"Kein Grund zu Angst vor Russland"
6. Juni 2015"Das, was wir tun, ist bloß eine Antwort auf die Bedrohungen, die an unsere Adresse gerichtet sind", erklärte der russische Präsident Wladimir Putin in einem Interview der italienischen Zeitung "Corriere della Sera". In dem vom Kreml veröffentlichten Text verteidigte Wladimir Putin seine im Westen umstrittene Politik als Reaktion auf neue Gefahren für sein Land. Angst vor Russland sei allerdings unbegründet: "Die Welt hat sich derart verändert, dass sich zurechnungsfähige Menschen einen solchen militärischen Konflikt gar nicht mehr vorstellen können."
Verteidigung statt Angriff
Der Kremlchef warf dem Westen vor, mit solchen Ängsten zu spekulieren. Insbesondere die USA beschuldigte er, Feindbilder aufzubauen, um damit ihren Führungsanspruch in der Welt zu untermauern.
Russlands Politik sei hingegen nicht Ausdruck einer Aggression, sondern vielmehr Verteidigung gegen eine offensive westliche Politik. Die NATO etwa bewege sich immer näher an die Grenze Russlands. In Norwegen seien Raketen stationiert, die innerhalb von 17 Minuten russisches Staatsgebiet erreichen könnten.
Ähnliches gelte auch im wirtschaftlichen Bereich. Im Hinblick auf den Ausbau einer Eurasischen Wirtschaftsunion bemängelte Putin eine eigennützige Politik der EU, welche die Interessen Russlands nicht genug berücksichtige. "Wenn die Länder Europas sich zusammenschließen, ist das normal, aber wenn wir auf postsowjetischem Gebiet das auch tun, wird versucht, dies als Streben Russlands nach einem Wiederaufbau irgendeines Imperiums zu erklären", sagte der Kremlchef in dem Interview.
Putin: "Unprofessionelle Handlungen" im Ukraine-Konflikt
Auch für den Konflikt in der Ukraine machte Putin die westlichen Staaten mitverantwortlich. Dieser sei die Folge "unprofessioneller Handlungen" der USA. Die Regierung in Kiew zeige keinerlei Willen zur Umsetzung des Friedensabkommens in Minsk und die USA sowie die EU übten nicht genug Druck auf die Ukraine aus.
Konkret gehe es darum, das Angebot der Führungen der nicht anerkannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk, unter bestimmten Bedingungen Teil der Ukraine zu bleiben, ernst zu nehmen. Dazu gehöre auch eine Verfassungsreform samt Autonomierechten, wie die Möglichkeit der Regionen zu grenznahem Handel mit Russland, führte Putin weiter aus.
Zankapfel Ostukraine
Die Beziehungen zwischen den NATO-Staaten und Russland sind seit der russischen Annexion der Halbinsel Krim und des Konflikts im Osten der Ukraine derzeit so angespannt wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Der Westen wirft Russland vor, die prorussischen Rebellen im Osten der Ukraine zu unterstützen. Der Kreml hingegen dementiert das und pocht weiterhin auf eine Umsetzung der Waffenruhe.
Poroschenko: "Gefahr eines russischen Einmarsches"
Zuletzt waren bei heftigen Kämpfen in der Nähe der Kleinstadt Marjinka westlich von Donezk fast 30 Menschen getötet worden. Es war die bisher massivste Verletzung des im Februar geschlossenen Friedensabkommens vom Minsk. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko warnte daraufhin vor einer "beispiellos großen Gefahr eines russischen Einmarsches". Deshalb seien im Kriegsgebiet mehr als 50.000 ukrainische Soldaten stationiert. Dies sei auch der Grund dafür, dass die Rüstungsbetriebe der Ukraine im Dreischichtsystem arbeiteten. Er warf den Separatisten und Russland vor, immer wieder das Minsker Friedensabkommen zu brechen. Solche Verstöße müssten bestraft werden.
Im Vorfeld des G7-Gipfels erneuerte Poroschenko seine Forderungen. Er rief Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einem Telefonat zu "entschlossener Unterstützung" der Ukraine auf. Darin inbegriffen seien zusätzliche Finanzhilfen, teilte das Präsidentenamt in Kiew mit. Wegen der Rolle Russlands im Ukraine-Konflikt ist Putin wie schon im Vorjahr nicht zu dem Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs führender Industrienationen eingeladen.
nin/sp (dpa, afp)