Putin 4.0: Was bringt die vierte Amtszeit?
7. Mai 2018Die Zeremonie am 7. Mai dürfte die gleiche sein wie die anderen drei in den vergangenen fast zwei Jahrzehnten: ein Kreml-Saal mit viel Gold, eine Tür öffnet sich und Wladimir Putin schreitet mit festen Schritten über den rote Teppich. Seit 2000 ist es die vierte Amtseinführung für den inzwischen 65-jährigen Präsidenten Russlands. Er scheint auf dem Höhepunkt seiner Macht angekommen. Bei der Abstimmung am 18. März bekam Putin mit rund 77 Prozent der Stimmen sein bestes Wahlergebnis. "Dadurch fühlt sich nicht nur die Amtsperson Wladimir Putin als Präsident bestätigt, sondern er wird das auch als Unterstützung für seine Politik empfinden", sagt Gernot Erler, ehemaliger Russland-Beauftragte der Bundesregierung. Von Putins neuer Amtszeit erwartet der SPD-Politiker vor allem eins: "Kontinuität".
In der Innenpolitik zunehmend autoritär
Was der autoritäre Stil in der Innenpolitik bedeutet, konnte man in den vergangenen Jahren beobachten: Einschränkungen der Versammlungsfreiheit, Einschüchterung der Zivilgesellschaft, mehr Kontrolle im Bereich Internet und soziale Netzwerke bis hin zu Sperrungsversuchen wie beim Messengerdienst Telegram. "Ich befürchte, dass der Abbau von demokratischen Spielräumen weitergehen wird", sagt Martin Schulze Wessel, Professor für Osteuropäische Geschichte an der LMU München. Auch der Kampf gegen Korruption werde nicht erfolgreich sein.
"Das System wird zunehmend autoritärer werden, unterhalb der Schwelle zur offenen Diktatur", prophezeit Manfred Hildermeier, sein emeritierter Amtskollege von der Universität Göttingen. "Das hat Putin nicht nötig, er muss gegenüber der Welt ein demokratisches Mäntelchen beibehalten."
Kaum Gefahr aus der Opposition
Ein Aufstand gegen Putin wie in den ehemaligen Sowjetrepubliken Georgien und Ukraine oder in diesen Tagen in Armenien sei zurzeit in Russland nicht zu erwarten, sind sich die Experten einig. "Die Opposition hat bei den Wahlen gezeigt, dass sie sich schwer tut, mit einem Kandidaten aufzutreten", sagt Gernot Erler. Es gab bei der Präsidentenwahl zwei Kandidaten, Grigorij Jawlinskij und Xenija Sobtschak, die sich als Vertreter der liberalen Opposition positioniert haben. Der Oppositionsführer Alexej Nawalny, der selbst nicht zur Wahl zugelassen wurde, rief zu einem Boykott auf.
Allerdings sei jede Prognose schwierig, denn über das Internet könne man Menschen schnell mobilisieren, sagt Manfred Hildermeier. Ob es zu Protesten kommt, dürfte von der wirtschaftlichen Entwicklung in Russland abhängen.
Kein Durchbruch in der Wirtschaft
Bisher gelang es Putin, die russische Wirtschaft nach dem Einbruch 2014, ausgelöst vor allem durch den Ölpreisverfall und teilweise durch westliche Sanktionen nach der Krim-Annexion, zu stabilisieren. Doch diese Stabilität scheint von den jüngsten, deutlich härteren US-Sanktionen bedroht. In den kommenden Jahren werde die ökonomische Lage in Russland schwieriger werden, glaubt Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). "Es wird weniger Geld für Pensionen, für Sozialausgaben werden, selbst für das Militär", so Meister. Deshalb werde die Innenpolitik während Putins vierter Amtszeit wichtiger.
In seiner programmatischen Rede zur Lage der Nation am 1. März schwor Putin Russland auf einen technologischen Durchbruch ein. Die Experten sind skeptisch. "Putin wird das nicht schaffen", glaubt Manfred Hildermeier. "Seine Achillesferse ist die Wirtschaft und die internationale ökonomische Konkurrenzfähigkeit." Die Abhängigkeit von Rohstoffexporten sei nach wie vor groß. Außerdem habe Russland aus historischer Perspektive "fast immer den technologischen Rückstand gegenüber Europa nur im Verbund mit dem Westen aufgeholt". Das sei jedoch nicht absehbar. Die Entfremdung zwischen Russland und dem Westen, ausgelöst durch Russlands "aggressive Außenpolitik", dürfte weitergehen.
Auf Distanz zum Westen
"Russland fühlt sich sehr selbstbewusst und sieht sich als Ordnungsmacht in einer künftigen multipolaren Weltordnung", sagt Gernot Erler über Russlands Außenpolitik. Der Versuch, "weiter in Richtung Großmacht zu steuern", werde fortgesetzt, glaubt auch Stefan Meister. Dabei profitiere Moskau "vom Nichthandeln der USA und der EU" etwa in Syrien und werde auch durch eigene taktische Schachzüge zum wichtigen Akteur im Nahen Osten, sagt Meister.
Alle Experten sind sich einig, dass Russland den Kurs auf Entfremdung vom Westen beibehalten wird. Der Schlüssel zu einer Annäherung sei die Lösung der Ukraine-Krise, doch Moskau habe sich bisher nicht dazu bereit gezeigt.
Eine völlige Abkopplung Russlands vom Westen werde jedoch nicht funktionieren, glaubt Schulze Wessel: Der Informationsaustausch sei "zu eng" und es gebe die Möglichkeit, in den Westen zu reisen. Die Alternative, sich an China zu binden, sei "nicht wirklich heiß", denn dann müsse sich Moskau mit der Rolle eines Juniorpartners Pekings abfinden.
Die letzte Amtszeit?
Eine der spannendsten Fragen dieser vierten Amtszeit dürfte sein, ob es Putins letzte sein wird. Die russische Verfassung sieht für Präsidenten nur zwei aufeinander folgende Amtszeiten vor. Einmal hielt sich Putin bereits an diese Regel. Er war zwischen 2008 und 2012 Ministerpräsident geworden und kehrte erst nach einer Rochade mit dem damaligen Staatschef Dmitrij Medwedew in den Kreml zurück. Nun steht Putin wieder vor einer Wahl: abtreten oder die Verfassung ändern lassen. Manfred Hildermeier glaubt an Putins Abgang: "Ich tippe darauf, dass es einen Wechsel gibt." Nach Putins sechsjähriger Amtszeit könne 2024 "ein loyales Mitglied der herrschenden politischen Elite" Präsident werden.
Putin selbst sagte nach seinem Wahlsieg im März, er plane "noch" keine Verfassungsreform. Zuvor ließ er durchblicken, kein "ewiger Präsident" sein zu wollen. Doch der Druck auf ihn zu bleiben dürfte stark sein.