Nestmeyer: "Panische Angst vor dem geschriebenen Wort"
15. November 2018Jedes Jahr am internationalen "Writers-in-Prison-Day" macht die Schriftstellervereinigung PEN auf die Schicksale eingesperrter und verfolgter Autoren aufmerksam. 2018 wurden folgende fünf Fälle ausgewählt - sie stehen beispielhaft für die Unterdrückung, denen Autoren auf der ganzen Welt täglich ausgesetzt sind: Wael Abbas (Ägypten), Shahidul Alam (Bangladesh), Mirsolava Beach Velducea (Mexiko), Dawit Isaak (Eritrea) und Oleg Sentsov (Russland).
Die Deutsche Welle hat mit dem Journalisten und Schriftsteller Ralf Nestmeyer gesprochen, er ist der Writers-in-Prison-Beauftragte des deutschen PEN-Zentrums in Darmstadt.
Herr Nestmeyer, der PEN richtet seinen Fokus am diesjährigen Writers-in-Prison-Day auf fünf Schicksale. Was haben diese Fälle gemeinsam?
Sie haben gemeinsam, dass es sich um Autoren handelt, die von ihrer Freiheit des Wortes Gebrauch gemacht haben, um Missstände anzuprangern - und dafür mit Konsequenzen rechnen mussten. Sprich: Sie sind entweder im Gefängnis gelandet oder sie sind verschollen - wie das Beispiel von Dawit Isaak aus Eritrea zeigt, von dem man seit 17 Jahren nichts mehr weiß. Bis hin zu der mexikanischen Journalistin Miroslava Breach Velducea, die ermordet wurde.
Das freie Wort, wo ist es Ihrer Beobachtung nach besonders bedroht in der Welt?
Oha, da gibt es ganz viele Orte in der Welt, wo es bedroht ist, nicht nur in den Ländern dieser fünf Autoren. Das geht weiter - angefangen bei der Türkei, mit ca. 160 inhaftierten Journalisten eines der größten Gefängnisse für Journalisten weltweit, bis hin zu Ländern wie China, wo man gar nicht genau überschaut, wer da eigentlich alles im Gefängnis sitzt.
Warum fürchten sich die Mächtigen vor der Meinung anderer, wenn sie doch die Macht in den Händen halten?
Am meisten fühlen sie sich bedroht, weil Missstände angeprangert werden könnten oder Dinge angesprochen, die ihre Macht ins Wanken bringen könnte.
Aber was macht das freie Wort so gefährlich für die Herrschenden?
Diktaturen haben vor allem eines gemein – dass sie panische Angst vor dem geschriebenen Wort, vor kritischer Meinung, haben. Was kritisch ist und was kritisiert wird, bestimmen allein die Autoren. Da haben die Machthaber keinen Zugriff. Das macht ihnen Angst.
Ist es die Angst vor Kontrollverlust?
Vor Kontrollverlust und vor unangenehmen Wahrheiten. Das hat sich in den letzten 100 Jahren nicht geändert, weshalb viele Schriftsteller und Autoren ins Exil gehen mussten.
Sie selbst sind Reisejournalist und beschreiben gewöhnlich die Schönheiten eines Landes. Wenn Sie als PEN-Vize in die Türkei blicken - was sehen Sie da?
Die Türkei ist sicher ein sehr schönes Land. Aber dort gibt es politische Missstände, die man nicht leugnen kann. Die Autoren dort sollen natürlich das Wort ergreifen. Aber Präsident Erdogan versucht das einzudämmen und Kontrolle über die Medien auszuüben. Es gibt kaum noch Medien, die frei berichten können.
Was kann die Arroganz der Mächtigen und der Macht brechen?
Da hilft nur die Anprangerung dieser Missstände. Das versucht der Internationale PEN - auch indem er einen Fokus auf das Schicksal betroffener Autoren richtet. Das kommt auch bei den Inhaftierten an. Von den fünf inhaftierten Autoren, auf deren Schicksal wir im letzten Jahr aufmerksam gemacht haben, sind mittlerweile drei frei gekommen. Sprich: Unser Protest zeigt Wirkung.
Mit Ralf Nestmeyer sprach Stefan Dege.
Auch die Deutsche Welle informiert auf einer Sonderseite über die Lage von Schriftstellern, Verlegern, Bloggern und Journalisten.