Vorbehalte gegen Ausländer bei Polizei
26. November 2014Wird bei der Polizei nach Gewalttätern gefahndet, rücken oft automatisch Personen mit russischem Migrationshintergrund in den Mittelpunkt. Geht es um die Verfolgung von Einbruchsdelikten, suchen Polizeikräfte häufig nach "Männern aus dem osteuropäischen Raum". Stehen Untersuchungen im Zusammenhang mit Aufenthaltsdelikten an, wird fast ausschließlich nach Personen mit "dunkler Hautfarbe" gesucht. Bei Verkehrskontrollen in der Nacht werden regelmäßig vor allem Fahrer aus dem Verkehr gezogen, die "südländisch" wirken. Derartiges Klischeeverhalten beobachteten Polizeibeamte in einer Befragung zu Forschungszwecken an sich selbst. Sie verteidigten dies oft mit dem großen Druck, innerhalb von kürzester Zeit Entscheidungen treffen zu müssen.
Dass es Handlungsmuster wie im amerikanischen Ort Ferguson auch in Deutschland gibt, zeigte unter anderem die späte Aufklärung der Mordserie der rechtsextremen terroristischen Vereinigung "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU). Jahrelang begingen die Täter des NSU unerkannt Morde an vorwiegend türkischstämmigen Männern, viele von ihnen Unternehmer. Die Ermittler deutscher Sicherheitsbehörden gingen lange Zeit davon aus, dass die Morde im Zusammenhang türkischer Bandenkriege standen und verdächtigten sogar Angehörige der Mordopfer, die Taten selbst begangen zu haben. Dass Neonazis aus Ausländerhass hinter der Mordserie standen, habe "außerhalb des Vorstellungsvermögens der Polizei" gelegen, versicherte der bisherige Chef des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke fassungslos.
Haltlose Vorwürfe
"Es gibt keinen Rassismus bei der Polizei", sagt der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) im Interview mit der Deutschen Welle. Die Ermittlungsfehler im Fall der NSU-Mordserie beruhten auf mangelnder Kommunikation etlicher Sicherheitsbehörden untereinander, auf handwerklichen Fehlern, aber vor allem auf Vorgaben der Politik. Wendt wird konkret: "Von Flensburg bis Passau war die gesamte politische Elite über Jahrzehnte der Auffassung, dass es Rechtsextremismus in Deutschland nicht mehr gibt. Da kann gar nichts mehr passieren!" Da falle es nachgeordneten Behörden eher schwer, dieser politischen Elite zu sagen: Herr Minister, wir haben da doch ein Problem.
"Das hat alles weder mit Klischeedenken noch mit rassistischen Tendenzen in der Polizei zu tun", sagt Rainer Wendt, selbst langjähriger Polizeibeamter. Tatsächlich legen die Polizeibehörden sehr viel Wert auf strikte Achtung der Hierachie. Polizeibehörden verhalten sich Ministerien gegenüber sehr ergeben. Aber das führt eher dazu, dass man alles tut, um sich jedem Verdacht eines fremdenfeindlichen Verhaltens zu entziehen. Beispiel Nordrhein Westfalen: Im größten Bundesland gibt es keine einzige öffentliche Statsistik zu Verbrechen, die zwischen deutschen und ausländischen Tätern unterscheidet. Eine solche Statistik scheint der in Nordrhein-Westfalen regierenden Koalition aus Sozialdemokraten und Grünen politisch nicht opportun.
Die Vorurteile
Dennoch muss es eine Art "Schubladendenken" bei der Polizei geben. Dieses Denken sollte aufgearbeitet und junge Polizei-Nachwuchskräfte auf die mit Klischeedenken verbundenen Handlungsfallen aufmerksam gemacht werden. Deshalb führte die Polizeiakademie Niedersachsen ein Forschungsprojekt durch, das Erfahrungen von Polizisten zum Thema Vorurteile sammelte. Titel der Studie: "Interkulturelle Qualifizierung der Polizei". Eine solche Untersuchung hatte es seit dem Jahr 1996 nicht mehr gegeben - wohl aus Angst vor den Konsequenzen.
Astrid Jacobsen leitete das aktuelle Forschungsprojekt aus dem Jahr 2013 als Professorin an der Polizeiakademie Niedersachsen und bekannte angesichts der Ergebnisse in einem Presse-Interview, dass es in den Köpfen von Polizisten alle jene Klischees und ethnischen Vorbehalte gibt, wie sie auch in der deutschen Gesellschaft zu finden seien. Der Grund dafür bestehe darin, dass die überwiegende Mehrheit der Polizisten aus der Mittelschicht in Deutschland stamme. In dieser Bevölkerungsgruppe seien Vorurteile weit verbreitet, weil Abgrenzung und Verlustängste dort eine große Rolle spielten.
Schlimme gesellschaftliche Folgen
Eines der in der Forschungsarbeit gesammelten Beispiele zeigt, welch fatale Fehleinschätzungen aus ethnischen Vorbehalten resultieren. In Rheinland-Pfalz wurde der Polizei ein Einbruch in ein Einfamilienhaus gemeldet. Die Polizei kam und verhaftete kurzerhand den türkischen Vater in dem Haushalt. Man ging einfach davon aus, dass der Familienvater "häusliche Gewalt" ausgeübt hatte. Es offenbarte sich die Denkweise: Türkischer Mann gleich Täter - und nicht Opfer.
Im Jahr 2010 hatte bereits eine Studie der Europäischen Union anhand von Unterlagen der Sicherheitsbehörden belegt, dass die Bundespolizei bei Ausweiskontrollen an Grenzen, Bahnhöfen und Flughäfen vorzugsweise Personen kontrollierte, die "erkennbar ausländisch" aussahen. Ein solches Vorgehen verstärke in der Bevölkerung Ressentiments gegenüber bestimmten Bevölkerungsgruppen, lautete der Vorwurf von Amnesty International und dem Institut für Menschenrechte.
Rainer Wendt, der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, findet die Beschuldigung, die Polizei gehe hier rassistisch vor, absolut ungerecht. Die Bundespolizei habe die Verpflichtung vom Gesetzgeber, zum Beispiel nach illegaler Migration Ausschau zu halten. Wendt fragt: "Warum soll ein Bundespolizist eine 80-jährige deutsche Oma kontrollieren, wenn dort ein 20-jähriger offensichtlich erkennbarer Afrikaner sitzt?" Es müsse einem Bundespolizisten schon gestattet sein, bei seinen Dienstaufgaben den "gesunden Menschenverstand" einzuschalten.
Migranten für die Polizei
Die Polizei sei sehr darum bemüht, in den eigenen Reihen interkulturelle Kompetenzen nicht nur zu vermitteln, sondern auch ständig zu aktualisieren, erklärt der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft. Die sprachlichen Fähigkeiten und das kulturelle Bewusstsein von Migranten im Polizeidienst sind nach Einschätzung deutscher Sicherheitsbehörden von unschätzbarem Wert. "Wir unterstützen diesen Kurs!", stellt Rainer Wendt klar.
Die Polizeiakademie Niedersachsen kann bereits erste Erfolge ihrer Bemühungen verzeichnen. Am 1. Oktober 2014 haben 670 Polizeikommissaranwärterinnen und -anwärter mit dem dreijährigen Bachelorstudium begonnen. Davon haben 88 Studierende (13,1 %) einen Migrationshintergrund. Dennoch sucht die Akademie auf der Internetseite www.polizei-studium.de weiter.