Wallonie blockiert CETA
14. Oktober 2016Der stellvertretende Handelsminister David Lametti war eigens aus Kanada angereist, um die Abgeordneten in der wallonischen Regionalhauptstadt Namur von den guten Absichten seines Landes zu überzeugen: "Wir haben doch die gleichen Werte, den Umweltschutz, die Sozialdemokratie, den Respekt für das Recht", appellierte der Minister in der gemeinsamen französischen Sprache an die Abgeordneten. Aber die hatten sich längst ihre Meinung zu CETA gebildet: Sozialdemokraten, die christliche Partei und die Grünen der Wallonie stimmen mit "Nein".
Widerstand von Bauern und Kleinunternehmern
Vor der Tür des Parlaments ist ein gutes Dutzend Traktoren aufgezogen: "Nein zu diesem Europa", "Nein zu TTIP und CETA" steht auf den Plakaten. "Wir können nicht so billig produzieren wie die Kanadier", begründet Philippe Duvivier seinen Protest vor den Kameras belgischer und internationaler Fernsehsender. Und sein Kollege Benoît Collard fügt hinzu: "TTIP und CETA, das ist doch das Gleiche. Man kann hier dichtmachen, wenn das so kommt."
Ihre Bedenken vertritt der wallonische Ministerpräsident Paul Magnette. Man müsse sicherstellen, dass bei diesem Abkommen die "gleichen hohen Standards wie in der EU gelten, etwa beim Umweltschutz oder bei den sozialen Rechten". Deswegen fordert er seine Abgeordneten auf, CETA abzulehnen. Sein Argument: Die angefügten Zusatzerklärungen hätten nicht den gleichen Rechtsstatus wie der Vertragstext. Zwar hatte das deutsche Bundesverfassungsgericht am Donnerstag erklärt, sie wahrten das demokratische Prozedere ausreichend, aber die wallonischen Volksvertreter trauen diesem Befund nicht. Und deshalb will Magnette der Zentralregierung in Brüssel seine Unterschrift unter den Handelsvertrag verweigern.
Der Vertragsabschluss soll aufgehalten und das Abkommen neu verhandelt werden, erklärt Parlamentspräsident André Antoine. Dann könne man es Ende dieses oder Anfang nächsten Jahres vielleicht verabschieden.
Der Chef des wallonischen Unternehmerverbandes schlägt die Hände über dem Kopf zusammen: "Wenn die Wallonie hier jetzt Europa blockiert, macht sie sich einfach lächerlich", sagt Vincent Reuter. Es sind nicht die großen, sondern vor allem Kleinunternehmen, die durch CETA Nachteile befürchten: In ihre Vorbehalte mischt sich viel grundsätzliche Globalisierungskritik. Und sie wollen an die Fortschritte, die die EU hier beschwört, nicht glauben.
In der Broschüre "Die Vorteile von CETA" schreibt die EU-Kommission unter anderem, dass Kanada zusichere, alle internationalen Regeln zum Arbeitsschutz anzuerkennen. Und sie lobt die Vereinfachungen für Exporteure - die müssten künftig ihr Produkt nur noch einmal in der EU überprüfen lassen und die Abnehmer in Kanada akzeptierten das Qualitätssiegel: "Das spart Zeit und Geld."
Diese Argumente haben in der Wallonie weder Bürger noch Abgeordnete überzeugt. Schon im Frühjahr hatten sie in einer Erklärung kritisiert, dass vor allem Großunternehmen von CETA profitierten und dass das Handelsabkommen Kleinbetriebe nicht einmal erwähne. Demgegenüber versichert die EU-Kommission, dass mit dem Abkommen zum Beispiel 143 regionale Produktbezeichnungen anerkannt würden, vom Gouda-Käse bis zum Balsamico-Essig, was vor allem für traditionelle Erzeuger von Nutzen sei - aber ohne Erfolg.
David gegen Goliath
In quasi allen anderen EU-Ländern scheinen die Widerstände gegen CETA jetzt überwunden. Auch Österreich hat heute seine Zustimmung signalisiert. Und zur geforderten Visafreiheit für bulgarische und rumänische Bürger, einem der letzten Stolpersteine, gibt es noch Verhandlungen. Jetzt hängt alles - so scheint es - vom Votum der Wallonie ab.
Im Prinzip gibt die politische Struktur Belgiens den Regionalparlamenten ein weitgehendes Mitspracherecht, auch bei internationalen Verträgen. Der wohlhabendere und größere Landesteil Flandern hat CETA zugestimmt. Das Nein der Wallonie bringt also einmal mehr auch das prekäre politische Gleichgewicht im Land ins Wanken, zumal am Donnerstag auch schon die frankophonen Vertreter der Region Brüssel ihre Zustimmung verweigerten. Offen ist jetzt, ob Belgiens Ministerpräsident Charles Michel einen Weg findet, die Widerstände in den Regionen noch zu überwinden oder sie zu umgehen.
Die EU-Kommission will derzeit über ein Scheitern von CETA nicht spekulieren. Am kommenden Dienstag treffen sich die Handelsminister. Bis dahin werde weiter an dem Abkommen gearbeitet, heißt es. Dennoch: Es ist möglich, dass Belgiens Außenminister Didier Reynders dann seine Unterschrift zu CETA nicht geben darf. Bei der EU in Brüssel wird jetzt befürchtet, dass ganz Europa internationaler Schaden entsteht, wenn nach sieben Jahren Verhandlungen CETA am Widerstand von 3,6 Millionen Wallonen scheitern sollte.