Was bringen Verbote?
5. Juni 2012
Seit dem Bekanntwerden einer Mordserie von drei Rechtsextremisten im vergangenen Jahr wird in Deutschland erneut über das Verbot der rechtsextremen Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) diskutiert. Die rassistische und nationalistische Partei wurde 1964 gegründet und ist die derzeit bekannteste Partei am rechten Rand. In den Landtagen der beiden Bundesländer Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern sitzen Abgeordnete der NPD. In aktuellen Umfragen aber liegt die NPD dort bei nur noch zwei bis drei Prozent und würde damit bei Wahlen nicht mehr in den Landtagen vertreten sein. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich nannte die NPD vor kurzem eine "absterbende Partei". Die Wähler hätten begriffen, dieser Partei keine Stimme zu geben. Dennoch betonte Friedrich in einem Interview mit der "Leipziger Volkszeitung", es gebe "ganz klare verfassungsfeindliche Erscheinungen".
Ein erstes Verbotsverfahren gegen die NPD scheiterte im Jahr 2001. Das Bundesverfassungsgericht stellte das Verfahren ein, weil es Informanten des Verfassungsschutzes, sogenannte V-Leute, in der NPD gab. Im März 2012 beschlossen die Innenminister, diese Informanten auf der NPD-Führungsebene abzuziehen, um damit ein erneutes Verbotsverfahren möglich zu machen.
127 Verbote in Deutschland
Doch wie wirksam sind Verbote von extremen Parteien und Vereinigungen? Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) lud jüngst zu einer Fachtagung, um unterschiedliche Ansätze einer Verbotspraxis in Europa zu reflektieren. Wie geht eine pluralistische Gesellschaft mit jenen Kräften um, die mit Hass und Unmenschlichkeit jene Werte ablehnen, die das Fundament einer humanen Gesellschaft ausmachen, fragte Ralf Melzer von der FES.
Bislang wurden erst zwei Mal Parteien in der Bundesrepublik Deutschland verboten: 1952 die Sozialistische Reichspartei, eine Nachfolge-Organisation der nationalsozialistischen NSDAP - vier Jahre später dann die Kommunistische Partei. Die Zahl der verbotenen Vereine und Gruppierungen in Deutschland liegt weitaus höher: Zwischen 1951 und 2012 wurden in diesem Bereich 127 Verbote ausgesprochen. Damit wurden auch die beiden rechtsextremen Wellen in den 1950er- und 1990er-Jahren bekämpft. Seit der Jahrtausendwende sind es vor allem rechtsextreme Kameradschaften, die verboten wurden.
Auslöser der Verbotswellen waren Gewalttaten oder eine Hakenkreuz-Schmierwelle, erläuterte auf der FES-Tagung Fabian Virchow von der Fachhochschule Düsseldorf. Seiner Meinung nach konnte damit das nationalsozialistische Milieu geschwächt werden, ohne dass es zu einer Radikalisierung im Untergrund kam. Vor allem Mitläufer würden durch Verbote abgeschreckt, der Kern des Milieus aber bliebe meistens unberührt.
Steuergelder verweigern statt verbieten
Geld bedeutet Macht im politischen Wettbewerb. Im Jahr 2010 finanzierte sich die NPD zu 38 Prozent aus Steuergeldern, berichtete Sebastian Rosner von der Universität Düsseldorf. Die staatliche Teilfinanzierung ist im deutschen Parteiengesetz festgeschrieben - im Schnitt konnten damit alle Parteien im Jahr 2010 rund 27 Prozent ihrer Ausgaben decken.
Rosner stellte ein Modell vor, mit dem der deutsche Staat unterhalb der Verbotsschwelle der NPD den Geldhahn zudrehen könnte. Seiner Meinung nach könnte das geschehen, indem der NDP mangelnde demokratische Parteiorganisation nachgewiesen würde. Damit hätte die NPD eine der Bedingungen für das deutsche Parteiengesetz nicht erfüllt. Doch Rosners Modell blieb trotz seiner Plausibilität bei der Tagung eine theoretische Diskussion.
Breites Spektrum in Europa
Spannender waren die Erfahrungen der Referenten aus dem europäischen Ausland. Die Spanne reicht von einer strikten Verbotspolitik, wie sie seit 1947 in Österreich auch durch Strafverfahren gegen Einzelpersonen praktiziert wird, bis hin zur Praxis des Nicht-Verbietens in Ländern wie Großbritannien und Norwegen. Brigitte Bailer vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DöW) unterstrich bei der Fachtagung in Berlin, dass sich das Verbot in ihrem Land klar auf ein bestimmtes Segment beziehe, nämlich auf das "militanteste, radikalste Element des Rechtsextremismus und nicht das ganze Kontinuum, was zum Rechtspopulismus hingeht". Hier seien andere Auseinandersetzungen und die Demokratie gefordert, verteidigte Bailer das österreichische Modell, das immer wieder zu Kontroversen über mangelnde Meinungsfreiheit führt.
Das österreichische Verbotsgesetz entstand aus der unmittelbaren Diktatur-Erfahrung. Den Nationalsozialisten sollte keine neue Chance gegeben werden können, so Bailer. Anders sei die Situation in Großbritannien, wo die Bevölkerung traditionell sehr stolz auf ihre historischen Institutionen sei.
Schwieriger Dialog
Matthew J. Goodwin von der Universität Nottingham berichtete, dass es in Großbritannien bisher kaum staatliche Eingriffe im Kampf gegen Rechtsextremismus gegeben habe. Weder wurde in den 1970er-Jahren die Nationale Front, noch die British National Party (BNP) nach der Jahrtausendwende oder aktuell die English Defense Leaque (EDL) verboten. Wenn, dann gab es Verfahren gegen einzelne Personen, wie im Jahr 2006 gegen den BNP-Führer Nick Griffin.
Das habe mehrere Gründe, sagte Goodwin. Zum einen hätte es die Szene nie geschafft, sich professionell zu etablieren und sie sei auch aktuell sehr fragmentiert. Die einst einflussreiche BNP kollabierte 2011 nach Personalgerangel sowie Korruptionsfällen. Und die EDL hätte gar keine offizielle Struktur - man könne ihr auch nicht beitreten. Das hieße aber nicht, so Goodwin, dass die Szene nicht aktiv sei. Insgesamt gebe es ein gutes Klima für eine Wählermobilisierung am äußersten rechten Rand. Hauptfeld im Kampf gegen Rechtsradikale sei in Großbritannien aber die kommunale Ebene. Auch weil die Sympathisanten sozial und örtlich recht gut einzugrenzen seien, würde hier versucht, durch intensive Gespräche und Sozialarbeit Wähler davon abzuhalten, den Extremen ihre Stimme zu geben. Die Auseinandersetzungen würden sich weniger um ideologische und viel mehr um Alltagsthemen drehen. Die so gemachten Erfahrungen seien gut, so Goodwin. Der junge Wissenschaftler gab auch zu bedenken, dass es bisher keine Beweise dafür gebe, dass ein Verbot langfristig effektiv sei.
Wehrhafte Demokratie
Eindrucksvoll schilderte Oyvind Groslie Wennesland aus Norwegen die Situation in seinem Heimatland nach dem grausamen Attentat im Juli 2011, bei dem der rechtsradikale Anders Behring Breivik 69 Menschen ermordete. Breiviks Tat sei ein Angriff auf die Grundfesten der norwegischen Gesellschaft mit ihren Maximen Freiheit und Solidarität gewesen. Ministerpräsident Jens Stoltenberg hätte diesen Grundfesten nach dem Attentat die Treue gehalten, so Wennesland, der politischer Berater für die norwegische Arbeiterpartei (Ap) ist, der auch Stoltenberg angehört.
Der Ministerpräsident hatte sich damals gegen ein Verbot der rechtspopulistischen Fortschrittspartei ausgesprochen, der Breivik zeitweise angehörte. Stattdessen wurde eine landesweite Debatte angestoßen, die vor allem auch im Internet heftig geführt wurde. Dem Extremismus wurde in Norwegen nicht mit einem Verbot, sondern mit noch mehr Offenheit begegnet. Der Weg "more open - more strange" habe sich bewährt, berichtete Wennesland. Obwohl das gesamte Land durch das Attentat tief erschüttert wurde, gebe es eine breite Skepsis gegenüber Verboten zugunsten öffentlicher Debatten. Zu bereden gibt es dennoch einiges, betonte Wennesland. Jüngsten Umfragen zufolge hätte jeder achte Norweger antijüdische Ressentiments.
Am Ende der Veranstaltung warnte Bianca Klose von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Berlin davor, die NPD klein zu reden. Sie sei gerade in der deutschen Hauptstadt ein Sammelbecken für Angehörige sehr militanter Gruppen. In der Diskussion dazu kam auch zur Sprache, dass selbst wenn ein Verbot der Partei in Deutschland erfolgreich sei, der europäische Gerichtshof das Urteil wieder kippen könnte. Denn für ein Verbot auf europäischer Ebene müssten zwei Bedingungen erfüllt sein: Es muss eine direkte Gefahr von der Partei ausgehen und eine massive Unterstützung von terroristischen Anschlägen nachweisbar sein.