Kadyrow droht Kritikern
22. Januar 2016Grosny war an diesem Freitag ein Ort der spektakulären Machtdemonstration. Die tschetschenische Führung trommelte Menschen aus der ganzen Kaukasusrepublik zusammen, um die Politik des russischen Staatschefs Wladimir Putin und des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow zu unterstützen. Nach Angaben der Veranstalter soll rund eine Million Menschen dazu in der tschetschenischen Hauptstadt zusammengekommen sein. Gemessen an der Gesamteinwohnerzahl der russischen Teilrepublik von 1,3 Millionen Bürgern hieße das, dass sämtliche Erwachsenen aus Tschetschenien an der Aktion in Grosny teilgenommen hätten.
Zuvor hatte Kadyrow Unterstützung von prominenten russischen Künstlern bekommen. Sie ließen sich mit einem Blatt Papier ablichten, auf dem stand: "#Kadyrow ist ein Patriot Russlands." Die Fotos wurden in sozialen Netzwerken verbreitet.
Der 39-Jährige hatte diese Art der Solidarität offenbar bitter nötig. In den Tagen zuvor hatte Kadyrow sich nämlich einen beispiellosen Konflikt mit Vertretern der liberalen Opposition geliefert, die es gewagt hatten, ihn und den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu kritisieren. Der verbale Schlagabtausch wurde immer härter und erinnerte an die Rhetorik der 1930er Jahre, als es unter dem sowjetischen Diktator Stalin zu Massenterror gegen Andersdenkende kam. Kadyrow schimpfte auf "Volksfeinde", die man hart bestrafen solle. Oppositionelle sahen darin eine "direkte Bedrohung".
Putin-Gegner in Lebensgefahr
Die Kritiker werfen Kadyrow und Putin vor allem Menschenrechtsverletzungen vor. Der seit längerer Zeit schwelende Konflikt eskalierte vor eineinhalb Wochen. Bei seinem Auftritt vor Journalisten in Grosny am 12. Januar beschimpfte der Tschetschenenführer die oppositionellen Kräfte als "Verräter", die zusammen mit dem Westen dem russischen Staat schadeten. Die sogenannte "systemferne", also außerparlamentarische Opposition solle man vor Gericht stellen.
Für Aufsehen sorgte der Fall eines Lokalpolitikers aus Krasnojarsk in Sibirien. Konstantin Sentschenko kritisierte Kadyrows Hetze und nannte ihn auf Facebook "eine Schande für Russland". Kurze Zeit später postete Kadyrow in seinem Profil bei Instagram ein Video, in dem sich Sentschenko bei ihm entschuldigt. Er habe sich vergaloppiert, sagt der sichtbar verängstigte Mann. Viele Beobachter gehen davon aus, dass der sibirische Politiker zum Kotau gezwungen wurde.
Einige russische Intellektuelle, darunter Menschenrechtsaktivisten, Schriftsteller und Historiker, forderten in einem offenen Brief Kadyrows Rücktritt. "Das Ziel dieses Appels war, dass jemand Kadyrow in die Schranken weist", sagt Igor Kaljapin, Leiter der Menschenrechtsorganisation Komitee gegen Folter aus Nischni Nowgorod und einer der Unterzeichner. "Putin ist der Einzige, der das machen könnte." Die große Gefahr von Kadyrows Äußerungen über "Volksfeinde" bestehe darin, dass Extremisten in Russland sie als Anweisung zum Handeln verstehen könnten.
Drohungen auch gegen DW-Partner
Auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International appellierte am Donnerstag an die russische Führung, auf Kadyrows Drohungen gegen Oppositionelle und Vertreter der Zivilgesellschaft zu reagieren. Zuvor rügte die russische Menschenrechtsbeauftragte Ella Pamfilowa den tschetschenischen Anführer. Seine Wortwahl und Bezeichnungen wie "Volksfeinde" seien "nicht nur sinnlos, sondern auch gefährlich".
Kadyrow ruderte zunächst scheinbar zurück und sagte, er habe vor allem diejenigen gemeint, die aus dem Ausland Russland und Putin kritisieren. Das galt wohl dem ehemaligen Ölmagnaten und Kremlkritiker Michail Chodorkowski, der nach fast zehn Jahren russischer Haft nun in der Schweiz im Exil lebt und von dort zum Machtwechsel in Moskau aufruft.
In Wirklichkeit dachte Ramsan Kadyrow offensichtlich nicht daran, seine verbalen Attacken zu mildern. Er legte sogar noch nach. In einem Beitrag für die Zeitung "Iswestija" Anfang der Woche beschimpfte Kadyrow seine Kritiker als "Schakale" und bot ihnen eine Behandlung in der Psychiatrie an. Er erwähnte ausdrücklich auch mehrere Medien, darunter den Radiosender "Echo Moskwy" und den ebenfalls in Moskau ansässigen TV-Sender "Doschd" (Regen), einen Partner der Deutschen Welle. Sich selbst bezeichnete Kadyrow als "Putins Landser" - eine Beschreibung, die er gerne wiederholt. Er schwor, "keine Gnade" mit Russlands Feinden zu haben.
"Putins Russland beginnt in Tschetschenien"
Eine Reaktion Putins ist bisher ausgeblieben. Sein Pressesprecher Dmitri Peskow reagierte am Mittwoch eher zurückhaltend: Man solle nicht übertreiben. Kadyrow habe diejenigen Kräfte gemeint, die bereit seien, Gesetze zu brechen, so Peskow.
Kadyrow machte in den vergangenen Jahren eine beispiellose Karriere vom Kämpfer zum einflussreichen Politiker. In den 1990er Jahren kämpfte er mit Waffen gegen russische Truppen für tschetschenische Unabhängigkeit. Ende der 1990er Jahre wechselte er zusammen mit seinem Vater, Achmat Kadyrow, die Seiten und schwor der Regierung in Moskau Treue. Sein Vater wurde zum tschetschenischen Präsidenten gewählt, kam später bei einem Anschlag ums Leben und so rückte sein Sohn zum stellvertretenden Regierungschef auf und wurde 2007 selbst Präsident der Teilrepublik.
Seine Anhänger loben Ramsan Kadyrow dafür, dass er für Stabilität in der von zwei Kriegen zerstörten Republik gesorgt habe. Doch Menschenrechtsaktivisten werfen ihm vor, eine Schreckensherrschaft etabliert zu haben. Die Spuren mehrerer Prominenten-Morde, darunter an der Journalistin Anna Politkowskaja 2006 und an dem Oppositionspolitiker Boris Nemzow 2015, sollen angeblich nach Tschetschenien führen.
Der russische Publizist Oleg Kaschin beschreibt Tschetschenien als "schreckliches Königreich", einen rechtsfreien Raum. Verantwortlich dafür sei Putin. "Tschetschenien ist die extremste Form des putinschen Machtsystems", meint Kaschin. Wer das moderne Russland verstehen möchte, solle nicht auf das glitzernde Moskau schauen, sondern auf Kadyrows Grosny: "Putins Russland beginnt dort."