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"Putin profitiert von der Flüchtlingskrise"

Gero Schließ27. September 2015

Der russische Präsident Putin will vor den UN einen Friedensplan zu Syrien vorstellen. Sein Ziel ist, dass die Wirtschaftssanktionen gegen Russland aufgehoben werden, sagt Marvin Kalb im DW-Interview.

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Russlands Präsident Putin schaut mit Militärs am 19.09.2015 einem Manöver zu (Foto: Reuters)
Russlands Präsident Putin schaut mit Militärs einem Manöver zuBild: Reuters/Ria Novosti/A. Nikolsky

Deutsche Welle: Was erwarten Sie von der Rede des russischen Präsidenten Wladimir Putin am Montag vor der UN-Vollversammlung in New York?

Marvin Kalb: Seit ungefähr einem Monat ist klar, dass Putin wegen Syrien etwas unternehmen wird. Nach meinen Informationen wird er einen russischen Vorschlag für eine diplomatische Lösung unterbreiten. Syriens Präsident Baschar al-Assad würde nach diesem Konzept an der Macht bleiben. Die Frage ist, wie lange. Die US-Amerikaner sagen, Assad könnte Teil eines Verhandlungsprozesses sein, selbst wenn sie nicht direkt mit ihm reden werden. Aber an einem bestimmten Punkt wird er sein Amt aufgeben müssen. Die Russen versuchen, einen Friedensplan zu präsentieren, der ihrem Schützling Assad hilft und zur gleichen Zeit eine Möglichkeit vorbereitet, dass er ersetzt wird.

Putin agiert offensichtlich sehr clever, wenn er signalisiert, dass Assad nicht für immer Präsident bleibt, aber auf der anderen Seite darauf besteht, dass er noch Teil der Verhandlungsprozesses sein soll.

Wir kennen den Text von Putins Rede noch nicht, aber eines ist jetzt schon klar: Die Russen machen einen Friedensvorschlag, der sie unmittelbar in den Verhandlungsprozess im Nahen Osten zurückbringt. Zweitens wollen sie erreichen, dass Assad für eine gewisse Zeit ein Player bleibt. Und drittens stärken die Russen ihre diplomatische Position mit der offensichtlichen Zurschaustellung des militärischen Geräts, das sie frisch nach Syrien eingeflogen haben. Sie haben in der Ukraine die gleiche Strategie angewandt: Wenn du ein politisches oder diplomatisches Ziel erreichen willst, musst du das Ganze mit einer starken militärischen Präsenz anfangen.

Marvin Kalb, Senior fellow, Brookings Institution (Foto: Brookings)
Marvin Kalb, Brookings InstitutionBild: Brookings

Bundeskanzlerin Angela Merkel war die erste westliche Regierungschefin, die jüngst öffentlich gesagt hat, dass man mit Assad reden müsse. Welche Bedeutung hat Merkels Vorstoß?

Das passt genau zu Putins Plan. Er glaubt, dass der Westen müde und korrupt ist und meint, er könnte daraus jetzt Vorteile ziehen. Merkel gehört zu den wichtigsten Politikern in Europa, keine Frage. Sie hat geglaubt, dass sie zu Putin ein besonderes Verhältnis hat, aber das nützt ihr nichts. Wenn Deutschland zu diesem Zeitpunkt sagt, dass man mit Assad reden muss, dann bekommt Putin genau die Unterstützung, die er braucht.

Denken Sie, dass die Kanzlerin ihren Vorschlag vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise in Europa gemacht hat, die ja der Krieg in Syrien ausgelöst hat?

Die Flüchtlingskrise in Europa steht in direktem Zusammenhang mit Putins Strategie. Sicherlich erklärt das den Zeitpunkt seines Vorschlages bei den Vereinten Nationen. Er hat die Hypothese, dass der Westen die Ukraine am Ende vergessen wird und das Ganze nur noch aus dem Rückspiegel betrachtet. Aus Putins Sicht hat er den Krieg in der Ukraine bereits gewonnen. Was er jetzt braucht, ist, dass die westlichen Sanktionen gegenüber Russland aufgehoben werden. Und was er Merkel und den europäischen Politikern sagt, ist: Wenn ich euch helfen kann, den Krieg in Syrien zu beenden und damit den Flüchtlingsstrom aus Syrien einzudämmen, dann müsst ihr mir etwas Gutes tun. Und wie könnt ihr mir was Gutes tun? Indem ihr die Sanktionen aufhebt. Ich glaube, das ist Teil seines Plans und seiner Erwartung.

Der Hafen von Noworossijsk am Schwarzen Meer (Foto: DW)
Der Hafen von Noworossijsk am Schwarzen Meer - von hier werden angeblich russische Waffen nach Syrien verschifftBild: DW/S. Gushcha

Es scheint, dass US-Präsident Barack Obama von Putins Initiative auf dem falschen Fuß erwischt worden ist. Wie können die Amerikaner ihren Einfluss sichern?

Es ist kein Geheimnis, dass sich Obama und Putin nicht mögen. Sie haben seit 15 Monaten nicht miteinander gesprochen. Aber sie werden jetzt bei den UN aufeinandertreffen und zwei Themen diskutieren: Putin denkt, das Hauptthema sei sein Plan für Syrien. Obama glaubt, es sei die Ukraine. Sie kommen von entgegengesetzten Seiten. Und ob sie sich in der Mitte treffen können, weiß noch keiner. Aber Putin wird im Rampenlicht stehen, im Mittelpunkt der Gespräche über Syrien. Er wird als eine Art Friedensbringer gesehen werden. Denn er hat einen Vorschlag, wie der Krieg in Syrien beendet werden könnte.

Es ist sehr schwierig für jeden westlichen Führer, auch für Obama, nicht in irgendeiner Weise mit Putin mitzuziehen. Putin hat das aus diplomatischer Sicht sehr schlau und sehr effektiv angefangen. Und an dieser Stelle müssen Obama und Merkel einen Weg finden, ihre Interessen an die Putins anzugleichen.

Wenn wir auf die nächsten Wochen schauen: Was könnte Obamas Ziel sein mit Blick auf Syrien und seine Koalition gegen den sogenannten "Islamischen Staat"?

Es hängt viel davon ab, was Obama mit Putin über das militärische Vorgehen gegen den "Islamischen Staat" vereinbaren kann. Wenn sie einen Weg finden, russische und westliche Militäroperationen zu koordinieren, wäre das wirkungsvoller im Kampf gegen den "Islamischen Staat". Aber es gibt viele Leute im Pentagon, die nicht in gemeinsame Einsätze mit den Russen hineingezogen werden wollen. Das Verhältnis ist äußerst belastet. Und es scheint so, dass Putin im Moment die Oberhand hat.

Der Journalist Marvin Kalb ist Russlandexperte des Washingtoner Thinktanks Brookings Institution. Vor kurzem hat er das Buch "Imperial Gamble. Putin, Ukraine and the New Cold War" ("Imperiales Glücksspiel: Putin, die Ukraine und der neue Kalte Krieg") veröffentlicht.

Das Interview führte Gero Schließ.