsleistung betrage sogar das Siebenfache des Ausgangswerts. "Würden heute alle Menschen auf dem Niveau Deutschlands leben und konsumieren, bräuchten wir drei Planeten. Denn die Menschen hinterlassen einen gewaltigen ökologischen Fußabdruck."
Paradigmenwechsel angemahnt
Die Grenzen des Wachstums sind erreicht. Der Entwicklungsminister zieht aus dieser Erkenntnis eine Reihe von Rückschlüssen für seine zukünftige Politik. "Wir brauchen einen Paradigmenwechsel im Denken und im Handeln: national, europäisch und international." Die größte zu bekämpfende Ungerechtigkeit seien Armut und Hunger. Deshalb soll Afrika zu einem Schwerpunkt werden. Ein neues entwicklungspolitisches Afrika-Konzept sei bereits in Arbeit. "Ich beabsichtige, mit jährlich einer Milliarde Euro gezielt die ländliche Entwicklung voranzubringen."
Geplant ist der Aufbau von zehn "grünen Wertschöpfungszentren" in Afrika. Leitbild seien nicht Agro-Fabriken, sondern leistungsfähige bäuerliche Betriebe, die lokale Ernährung sichern und die Wertschöpfung im Land belassen. "Wir sind davon überzeugt: Afrika kann sich selbst ernähren." Deutschland habe das Wissen, das Know-how, das Können. "Wir müssen in Partnerschaft diesen Transfer leisten, dann ist Afrika selber imstande, sich zu ernähren und viele Länder Afrikas können mit diesem Wissen und Know-how mit unserer Hilfe die Produktivität verdoppeln und verdreifachen."
Afghanistan nicht allein lassen
Der Etat zur Stärkung der Grundbildung und zum Aufbau beruflicher Ausbildungszentren soll auf 400 Millionen Euro jährlich erhöht werden. Zudem sollen 1000 Studenten und Professoren jedes Jahr die Möglichkeit haben, sich in Deutschland weiterzubilden, das sind doppelt so viele wie bisher.
Neue Entwicklungsperspektiven soll es auch für Afghanistan geben. Es reiche nicht, die Truppen nach zwölf Jahren einfach abzuziehen. "Wir brauchen zur Stabilisierung Investitionen und eine Stärkung der zivilen Infrastruktur, wenn wir nicht in fünf Jahren erleben wollen, dass der militärische Einsatz der ISAF-Truppen chancenlos war und das Land im Chaos versinkt."
Applaus von der Opposition
Während seiner 15-minütigen Regierungserklärung erhält Gerd Müller immer wieder Applaus auch von Abgeordneten der Oppositionsparteien. So etwas passiert nicht oft. "Sie schlagen neue Töne in der Entwicklungspolitik an, ganz im Gegensatz zu ihrem Vorgänger", lobt in anschließenden Aussprache die linke Abgeordnete Heike Hänsel den neuen Minister von der CSU. "Ich muss sagen, dies begrüßen wir ausdrücklich."
Die Frage der Wertschöpfung sei in den Ländern des Südens entscheidend für die Entwicklung. Wie der Minister sei auch die Linke zudem der Meinung, dass sich im Konsumverhalten des Nordens einiges ändern müsse. "Das sind Ansätze, die unterstützen wir und da werden wir ihre Vorstellungen sicherlich kritisch konstruktiv begleiten."
Ähnlich äußert sich der entwicklungspolitische Sprecher der Grünen, Uwe Kekeritz, der scherzend gar vom "Weg ins entwicklungspolitische Paradies" spricht. Dem Minister müsse allerdings klar sein, dass die Opposition ihn nicht an seinen Worten, sondern an seinen Taten messen werde.