Polizeigewalt oder verhältnismäßiges Vorgehen?
9. Juli 2014Mit Stirnrunzeln blickt der Berliner Polizist auf das Video, das derzeit im Netz für Aufsehen sorgt. Mehr als 700.000 Mal wurde es inzwischen allein bei Youtube abgerufen. Es zeigt Ordnungshüter, die im Berliner Stadtteil Kreuzberg am vergangenen Samstagabend (05.07.2014) einen jungen Mann gewaltsam zu Boden drücken, der sich dagegen heftig wehrt. Die immer größere werdende Menschenmenge greift teilweise aktiv ins Geschehen ein. Die Polizeibeamten werden von protestierenden Passanten umringt. Ein Beamter wird mit einem Fahrrad beworfen. Erst als Verstärkung eintrifft, bekommt die Polizei die Lage wieder in den Griff.
Das Verhalten seiner Kollegen empfindet der Berliner Polizeibeamte nicht als übermäßig hart. Dass hingegen Passanten Polizeiarbeit behindern, sei kein Einzelfall, so der Polizist, der nicht namentlich genannt werden will. Er habe derartige Vorfälle bereits beim Verteilen von Strafzetteln in Kreuzberg erlebt. Dort ist die Stimmung sowohl bei Anwohnern als auch bei der Polizei immer wieder gereizt. Zuletzt hatte die Auseinandersetzung um die Flüchtlinge in einer besetzten Schule für Schlagzeilen gesorgt.
Die Polizei sei zu brutal vorgegangen, sagt Jon über den Vorfall vom vergangenen Wochenende. Er kommt aus Guinea-Bissau und lebt in Kreuzberg. "Als ich eintraf, lag der Mann am Boden und die Polizisten haben ihn mit ihren Knien bearbeitet, um ihn am Boden zu halten", beschreibt Jon seinen Eindruck. Man hätte den Mann einfach festnehmen und abführen können, doch die Polizisten hätten auch ihre Macht demonstrieren wollen, findet er.
Gewalt von und gegen Polizisten
"Wenn eine Person in Gewahrsam genommen werden soll und dann Widerstand geleistet wird, dann muss die Polizei mit den Mitteln der einfachen körperlichen Gewalt diesen Widerstand beenden", sagt der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt. "Das produziert niemals schöne Bilder."
Gerade über diese Bilder wird derzeit lebhaft im Internet diskutiert. Die Meinungen zu dem Video, das mit "Brutaler Polizeiübergriff, 5. Juli 2014, Berlin Kreuzberg (Görlitzer Park)" untertitelt ist, sind gespalten. Viele User kritisieren beispielsweise auf der offiziellen Facebook-Seite der Berliner Polizei das Vorgehen der Beamten als zu hart und unverhältnismäßig.
Andere fordern hingegen mehr Respekt für die Polizisten. Viele weisen auch darauf hin, dass die Beamten sich gemäß ihren Vorschriften verhalten haben. Der Polizeireporter der Berliner Zeitung, Andreas Kopietz, hält das Video für "kaum mehr als Propaganda". Es habe weder den Anlass der versuchten Verhaftung gezeigt, noch, dass auch Polizisten verletzt worden seien.
In der entsprechenden Pressemitteilung der Berliner Polizei heißt es, der 22-jährige Mann habe sich den Beamten, die wegen einer Schlägerei am Görlitzer Park gerufen worden waren, in den Weg gestellt und sie "hartnäckig" bei der "Sachverhaltsaufklärung" gestört. Der Mann habe einen Platzverweis erhalten, "dem er nicht nachkam, so dass er weggeführt werden musste".
Imageproblem der deutschen Polizei?
"Wir müssen damit leben, dass solche Videos geschnitten und dann aus dem Zusammenhang gerissen verbreitet werden", sagt Polizeigewerkschafter Wendt. Um sich besser zu schützen, diskutiere man in Polizeikreisen auch den Einsatz sogenannter Bodycams, mit denen die Polizisten ihren Einsatz selbst auf Video festhalten und ihr Verhalten gegebenenfalls auch vor Gericht rechtfertigen könnten. Diese Projekte seien aber noch im Versuchsstadium, so Wendt. Das Videos wie jenes aus Berlin-Kreuzberg das Image der deutschen Polizei beschädigen könne, glaubt er nicht - trotz der schnellen Verbreitung im Internet.
Gelitten hat das Image der Polizei allerdings in einigen Fällen - etwa durch den rigorosen Einsatz von Wasserwerfern gegen Menschen, die in Stuttgart gegen das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 demonstriert hatten oder durch den Fall des Asylbewerbers Oury Jalloh, der in einer Zelle eines Dessauer Polizeireviers verbrannte.
"Die Polizei führt in Deutschland und in Europa die Vertrauensskala in der Bevölkerung an. Die meisten Menschen in Deutschland vertrauen ihrer Polizei", hält Wendt entgegen. Der Berliner Polizist, der anonym bleiben will, hat zumindest in seinem Arbeitsbereich im Abschnitt 53 andere Erfahrungen gesammelt: Dort fehle es bei vielen einfach an Respekt und Vertrauen gegenüber den Polizisten.