"Geistig noch in der Grundschule"
28. März 2019Dass Danny Rose und Raheem Sterling am Montag beim Länderspiel der englischen Fußballnationalmannschaft mit Affenrufen beleidigt wurden, war keine neue Erfahrung für die beiden dunkelhäutigen Spieler bei internationalen Spielen auf dem Balkan. Schon beim Spiel der englischen U21 im Oktober 2012 in Krusevac gegen Serbien waren die beiden auf diese Weise geschmäht worden. Rose, damals 22 Jahre alt, hatte die Rote Karte gesehen, weil er aus Wut über die Ausfälle der Zuschauer den Ball auf die Tribüne gejagt hatte. Sterling, als Ersatzspieler im Team, war damals gerade mal 17 Jahre alt.
"Es ist eine echte Schande, irgendwo hinzukommen und daran erinnert zu werden, welche Hautfarbe man hat oder wie man aussieht", sagte Sterling, der nach seinem Treffer zum 5:1-Endstand für England in Richtung der montenegrinischen Fans auf seine Ohren gezeigt hatte, nach den Vorfällen am Montag. "Ich weiß, welche Hautfarbe ich habe. Es ist eine Schande, dass es manche Leute cool finden, sich über dich lustig zu machen."
Problem wird geleugnet oder verharmlost
Seit der Auflösung des ehemaligen Jugoslawien ist Rassismus im Fußball auf dem Balkan weit verbreitet. Nur wenige Monate vor Roses und Sterlings schlimmer Erfahrung in Serbien 2012 hatten kroatische Fans während der Europameisterschaft in Polen Bananen in Richtung des Italieners Mario Balotelli geworfen. 2017 verließ der brasilianische Mittelfeldspieler Everton Luiz von Partizan Belgrad das Feld unter Tränen, nachdem er 90 Minuten lang von Fans des Teams FK Rad rassistisch beleidigt worden war. Partizan-Trainer Marko Nikolic hatte seinerzeit beklagt, dass der Vorfall "normal im serbischen Fußball" sei. Doch solche Äußerungen sind eher die Ausnahme. Viel häufiger leugnen oder verharmlosen Politiker, Offizielle und Fans in den Balkanstaaten rassistische Ausfälle im Fußball.
"Sie begreifen nicht, wie man sie des Rassismus beschuldigen kann, wenn es in ihrer Gesellschaft doch kaum unterschiedliche Rassen gibt. Das können sie nicht akzeptieren", erklärt Damir Pilic, ein ehemaliger Ultra des kroatischen Klubs Hajduk Split, im Gespräch mit der DW. "Wenn sie gegen einen stärkeren Gegner verlieren, sehen sie es nur als ein Werkzeug, um einen Gegner zu demütigen, der sie selbst gedemütigt hat. Aber wenn du sie nach dem Spiel fragst, ob sie rassistisch sind, werden sie es leugnen." Aus westlicher Sicht klinge dies sicher paradox, sagt Pilic. "Aber wenn es um Rassismus geht, sind viele Menschen auf dem Balkan geistig noch in der Grundschule. Wir haben kaum Schwarze in der Region. Die Leute verstehen einfach nicht, welche weitreichende Folgen ein solches Verhalten hat."
Nationalismus entlädt sich in Rassismus
Pilic hat der Ultra-Szene von Hajduk den Rücken gekehrt, wegen faschistischer Tendenzen der Fans. Heute schreibt er über Fußball in Kroatien und den anderen Balkanstaaten. Rassismus sei eine Fortsetzung des Nationalismus in der Region, sagt Pilic. Schwarze Spieler würden einfach als "andersartig" eingestuft, genauso wie Spieler anderer Nationalitäten. "Nationalismus ist immer noch ein Riesenproblem im gesamten ehemaligen Jugoslawien", so Pilic. "Man hört oft abfällige Lieder über Spieler, weil sie serbisch, kroatisch oder bosnisch sind, wenn sie nicht zur eigenen Nationalität der Fans gehören. Im Alltag ist Rassismus eher selten, weil es einfach nicht viele unterschiedliche Rassen gibt."
Auch der in Zagreb lebende Journalist Igor Lasic war von den Ereignissen in Montenegro nicht überrascht. Die Fans hätten die schwarzen englischen Spieler wahrscheinlich als "temporäre Ziele" betrachtetet, glaubt Lasic. Sie hätten an den Spielern der gegnerischen Mannschaft ihre Frustration entladen, die von ihren eigenen sozialen Problemen herrührten, die wiederum ein Vermächtnis von Krieg und Wirtschaftskrise seien. "Es sind oft junge Menschen ohne Arbeit, die von nationalistischen politischen Parteien manipuliert werden", sagt Lasic der DW. "Es ist eine ganz besondere Situation. In den 1980er Jahren war es ein Randproblem. Aber seit dem Krieg ist es zu dem Wahnsinn eskaliert, den wir heute haben."
"Nicht optimistisch"
Der frühere Ultra Damir Pilic weist darauf hin, dass in Kroatien in den vergangenen Jahren immerhin Anstrengungen unternommen worden seien, um die staatsbürgerliche Erziehung an den Schulen zu verbessern. Liberale Parteien stießen jedoch auf starken Widerstand von Regierung und Kirche. "Die gesamte Einstellung in der Gesellschaft muss sich ändern", sagt Pilic. "Wir müssen einen Schritt zurück machen, weg vom Nationalismus in Kroatien, in Serbien, in Bosnien und in Montenegro. Aber seit der Auflösung Jugoslawiens ist er so tief in unserer Kultur verwurzelt, dass ich nicht optimistisch bin."