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Die Altlasten der Grünen

Diana Peßler26. Mai 2013

Im Wahljahr müssen sich die Grünen einer heiklen Debatte stellen: Inwieweit wurde bei den Grünen in der Vergangenheit Pädophilie propagiert? Die Partei will dieses Kapitel ihrer Geschichte jetzt aufarbeiten.

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Ein kleiner Junge schaut sich auf dem Bundesparteitag der Grünen in Berlin die Halle an.
Bild: picture-alliance/dpa

"Krass" ist das Wort, das Markus Schnapka einfällt, wenn er an den Parteitag der nordrhein-westfälischen Grünen 1985 in Lüdenscheid zurückdenkt. Ein Chaosparteitag. Mitglieder schrien einander nieder, um sich Gehör zu verschaffen. Keine Position war zu obskur, um besprochen zu werden. "Die Grünen waren damals Kristallisationsort für Menschen, die sich Hoffnungen in der Politik machten, die sie mit den etablierten Parteien nicht umsetzen konnten", sagt Schnapka, der bis heute Mitglied der Partei ist.

Und so suchten auch pädophile Gruppen ihre Chance auf Mitbestimmung bei den Grünen. Es gab sogar eine eigene Arbeitsgruppe Schwule und Päderasten. Bei dem Lüdenscheider Parteitag, bei dem auch Schnapka anwesend war, schaffte sie es sogar, ein Diskussionspapier im Landtagswahlprogramm unterzubringen. Darin fand sich die Forderung, dass gewaltfreie Sexualität zwischen Kindern und Erwachsenen nicht länger strafbar sein solle. Die Reaktionen waren heftig: Die Medien prügelten auf die "Kindersex-Befürworter" ein. Aber auch aus den eigenen Reihen gab es Kritik. Der Landesverband kassierte den Beschluss zur Streichung des Sexualstrafrechts nur wenig später. Die Landtagswahl wurde dennoch zu einer krachenden Niederlage.

"Zwiespältige Rolle" prominenter Grüner

Der Grünen-Europapolitiker Daniel Cohn-Bendit während der Verleihung des Theodor-Heuss-Preises (Foto: dpa)
Der umstrittene Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit bei der Verleihung des Theodor-Heuss-PreisesBild: picture-alliance/dpa

Obwohl die Grünen nach Ansicht des Politikwissenschaftlers Lothar Probst niemals ein durchgängiges Forum für pädophiles Gedankengut waren, steht fest, dass einige Teile der Partei offen dafür waren. Und: "Es gab auch prominente Grüne, die in dieser Frage durchaus eine etwas zwiespältige Rolle gespielt haben."

Das gilt beispielsweise für den grünen Europa-Politiker Daniel Cohn-Bendit, Mitbegründer und Ikone der grünen Bewegung. Als ihm im März dieses Jahres der renommierte Theodor-Heuss-Preis verliehen werden sollte, entzündete sich erneut die Debatte um frühere Äußerungen Cohn-Bendits und um den Umgang der Grünen mit dem Thema Pädophilie.

Cohn-Bendit hatte 1975 in einer Art Biografie über seine Arbeit in einem alternativen Frankfurter Kindergarten geschrieben. "Mein ständiger Flirt mit allen Kindern nahm bald erotische Züge an", heißt es da. Cohn-Bendit beschreibt, dass Kinder ihm mehrmals "den Hosenlatz" geöffnet hätten, um ihn zu streicheln. Auch er habe Kinder gestreichelt. Daniel Cohn-Bendit bezeichnete seine Äußerungen später als "unerträgliche Provokation". Sie seien seiner Fantasie entsprungen und er habe sich niemals an Kindern vergriffen. Gegenteilig lautende Vorwürfe sind tatsächlich nicht bekannt.

Dass einige Grüne mit pädophilen Positionen liebäugelten, müsse man im historischen Kontext betrachten, meint Politikwissenschaftler Probst. Die 1980 gegründete Partei sei ein Produkt der antiautoritären Bewegung der späten 60er und der 70er Jahre. Diese Bewegung hatte dem Muff einer konservativen und prüden Gesellschaft den Kampf angesagt. "Man wollte die Sexualität befreien und ist dabei weit übers Ziel hinausgeschossen. Der ungezwungene Umgang auch in der Sexualität zwischen Kindern und Erwachsenen war nicht nur eine naive, sondern auch gefährliche Vorstellung in Teilen dieser Bewegung", so Probst.

Uschi Obermaier und Rainer Langhans in der Wohngemeinschaft Kommune 1 (Foto: picture-alliance)
Die politische Wohngemeinschaft Kommune 1 gilt als Wiege der sexuellen Revolution in DeutschlandBild: picture-alliance/KPA TG

Meinungsfreiheit contra Chaos

Für Grünen-Mitglied Markus Schnapka war diese gefährliche Vorstellung nicht akzeptabel. Dass er und viele andere Grüne den Pädophilen trotzdem so wenig Widerstand entgegensetzten, erklärt er sich auch mit dem damaligen Anspruch der Partei: "Die Grünen haben sich als Plattform empfunden für Meinungen, die ansonsten nicht zum Zuge kommen können." Und so duldeten die Grünen beispielsweise auch die sogenannten Stadtindianer, die sich offen für straffreien Sex mit Kindern einsetzten und Kinder instrumentalisierten, um grüne Parteitage zu sprengen: "Das war Chaos pur, wenn die Stadtindianer auf die Bühne stürmten, das Podium auflösten, die Tische umrissen und dann darauf vertrauen konnten, dass ihnen als Kinder nicht die Regeln gewiesen werden. Das war eine total heftige Situation und das war aus meiner Sicht Missbrauch von Kindern."

Mitglieder der sogenannten Indianerkommune besetzen das Rednerpult und stören den Parteitag der Grünen in Dortmund 1980 (Foto: picture-alliance)
Bei den frühen Parteitagen der Grünen ging es oft wild zu, es gab keine thematischen TabusBild: picture-alliance/Sven Simon

Später Wunsch nach Aufarbeitung

Nach den Erfahrungen des Lüdenscheider Parteitags und den Reaktionen darauf, distanzierten sich die Grünen bald von pädophilen Positionen und trennten sich von den entsprechenden Interessensgruppen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Schwule und Päderasten wurde 1987 aufgelöst. "Wichtig ist, dass die Entkriminalisierung von Sex zwischen Erwachsenen und Kindern nie Bestandteil grüner Realpolitik geworden ist, von daher ist die nötige Abgrenzung erfolgt", sagt Monika Düker, die seit 1988 in der Partei aktiv ist und heute Landesvorsitzende der NRW-Grünen ist. Dass dieses Kapitel der grünen Parteiengeschichte nun noch einmal Bestandteil einer umfassenden, wissenschaftlichen Aufarbeitung werden soll, findet sie gut. Der Göttinger Politikwissenschaftler Franz Walter soll als unabhängiger Parteienforscher im Auftrag des Bundesvorstandes nachzeichnen, wie lange und in welchem Umfang pädophile Gruppen in der Partei Einfluss genommen haben.

Politikwissenschaftler Lothar Probst kritisiert, dass sich die Grünen bereits früher zu diesem Schritt hätten entschließen müssen. "Die Grünen sind eine Partei, die auch von anderen fordert, dass sie lückenlos mit ihrer Vergangenheit umgehen und insofern müssen sie sich an diesem Anspruch auch messen lassen. Ich denke, dass da durchaus noch einiges ans Tageslicht kommt, was man jetzt im Detail noch nicht weiß."

Die NRW-Vorsitzende Monika Düker hat bereits einen Blick in die Archive ihres Landesverbandes geworfen und alte Protokolle des Lüdenscheider Parteitags von 1985 studiert: "Da habe ich schon schlucken müssen bei einigen Passagen."