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Politik

Putin und Biden in Genf: Russlands Wünsche

Roman Goncharenko
15. Juni 2021

Vor seinem Treffen mit Biden in Genf sieht Putin Russlands Verhältnis zu den USA auf dem tiefstem Punkt seit Jahren. Und doch keimt in Moskau Hoffnung auf eine Wende. Ein Ziel hat der Kreml bereits erreicht.

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Kombobild Wladimir Putin und Joe Biden

Russische Medien kennen seit Wochen nur ein außenpolitisches Top-Thema: den Gipfel in Genf. Kremlchef Wladimir Putin trifft sich am Mittwoch in der Schweiz zum ersten Mal mit Joe Biden als neuem US-Präsidenten. Auf allen Kanälen wird stundenlang analysiert, was dabei herauskommen könnte und ob eine Wende möglich ist. Auch kleinste Details wie der Verhandlungsort, eine Villa aus dem 18. Jahrhundert, werden beschrieben, als handle es sich um einen beinahe königlichen Empfang. 

Der Kreml hält die Erwartungen niedrig. Einen Durchbruch werde es in Genf nicht geben, heißt es. Und doch lässt der Präsident auch Hoffnung durchblicken. Die Tatsache, dass man sich treffe, sei "an und für sich schon einmal nicht schlecht", sagte Putin Anfang Juni in einem Fernsehinterview. "Ich gehe von einem positiven Ergebnis aus", so der russische Präsident. Aus seiner Sicht wäre das zum Beispiel eine Vereinbarung über weitere Schritte zur "Normalisierung der russisch-amerikanischen Beziehungen". In einem Interview mit dem US-Sender NBC attestierte Putin diesen Beiziehungen den "tiefsten Stand seit Jahren". Schuld daran sei die US-Innenpolitik, so die russische Sichtweise.

Sehnsucht nach Gesprächen auf Augenhöhe

Vor dem Gipfel spüre man in Russland "sehr stark eine positive Stimmung", sagt Tatiana Stanowaja, Expertin des Moskauer Carnegie-Zentrums. So habe sich etwa der einflussreiche Chef des Sicherheitsrates, Nikolai Patruschew, nach dem Gespräch mit seinem US-Kollegen Jake Sullivan ungewöhnlich optimistisch geäußert. Die beiden hatten sich im Mai in Genf getroffen, um den Gipfel der Präsidenten vorzubereiten. In einigen Punkten sei eine Einigung mit den USA möglich, sagte Patruschew anschließend der Regierungszeitung "Rossijskaja Gaseta". Details nannte er nicht. "Die Russen haben nicht damit gerechnet, dass die US-Amerikaner so offen für Russlands Sicht sein würden", sagt Stanowaja.

Symbolbild Moskau
Die Tatsache, dass der Gipfel in Genf überhaupt stattfindet, ist für den Kreml "schon einmal nicht schlecht"Bild: picture-alliance/dpa/Y. Kochetov

Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion vor 30 Jahren äußern russische Spitzenpolitiker immer wieder den Wunsch, mit Washington wieder auf Augenhöhe zu reden. Russland sei zwar wirtschaftlich schwächer als die USA, doch weil es bei Atomwaffen vergleichbar stark sei, sei "alles andere nicht wichtig", erklärt Stanowaja die Sichtweise des Kreml.

"Russland braucht dringend Akzeptanz als Großmacht", meint auch Hans-Henning Schröder, ehemaliger Russland-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Die massive Berichterstattung im Vorfeld des Gipfels deute darauf hin, dass Putin ein größeres Interesse daran habe als Biden. Russische Experten verweisen allerdings darauf, dass es der US-Präsident war, der das Treffen initiiert hatte.

Der asymmetrische Gipfel von Genf  

Das seit der Krim-Annexion angespannte Verhältnis zwischen Moskau und Washington erlebte im Frühling mehrere Rückschläge. Biden nannte Putin in einem Interview im März einen "Mörder", Moskau zog seinen Botschafter aus Washington ab. Der Kremlchef schlug eine öffentliche Debatte mit Liveübertragung vor, der US-Präsident lehnte ab. Stattdessen legte Biden nach und verhängte neue Sanktionen gegen Russland, auch wegen versuchter Einmischung bei der Präsidentenwahl 2020, die Moskau bestreitet. Russische Diplomaten wurden des Landes verwiesen. Moskau reagierte mit der Ausweisung von US-Diplomaten und legte dem US-Botschafter nahe, nach Hause zu fliegen. Seitdem sind Botschaften beider Länder ohne Leitung. Gleichzeitig gab es einen massiven russischen Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine. Vor diesem Hintergrund rief Biden Putin im April an und schlug einen Gipfel vor. 

Viele Beobachter unterstellen dem Kremlchef, dass er Biden mit der angedrohten Eskalation in der Ostukraine zu einem Treffen gezwungen habe. Andrej Kortunow, Direktor beim Russischen Rat für Außenpolitik (RSMD) teilt diese These nicht. Er schließt aber nicht aus, dass die "Minikrise um die Ukraine" den US-Präsidenten "zusätzlich motiviert" haben könnte, sich mit Putin zu treffen.   

Belgien Brüssel | Joe Biden im Gespräch mit Jens Stoltenberg
Joe Biden nannte Wladimir Putin in einem Interview im März "eine Mörder"Bild: Stephanie Lecocq/REUTERS

Die Zeiten, als sowjetisch-amerikanische Gipfel die Welt in Atem hielten, seien vorbei, doch für Russland "können sie wichtiger als für die USA sein", sagt Kortunow: "Solche Gipfel stellen unsere Länder auf ein gleiches Niveau. Das ist wichtig für den Status und die Stellung Russlands in der Weltpolitik." Auch Tatiana Stanowaja spricht von einer "asymmetrischen Einstellung": "Für Russland ist dieser Gipfel alles, während es für Biden nur ein Schritt auf dem Weg zur Lösung des 'China-Problems' ist", meint die Expertin. Für Washington sei der künftige Umgang mit dem Rivalen China ein Top-Thema.

"Strategische Stabilität" oben auf russischer Wunschliste

Diese Diskrepanz spiegelt sich auch in der Vorbereitung des Gipfels. Ein hochrangiger russischer Diplomat bedauerte, dass Washington nicht bereit sei, in Genf eine umfassende Bestandsaufnahme bilateraler Beziehungen vorzunehmen. Moskau habe seit Sowjetzeiten breite Diskussionen über Schlüsselfragen mit Washington angestrebt, sagt Andrej Kortunow. Die USA dagegen seien dafür bekannt, lieber zunächst kleinere, pragmatische Aufgaben zu erledigen.

An Gesprächsthemen dürfte es Putin und Biden in Genf nicht mangeln. Aus Moskaus Sicht wäre "strategische Stabilität" das wichtigste Thema, sagt Kortunow. Ähnlich sieht es Hans-Henning Schröder: "Sie wollen einen Deal über strategische Atomwaffen." Nachdem die USA aus mehreren Abkommen mit Russland ausgetreten waren, stoppte Biden diesen Trend, als er im Januar das New-START-Abkommen verlängerte. Daran will Moskau in Genf anknüpfen. Gemeint seien nicht nur traditionelle Atomwaffen, sondern auch der Weltraum, Cyberattacken oder Drohnenangriffe, sagt Andrej Kortunow. Auch ein Ende diplomatischer Konfrontation dürfte oben auf der russischen Wunschliste stehen.

Bei Fragen zur Ukraine oder zu Menschenrechten in Russland sehen die Experten kaum eine Chance auf Annäherung. Moskau sei lediglich bereit, Bidens Kritik als eine Art "Pflichtprogramm" über sich ergehen zu lassen, meint Tatiana Stanowaja. Russische Hoffnungen auf einen Neufang mit den USA seien deshalb fragil. Die Expertin warnte davor, dass ein Scheitern der Gespräche in Genf Moskau dazu bewegen könnte, sich "noch aggressiver und ohne Rücksicht auf den Westen zu verhalten", auch innenpolitisch: "Ein solches Risiko gibt es."

Aus russischer Sicht wurde ein Ziel bereits vor dem Gipfel erreicht: Das Treffen findet statt. Eine mediale Bühne, die sich Putin gewünscht hat, wird es aber nicht geben. Biden lehnte eine gemeinsame Pressekonferenz in Genf ab.