Presseschau: "Immun gegen Diplomatie"
21. Juli 2006Arabische Pressestimmen:
Die in Palästina erscheinende Tageszeitung "Al-Quds" fordert die Durchsetzung aller UNO-Resolutionen als Ausweg aus der Nahostkrise:
"Jeder Fernsehzuschauer in unserem globalen Medienzeitalter, der die täglichen Schreckensbilder aus dem Kriegsgeschehen im Nahen Osten sieht, kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass diese Bilder aus dem Mittelalter stammen könnten. (...) und trotz dieser frappierenden Ähnlichkeit wird hier der Stärkere nicht gewinnen, denn die Wurzel des aktuellen Geschehens im Libanon ist und bleibt der israelisch-palästinensische Konflikt. Hinzu kommt, dass das Paradoxe an diesem Konflikt ist, dass die Lösung bereits existiert. Sie ist in verschiedenen UNO-Resolutionen enthalten. Nur Zyniker und verblendete Ideologen halten den Nahost-Konflikt für unlösbar. (...) Fast alles wurde schon versucht - bis auf ein massives Engagement der internationalen Staatengemeinschaft, das heißt vor allem der Vereinigten Staaten und der EU zur Durchsetzung aller UNO-Resolutionen einschließlich einer militärischen Präsenz in der Region."
Die offizielle syrische Zeitung "Al-Thawra" zweifelt an der bedingungslosen Unterstützung der israelischen Öffentlichkeit für den Kurs ihrer Regierung:
"Die Zeit arbeitet gegen die israelische Regierung. In den ersten Tagen der Militär-Offensive gegen die Hisbollah im Libanon stand das Volk noch relativ vereint hinter dem blassen Premier Ehud Olmert. Und wie erwartet wurde der Versuch, das Waffenarsenal der Hisbollah zu zerstören und ihre Führer auszuschalten, Israel-weit als legitim und notwendig betrachtet. Mit jedem Tag jedoch, an dem die Zahl der libanesischen und israelischen Opfer steigt, bröckelt die Meinungsfront, und erste kritische Stimmen werden laut. Seit Mittwoch gibt es sogar einen ersten Armeedienst-Verweigerer und Linke und Friedensaktivisten sprechen von einem 'unverhältnismäßigen Krieg’ und einer 'verfehlten Strategie’ der israelischen Entscheidungseliten, die vom Generalstabchef Dan Halutz dominiert wird“.
Die angesehene transarabische Zeitung "Al-Hayat" geht mit dem "beschämenden Schweigen der Weltöffentlichkeit" angesichts Israels Politik der verbrannten Erde im Libanon hart ins Gericht:
"Endlich erlaubte sich der UN-Oberdiplomat Kofi Annan, von 'exzessiver Gewalt' Israels zu sprechen. Statt die israelische Politik der verbrannten Erde unmissverständlich als Verstoß gegen das Völkerrecht zu verurteilen, begnügte er sich mit dem belehrenden Hinweis: 'Was immer Israels Operation gegen die militärischen Fähigkeiten der Hisbollah ausrichtet - sie tut wenig oder nichts gegen die Unterstützung von der Hisbollah durch die Menschen im Libanon oder der Region. Aber sehr viel, um die Regierung des Libanon zu schwächen’. Diese beschämende Haltung des 'Weltgewissens’ angesichts der totalen Zerstörung des Libanons ist nicht nur menschenverachtend, sondern politisch dumm. Denn aus diesen Ruinen wird in absehbarer Zeit kein Nährboden für Frieden entstehen.“
Israelische Pressestimmen:
Die englische Online-Ausgabe der israelischen Zeitung "Yedioth Ahronoth" schreibt über die Lage im Nahost:
"Das schlimmste an dem derzeitigen Krieg ist dass wir gezwungen worden sind mit Libanon einen Krieg zu führen - dem Land, das wahrscheinlich am wenigsten einen Konflikt mit Israel wollte und das einzige Land um uns herum, das tatsächlich am wenigsten mit dem Konflikt zu tun hat. Das einzige, worauf sich alle Beteiligten einigen können, ist dass Syrien und der Iran die Ursache für den derzeitigen Krieg sind (…). Aber was wären Israels Optionen, wenn nicht gegen die Hisbollah zu kämpfen? Syrien direkt den Krieg zu erklären? Vielleicht. (…). Syriens altmodische, verrostete sowjetische Luftwaffe und Kampfflugzeuge können der israelischen Luftwaffe nichts entgegenhalten. Den Krieg würde Israel aller Wahrscheinlichkeit nach innerhalb weniger Stunden gewinnen. (…) Aber die Luftangriffe können Bodentruppen nicht ersetzen. Das ist eine Lektion, die die Amerikaner in den letzten drei Jahren im Irak gelernt haben. (…) Und ein Bodenkrieg wird viele Verluste mit sich bringen.
Also, wenn nicht Syrien, was ist mit dem Iran? Teheran hat, was die Hisbollah angeht, die Fäden in der Hand und die iranische Beteiligung an Angriffen auf jüdische Ziele weltweit sind eine große Gefahr für die jüdische Gemeinschaft. Aber praktisch gesehen macht ein Krieg gegen Iran noch weniger Sinn als gegen Syrien. Zum einen ist da die Entfernung (…). Zweitens ist die iranische Armee modern und sehr gut ausgerüstet. Bleibt also die nukleare Möglichkeit - etwas, dass die sogar die schärfsten Hardliner nicht in Betracht ziehen.
Also wohin führt uns das alles? (…). Es bringt uns zurück zum Libanon. Zu tief stecken wir in diesem Krieg, und es wäre ein schrecklicher Fehler, wenn Israel den Kampf aufgibt, ohne die Hisbollah aus dem südlichen Libanon, am besten aus dem ganzen Libanon, vertrieben zu haben. Wenn sogar dieses Minimalziel nicht erreicht wird, würden die Toten, Verletzten und Sachschäden der vergangen Woche sinnlos werden.
Israel und die internationale Gemeinschaft müssen dafür sorgen, dass der Libanon aus den tödlichen Fängen des Iran und Syriens befreit werden. Die Regierung in Beirut muss ihre Souveranität über den Süden des Libanons wiedergewinnen und seine Zivilisten aus dem Gebiet herausholen, wie Israel es in Gaza gemacht hat (…)."
Iranische Pressestimmen
Die konservative Zeitung "Jomhuriye Islami" (Islamische Republik) kritisiert das Vorgehen Israels:
"In dieser Woche haben die kriminellen Angriffe des zionistischen Regimes auf den Libanon und den Gazastreifen ihren Höhepunkt erreicht. Das Schweigen der Weltgemeinschaft und die Unterstützung der Vereinigten Staaten von Amerika und Europas ermöglichen der Zionisten-Armee ihre kriminellen Angriffe auf den Libanon fortzusetzen. So zeigt Israel noch einmal sein wahres Gesicht. Die Ereignisse der vergangenen Woche haben wieder der Weltöffentlichkeit gezeigt, dass das kriminelle Regime in Israel - ausgehend von seinem verdorbenen Wesen - keine internationale Rechte anerkennt. Die Machthaber Israels zeigen, dass sie zu jeder kriminellen Handlung bereit sind, um ihre unlegitimen Ziele zu erreichen. Jedoch hat der heftige Widerstand der Hisbollah gegen die gutbewaffnete israelische Armee weltweit für Bewunderung gesorgt und die Schwäche und Unfähigkeit Israels bewiesen. Ayatollah Khamenei, der Geistliche Führer der Islamischen Republik, hat deswegen seine Bewunderung für den kühnen Widerstand der Hisbollah ausgedrückt und das Schweigen der arabischen und islamischen Länder zu den kriminellen Angriffe der Zionisten scharf kritisiert."
Die konservative Zeitung "Resalat" kommentiert:
"Der Widerstand der Hisbollah war eine große Herausforderung für Israel und hat gezeigt, dass die angebliche Unbesiegbarkeit Israels nur ein Märchen ist. Nun ist die israelische Regierung mit vielen offenen Fragen konfrontiert. Während sich viele Experten auf die unter Beschuss geratenen israelischen Städte und die Flucht der Israelis konzentrieren, sehen sie auch in Folge des Versagens der israelischen Regierung eine tiefe Krise für das Land bevor. Jüngsten Analysen der zionistischen Medien zufolge deutet alles auf eine Vertrauenskrise zwischen Israel und den Vereinigten Staaten hin."
Amerikansiche Pressestimmen:
Die amerikansiche Zeitung "Boston Globe" befürchtet, dass am Ende die Hisbollah von dem Konflikt profitiert:
"(…) Es gibt zwei wichtige Gründe, warum die Hisbollah außerhalb der shiitischen Gemeinschaft im Libanon (etwa 40 Prozent) an Akzeptanz gewonnen hat, oder sogar an Respekt. Der erste Grund ist ihr Ruf, soziale Leistungen anzubieten und zwar - im Gegensatz zu den anderen libanesischen Interessensgruppen - frei von Korruption. Der zweite ist ihre Haltung als Widerstandskämpfer gegen Israel während der israelischen Besatzung von 1992 bis 2000. Diese politische und psychologische Wahrheit kann nicht ignoriert werden.
In Israel ist es allgemein bekannt, dass es Premierminister Ehud Olmert und Verteidungsminister Amir Peretz an militärischen Erfahrungen und Autorität fehlen; jene, die es Ariel Sharon ermöglichte, standhaft gegenüber den Argumenten der israelischen Armee - dass eine Politik der Abschreckung von nöten sei, um sich nicht auf einseitige Zugeständnisse einzulassen - zu bleiben. Nichtsdestrotrotz, müssen Olmert und Peretz nun einsehen, dass sie, wenn sie weiterhin den Libanon bombardieren, die Hisbollah, anstatt sie zu schäwchen, weiter stärken (…)."
Europäische Pressestimmen:
Die "Neue Presse" aus Hannover kommentiert:
"Jetzt sollen alle mit ins Boot: Deutschland soll Israel helfen,
die internationale Gemeinschaft dem Libanon. Doch weder die
Bundesregierung noch der Rest der westlichen Welt wissen einen Ausweg aus der derzeitigen Nahostkrise. Hier geht es nicht um einen regionalen Konflikt zwischen einem Staat und ein paar Terroristen. Der Kern des von Iran und Syrien geschürten Hisbollah-Israel-Krieges ist die Auseinandersetzung um den Einfluss des islamischen Fundamentalismus in Nahost. Alle Appelle des Westens lassen außer Acht, dass es dort zu viele Kräfte gibt, die gegen Diplomatie immun sind und eines nicht wollen: Frieden. So lange das so ist, wird jeder Versuch der Befriedung von außen scheitern."
Die Zeitung "Le Télégramme" aus der bretonischen Stadt Brest schreibt zu Frankreichs Rolle bei der Suche nach Möglichkeiten zur Beilegung des Nahost-Konflikts:
"Da Israel dem Vorschlag von Präsident Chirac zur Einrichtung humanitärer Korridore nicht feindlich gegenüber steht, ist es nicht ausgeschlossen, dass die französische Diplomatie nun wieder im Nahost-Spiel mitmischen kann. Zwar ist die israelische Armee nicht gewillt, in ihrer militärischen Offensive gegen die Hisbollah nachzulassen. Die israelische Regierung könnte aber angesichts der Entrüstung, die die Opfer in der libanesischen Zivilbevölkerung hervorrufen, zu einer Geste veranlasst werden. Denn wieder mal sind die Libanesen in die Falle dieses Schachspiels geraten, das die Regionalmächte spielen - Israel, das sich behaupten will und der Iran, der an Macht gewinnt. (...) Wie auch immer, Frankreich muss intervenieren, um den Schaden in diesem Land, das wieder mal geopfert wird, zu begrenzen."
Zu den internationalen Reaktionen auf die Kämpfe im Nahen Osten meint die niederländische Zeitung "Trouw" am Freitag:
"Israel und der Rest des Nahen Ostens hören nicht auf Europa. Auch die hier und da auftauchende Idee einer Friedenstruppe ist eine aussichtslose Übung. Dafür müsste zuerst einmal Friede herrschen und der liegt in der Ferne. Trotzdem Militärs zu entsenden, würde den Einsatz einer Eingreiftruppe bedeuten, die eine stabile Pufferzone schaffen müsste. Das ist schon im Irak und in Afghanistan eine Heidenarbeit, gelingt im Kongo und in Darfur überhaupt nicht und wäre im Nahen Osten aussichtslos, weil alle Seiten dagegen sind. (...) In Darfur sterben wöchentlich 1000 Menschen durch Gewalt und Auszehrung, im Kongo laut manchen Angaben mehrere Tausend täglich. Während der Einfluss im Nahen Osten aus Washington kommen muss, kann Europa besser bei diesen Konflikten diplomatisch, finanziell und militärisch vorangehen."
Die die konservative britische Tageszeitung "The Times" meint:
"Israel hat ein Recht auf Selbstverteidigung. Nur wenn es dem Land gelingt, die Bedrohung seiner Bürger durch die radikal-islamische Hisbollah zu zerstören, kann Israel in Frieden leben. Israelische Truppen scheinen sich auf eine Bodenoffensive vorzubereiten, und das ist aus militärischer Sicht sinnvoll. Bombardierungen aus der Luft können die Tunnel und Bunker, in denen die Hisbollah ihre Waffen versteckt, nicht zerstören. (...) Obwohl Israels Vorgehen gerechtfertigt ist, bleibt der Erfolg der Militäraktion fraglich. Britische Regierungsbeamte hegen Zweifel an den Erfolgsmeldungen der Israelis. Israel muss vorsichtig vorgehen. Die libanesische Regierung ist schwach, und die Gefahr eines neuen Bürgerkriegs in dem Land ist groß. Für Israel könnten kurzfristige Gewinne auf lange Sicht zum Verlust werden."
Der liberale "Standard" aus Wien schreibt zum Konflikt in Nahost und zur Situation Israels:
"Darauf (auf den Terror der radikalen Palästinenser) folgen nun
die ultrareligiösen Fanatiker. Unter den Palästinensern die Hamas und der islamische Dschihad, im Südlibanon die Hisbollah. Letztere hat Rückhalt in einem großen muslimischen, wenn auch nicht arabischen Staat. Der Iran versorgt sie mit schweren Waffen. Israels Bedrohung hat sich plötzlich um einen gewaltigen Faktor erhöht. In einer solchen Situation wäre es logisch, sich den Rücken freizumachen, um sich der externen Bedrohung widmen zu können. Das würde bedeuten, die (gemäßigten) Palästinenser vom Druck der Besatzung zu befreien."
Die "Süddeutsche Zeitung" kommentiert die Lage im Nahen Osten:
"Wenn die Scherben zusammengekehrt sein werden und alle Toten beerdigt, dann wird die Bilanz dieses Konflikts aber auch für die arabische Welt bitter sein. Was beispielsweise soll aus den politisch islamischen Bewegungen in der arabischen Welt, in Ägypten oder am Golf werden? Sie haben sich zuletzt intensiv bemüht, die Regierungen ihrer Länder zu mehr Demokratie zu drängen. Eine erstarkte Hisbollah aber bringt die gerade erst Gemäßigten unter neuen Zugzwang."
Zusammengestellt von Sarah Faupel, Loay Mudhoon und Jamsheed Faroughi