Proteste in Rumänien spitzen sich zu
16. Januar 2012Viele Rumänen sind empört und zeigen ihren Unmut seit geraumer Zeit auf der Straße. In allen größeren Städten protestieren sie: anfangs friedlich und nur gegen eine geplante Gesundheitsreform, mittlerweile auch zunehmend mit Gewalt und gegen alle sozialen Einschnitte.
Für Montag (16.01.2012) hat Ministerpräsident Emil Boc nun einen neuen Gesetzesentwurf der Gesundheitsreform angekündigt. "Die Lösung ist Dialog, nicht das Werfen von Steinen", sagte er am Sonntag im Krankenhaus, wo er einen verletzten Polizisten besuchte.
Auch die sozial-liberale Oppositionspartei USL forderte nun eine Sondersitzung des Parlaments, um angemessen auf die sozialen Spannungen reagieren zu können. "Wenn Rumänien als nicht mehr regierbares Land wirkt, ist die einzige Lösung, vorzeitige Neuwahlen auszurufen", sagte der USL-Vorstand. Die nächsten Parlamentswahlen finden planmäßig Ende 2012 statt.
Jede Menge Frust
Am Sonntag waren die Demonstrationen erneut eskaliert. Allein in der Hauptstadt Bukarest lieferten sich etwa 1000 Protestierende Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften: Steine und Brandsätze flogen, ein Mensch stand sogar in Flammen, mindestens 13 weitere wurden verletzt. Einige Rettungskräfte sprachen von bis zu 33 Verletzten.
Das war bereits der vierte Tag des Protests. Viele Rumänen fordern Neuwahlen. Präsident Traian Basescu soll gehen. Für sie repräsentiert er eine politische Führung, die korrupt ist und sich durch Vetternwirtschaft bereichert, während sie die Steuern für die Bevölkerung erhöht und Zulagen und Löhne kürzt.
Rumänien wird seit Ende 2009 von einer Minderheitsregierung unter der Führung von Emil Boc (Demokratisch-Liberale Partei/PDL) regiert, in der auch die Ungarnpartei und Unabhängige vertreten sind. Bocs Vorgänger an der Spitze der damaligen Demokratischen Partei (PD), Traian Basescu, ist seit 2004 Präsident. Die Ämter des Staats- und des Regierungschefs sind damit in der Hand von Vertretern der selben politischen Richtung.
Krisengebeuteltes Rumänien
Zu den politischen Problemen kommen auch noch wirtschaftliche hinzu. Das heutige EU-Land wurde 2007 schwer von der Wirtschaftskrise getroffen und wird seit 2009 durch Kredite des Internationalen Währungsfonds, der Weltbank und der EU unterstützt. Am 10. Mai 2010 verkündete Rumäniens Regierung ein umfangreiches Sparpaket. Betroffen davon sind vor allem Staatsbedienstete. 74.000 Stellen im öffentlichen Dienst sollen wegfallen, die Bezüge und Pensionen der verbleibenden Beamten sowie der Mindestlohn um 25 Prozent gekürzt werden.
Die Regierung plant auch, die Renten, das Arbeitslosengeld und die Sozialhilfe um 15 Prozent zu kürzen. Die Rentensenkung wurde im Juni 2010 vom Verfassungsgerichtshof gestoppt und für verfassungswidrig erklärt. Daraufhin hob die Regierung zum 1. Juli 2010 den Mehrwertsteuersatz von 19 auf 24 Prozent an.
Autorin: Nicole Scherschun (afp, rtr, dapd, dpa)
Redaktion: Julia Elvers-Guyot