Druck auf Kurden bis zur letzten Minute
22. September 2017Die Kurden im Norden des Irak und ihr Präsident Massud Barsani stehen seit Wochen unter verstärktem Druck von allen Seiten, die für Montag angesetzte Abstimmung über die Loslösung der autonomen Kurdenregion abzusetzen. Drei Tage vor dem geplanten Unabhängigkeitsreferendum laufen immer noch intensive Gespräche hinter verschlossenen Türen. Ein hochrangiger Kurdenvertreter in Suleimanijeh sagte der Nachrichtenagentur AFP, unter anderem sei der Kommandeur der iranischen Al-Kuds-Brigade, Kassem Soleimani, in der Stadt, um auf den Stopp der Referendumspläne zu dringen.
Warnungen der Türkei und des Iran
Barsani will sich am Samstag in einer Pressekonferenz dazu äußern. Neben der Zentralregierung in Bagdad warnen insbesondere auch die Türkei und der Iran vor einer Abspaltung. Auch bei ihnen gibt es starke kurdische Minderheiten.
Der Kurdenvertreter sagte AFP, Soleimani wolle die Führung in Suleimanijeh und Erbil ein letztes Mal vor der Abhaltung des Referendums warnen. Er dränge die Kurden weiter zu Verhandlungen mit Bagdad, mache aber auch Druck in Bagdad, dass die Regierung auf die Forderungen der Kurden beim Haushalt, bei der Bezahlung der Peschmerga und bei den umstrittenen Gebieten eingeht.
Seit 2014 überweist Bagdad wegen eines Streits um Ölexporte der kurdischen Autonomieregion nicht mehr ihren Anteil am irakischen Haushalt. Diese rund zwölf Milliarden Dollar stellen 80 Prozent des kurdischen Haushalts dar. Wegen des Streits kann Erbil seit Jahren die Gehälter der Staatsangestellten, darunter die Kämpfer der Peschmerga-Milizen, nicht mehr voll zahlen.
Fällt Barsani noch um?
Beobachter sehen in dem Referendum auch ein Druckmittel für Barsani, aus einer Position der Stärke über den Haushalt und andere Streitfragen zu verhandeln. Barsani hat selbst gesagt, dass ein Ja für die Unabhängigkeit nicht direkt zur Abspaltung führen würde. Angesichts des massiven Widerstands gegen den Volksentscheid wird schon länger gemutmaßt, dass Barsani ihn noch absagt.
Der irakische Präsident Fuad Masum unterbreitete kürzlich eine Initiative für Verhandlungen unter Ägide der Vereinten Nationen. Der Vorschlag des kurdischen Politikers sieht vor, dass Spitzenpolitiker aus Erbil und Bagdad zu direkten Gesprächen zusammenkommen, um die Streitfragen zu lösen. Barsani hatte diese Initiative am Donnerstag aber zurückgewiesen.
UN hilflos?
Nach einer Reihe von Staaten hatte sich am Donnerstag (Ortszeit) auch der UN-Sicherheitsrat gegen die Durchführung des Unabhängigkeitsreferendums ausgesprochen. In einer einstimmig verabschiedeten Erklärung brachte das 15-köpfige Gremium seine Sorge über die "potenziell destabilisierende" Wirkung einer solchen Abstimmung zum Ausdruck. Der Irak, der Iran und die Türkei hatten den Kurden mit "Gegenmaßnahmen" gedroht, sollten sie an dem Volksentscheid festhalten.
Trotz der internationalen Kritik demonstrierten wieder Zehntausende für einen unabhängigen Staat Kurdistan. "Alle sagen uns Tag und Nacht, dass wir das Referendum verschieben sollen", sagte Barsani bei der Abschlusskundgebung seiner Kampagne in Erbil. "Sie sagen seit hunderten Jahren, dass die Zeit nicht richtig sei". Man wolle keine Grenzen ziehen, aber einen ersten Schritt machen in Freiheit und Unabhängigkeit, so Barsanai. Er sei weiter zu offenen Gesprächen ohne Vorbedingungen bereit, betonte er, aber erst nach dem Referendum am 25. September.
Der Kurden-Präsident betonte, dass sich seine Peschmerga-Kämpfer weiter am Kampf gegen die Terrormilizen des "Islamischen Staats" (IS) beteiligen würden. Auch Befürchtungen der internationalen Gemeinschaft über das Wohlergehen hunderttausender Flüchtlinge in Kurdistan wies er zurück.
Rund 40. 000 Menschen jubelten dem Präsidenten bei seiner Rede im Franso-Hariri-Stadion von Erbil zu. Die Menschen standen auf den Tribünen und dicht gedrängt auf dem Spielfeld. Die Menge schwenkte kurdische Fahnen, tanzte und feierte ausgelassen. Immer wieder riefen die Menschen: "Ja, ja" und drückten damit ihre Unterstützung für das Referendum und einen Kurden-Staat aus.
Hunderte Menschen demonstrierten in der Nachbarprovinz Ninive gegen die Abspaltung vom Irak. Unter den Teilnehmern seien unter anderem christliche Gemeinschaften, Turkmenen und Araber gewesen, teilten die Veranstalter mit. Sie unterstützten die Einheit des Iraks und stellten sich gegen die Teilung und Fragmentierung des Landes. Beobachter fürchten, dass der ohnehin instabile Irak weiter zerfallen könnte.
SC/myk (afp, rtr, dpa)