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Woran starb Tugce?

Sonja Jordans, Darmstadt3. Juni 2015

Tag acht im Tugce-Prozess vor dem Landgericht Darmstadt. Unter anderem sprechen Gerichtsmediziner. Der Schlag an sich, so ein Experte, sei nicht Todesursache gewesen. Der Angeklagte schweigt. Aus Darmstadt Sonja Jordans.

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Tugce Albayrak Porträt
Bild: Sabah

Tugce Albayrak ist nicht allein durch den Schlag des Angeklagten Sanel M. gestorben. Tugce sei vielmehr einer Hirnblutung erlegen, stellt ein Gerichtsmediziner am Mittwoch bei der Fortsetzung des Prozesses fest.

Sanel M. soll im November 2014 Tugce nach einem Streit auf dem Parkplatz eines Offenbacher Schnellrestaurants geschlagen haben, so dass sie rücklings auf den Boden stürzte und ins Koma fiel. Wenige Tage später, an ihrem 23. Geburtstag, starb Tugce.

Ohrfeige führte zu "Blackout"

Die Ohrfeige selbst, die M. zu Prozessbeginn eingeräumt hatte, sei für sich genommen nicht tödlich gewesen, sagt der Gerichtsmediziner weiter. Diese habe aber wohl einen "Blackout" verursacht, aufgrund dessen Tugce ohne Abwehrreaktion umgefallen und aufgeschlagen sei. Dadurch wiederum sei ein Hin- und Herschwingen des Hirns ausgelöst worden, bei dem Blutgefäße abgerissen worden waren, die Blutungen ausgelöst hätten.

Ob Tugce an einem von ihrem Ohrring ausgelösten Schädelbasisbruch gestorben sei, konnte der Experte ebenfalls nicht sagen. Zwar trug Tugce tatsächlich einen Schädelbruch davon, weil sie "auf etwas draufgefallen" sein müsse. Dies könne auch ein Ohrring gewesen sein. Gefunden hatte man jedoch nichts. Ein reiner Schädelbruch wäre jedoch ebenfalls nicht tödlich gewesen, so der Gerichtsmediziner. Die Blutungen hätten zum Tod der Studentin geführt.

Wer ist Sanel M.?

Vor drei Jahren klang das Amtsgericht Offenbach zuversichtlich: "Das Gericht geht davon aus, dass sich der Angeklagte in Zukunft straffrei führen wird" stand in einem damals niedergeschriebenen Urteil über Sanel M. Am Mittwochmorgen, als im aktuellen Prozess gegen M. dessen Vorstrafen verlesen werden, ruft dieser Satz im Zuschauerraum Kopfschütteln hervor. Denn der 18-Jährige hat es nicht geschafft, straffrei zu bleiben. Seit April steht er jetzt aber wegen Körperverletzung mit Todesfolge vor dem Landgericht Darmstadt.

Sanel M. beim Prozessauftakt im April 2015, Foto: dpa
Sanel M. beim Prozessauftakt im April 2015Bild: picture-alliance/dpa/B. Roessler

Lange kriminelle Karriere

Bereits vor drei Jahren hatte der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung vor Gericht gestanden. Er habe, so wird verlesen, einem Grundschüler den zuvor erhitzten Metallkopf eines Feuerzeugs in den Nacken gedrückt. M. hatte eine Verwarnung sowie eine Woche Jugendarrest erhalten. Als 17-Jähriger wurde er wegen gemeinschaftlicher räuberischer Erpressung verurteilt, wieder erhielt er eine "deutliche Verwarnung" sowie Freizeitarrest und Arbeitsstunden. Er und zwei Kumpels hatten "Handys abgerippt", wie es heißt. Wenige Monate danach waren die Freunde nachts in einen Kiosk eingestiegen, dafür gab es ebenfalls Arrest. Weil immer wieder gegen ihn ermittelt worden war, wurde M. schließlich in das Programm "Basu 21" aufgenommen.

Die Abkürzung steht für "besonders auffällige Straftäter unter 21", wie ein Polizist vor Gericht erläutert. Das Programm solle Jugendliche davon abhalten, weiterhin straffällig zu werden. Zwei Mal habe er deswegen mit dem Angeklagten gesprochen, so der Polizist.

M. habe dabei stets "verschlossen" gewirkt. Diesen Eindruck hinterlässt der 18-Jährige auch bei Prozessbeobachtern. Sobald ihm die Handschellen gelöst werden, nimmt er stumm neben seinen Verteidigern Platz. Er lässt keinerlei Regungen erkennen, selbst, wenn über ihn gesprochen wird. Er dreht sich nicht um, reagiert nicht. Sein Blick wirkt leer, ist meistens auf den Tisch vor ihm gerichtet. Selbst auf die Frage des Gerichts, ob M. vor Ende des Verfahrens noch etwas dazu sagen möchte, schüttelt er nicht mal den Kopf. Seine Anwälte beantworten die Frage stattdessen mit "Nein".

Tugce Foto mit Kerzen, Foto:
Trauer um Tugce in Offenbach im November 2014Bild: picture-alliance/dpa/B. Roessler

Jugendstrafrecht für Sanel M.?

Nicht nur über die Fähigkeit, sich auszudrücken, verfüge er jedoch, sagt ein Mitarbeiter des Jugendamts, der mit M. in Haft gesprochen hat. "Da ist intellektuelles Potenzial". Sanel M. hatte einst das Gymnasium besucht, die Grundschule hatte die Empfehlung dafür ausgesprochen. Doch der Junge hatte wenig Lust aufs Gymnasium: "Er wollte da nicht hin", sagt der Jugendamtsmitarbeiter. M. schwänzte, sei "respektlos gegenüber Lehrern und Schülern" gewesen und habe eine Klasse wiederholen müssen. Es reichte schließlich zum qualifizierten Hauptschulabschluss. Die Eltern, Kriegsflüchtlinge aus Serbien, hätten dafür jedoch wenig Verständnis gezeigt, berichtet der Mann vom Jugendamt. Der Vater sei "sehr sehr gewalttätig gegenüber Sanel" geworden und habe ihn "massiv geschlagen".

Die spannende Frage bis zum Prozessende lautet unter anderem, inwiefern diese Umstände sich mildernd auswirken könnten. Der Prozess soll am Freitag, den 12. Juni, mit den Plädoyers fortgesetzt werden.