Rückenwind für die Rechtsfront
23. März 2014Noch kurz vor der ersten Runde der Kommunalwahlen am Sonntag (23.03.2014) richtete der sozialistische Premierminister Frankreichs einen eindringlichen Appell an seine Landsleute: Es müsse alles unternommen werden, damit der rechtsextreme Front National (FN) keine Rathäuser erobere, sagte Jean-Marc Ayrault in einem Radio-Interview. Ansonsten sei die Republik gescheitert, "weil wir wissen, dass der Front National aufgrund von Verunsicherung und Ängsten wächst, aber keine Lösungen bringt". Ein beträchtlicher Teil der Franzosen ist offenbar anderer Meinung als der Regierungschef: In einer repräsentativen Umfrage für die Zeitung "Le Monde" sagten 40 Prozent der Befragten, FN-Chefin Marine Le Pen liefere "neue Ideen, um die Probleme Frankreichs zu lösen". Und 34 Prozent gaben an, hinter den Zielen der rechtsextremen Partei zu stehen.
Zuwanderung und schwache Parteien
Was die Auslöser sind für die von Premierminister Ayrault angesprochenen Ängste und die Verunsicherung, erklärt Hans Stark, Politologe am Forschungsinstitut IFRI in Paris: "Neben der Angst vor zu viel Zuwanderung aus den Maghreb-Staaten und Südosteuropa ist es auch eine Abwehrhaltung gegenüber dem, was man hier als Globalisierung bezeichnet - also die Öffnung der Grenzen, der internationale Handel. Da gibt es die Wahrnehmung, dass einige Länder davon mehr profitieren als Frankreich, etwa Deutschland oder China."
Die derzeitige Stärke des Front National habe auch mit der Schwäche der etablierten Parteien zu tun, sagt Henrik Uterwedde vom Deutsch-Französischen Institut in Ludwigsburg: "Viele Franzosen sind unzufrieden mit Präsident François Hollande, weil er schwierige und unpopuläre Reformen anpacken muss, um die Wirtschaft wieder flott zu kriegen. Und auch die große Oppositionspartei ist nicht gut in Form." Uterwedde verweist auf die Machtkämpfe innerhalb der oppositionellen konservativen Partei, der UMP, und die jüngst vorgebrachten Korruptionsvorwürfe gegen den ehemaligen konservativen Präsidenten Nicolas Sarkozy. Dabei geht es um mutmaßliche illegale Wahlkampfspenden im Jahr 2007 aus Libyen - außerdem um den Verdacht, Sarkozy habe sich über einen Staatsanwalt am höchsten Gericht Informationen über den Stand des Verfahrens in einer weiteren Affäre besorgen wollen.
Erfolgreiche "Entteufelung"
Nicht zuletzt gilt vielen die "dédiabolisation", die "Entteufelung" des Front National, als Schlüssel seines gegenwärtigen Erfolgs. Marine Le Pen hat den Prozess angestoßen, nachdem sie 2011 den Parteivorsitz von ihrem Vater übernommen hatte. Der hatte die Öffentlichkeit immer wieder mit antisemitischen Äußerungen schockiert - etwa mit der Bemerkung, die Gaskammern der Nazis sehe er nur als "Detail der Geschichte". Seine Tochter reagierte entschlossen, wenn Parteimitglieder sich antisemitisch äußerten und hört es auch nicht gern, wenn ihre Partei als "rechts" definiert wird.
Tatsächlich scheint der FN das Image des Bürgerschrecks abgestreift zu haben: Marine Le Pens Vize, der 32-Jährige Florian Philippot, wird in den Medien mitunter als "vertrauenerweckend jungenhaft" beschrieben; bei seiner Wahlkampftour empfingen ihn alle freudig, von der jungen Französin bis zum betagten Tunesier. Inzwischen gebe es maghrebstämmige Franzosen auf den Kandidatenlisten des FN, berichtet Frankreich-Kenner Henrik Uterwedde. Und betont dabei: "Es bleibt eine Partei mit einer bestimmten Radikalität und vermeintlich einfachen Antworten: 'raus aus dem Euro, raus aus der EU, sozialstaatliche Leistungen nur für Franzosen'."
Bündnis der Rechtsparteien
Nicht nur für die Kommunalwahlen in Frankreich, auch für die Europawahlen im Mai werden dem Front National hohe Zustimmungsraten vorhergesagt. Seit 2004 ist Parteichefin Marine Le Pen bereits Mitglied des Europaparlaments. Für die kommende Legislaturperiode hat sie sich neue Ziele gesteckt. Zusammen mit Geert Wilders, dem Chef der rechtspopulistischen Partei für die Freiheit in den Niederlanden, gründete sie schon im vergangenen Jahr ein Bündnis - um nun, mit anderen gleichgesinnten Parteien, Fraktionsstatus im Europäischen Parlament zu erreichen. Dazu sind mindestens 25 Abgeordnete aus sieben Ländern notwendig.
Häufig ist davon die Rede, dass die rechtspopulistischen und anti-europäischen Parteien im Europaparlament zwar eine gemeinsame Linie hätten - die ablehnende Haltung gegenüber Europa -, ansonsten aber vor allem zahlreiche Meinungsverschiedenheiten. Politologe Hans Stark ist jedoch der Meinung: "Leute wie Le Pen und Wilders sind klug genug, mittel- und langfristig zu denken und inhaltliche Unterschiede, die existieren, nicht zu groß werden zu lassen - und die Möglichkeit einer Zusammenarbeit aufrechtzuerhalten."
"Basis für konstruktive Politik immer schmaler"
Die Freiheitliche Partei Österreichs FPÖ oder die United Kingdom Independence Party UKIP, die Lega Nord aus Italien oder die Partei der Morgenröte aus Griechenland - in sämtlichen europäischen Ländern können rechte Parteien damit rechnen, aus der Krisenstimmung Kapital für die Europawahl zu schlagen. Die deutsche NPD hofft bei den Europawahlen auf ihren ersten Einzug ins Straßburger Parlament, nachdem das Bundesverfassungsgericht die Drei-Prozent-Hürde gekippt hat. Und der Front National in Frankreich könnte bei der Europawahl laut Umfragen zweitstärkste oder gar stärkste Partei werden.
Das Erstarken radikaler und damit auch europafeindlicher Parteien mache die Basis für konstruktive Politik im EU-Parlament immer schmaler, sagt Henrik Uterwedde. Und formuliert daraus den Anspruch an die gemäßigten Parteien: "Sie werden den Bürgern deutlicher sagen müssen, was sie von Europa wollen. Erklären, warum bestimmte europäische Lösungen gut sind - vielleicht auch offener sagen, was man damit aufgibt. Es ist also die Stunde der Wahrheit und Klarheit."