Regionale Zusammenarbeit stärken
19. Februar 2019Eine neue Autonahn führt durch Griechenland bis kurz vor die albanische Grenze. Hier endet sie und wartet auf Anschluss ins Nachbarland. Auf albanischer Seite geht das Straßenbauprojekt nur langsam voran. Unverständlicherweise, denn gerade die fehlende Infrastruktur bremst den wirtschaftlichen Aufschwung. Ein Beispiel mit Symbolkraft. Griechenland ist der wichtigste Handelspartner nicht nur von Albanien, sondern auch von Nordmazedonien. Trotzdem gibt es erst seit wenigen Monaten wieder eine Flugverbindung zwischen Athen und Skopje. Das Prespa-Abkommen, mit dem Griechenland und Nordmazedonien den Namensstreit beigelegt haben, wird als Durchbruch gefeiert. Doch für den Westbalkan und Griechenland bleibt das historische Abkommen ein Einzelfall.
Regionale Netzwerke stärken
Die Probleme der Region sind ein Phänomen der letzten 100 Jahre. Von der Antike bis zum Zusammenbruch des Osmanischen Reichs war dieser Teil Südosteuropas ein lebendiges Netzwerk der Kulturen und florierender Handelsbeziehungen. Gerade das nordgriechische Thessaloniki galt damals als kosmopolitischer Dreh- und Angelpunkt. Der amtierende Bürgermeister Giannis Boutaris will daran anknüpfen. Durch sein Engagement gibt es nun eine direkte Flugverbindung zwischen Thessaloniki und Istanbul. Als Ministerpräsident Alexis Tsipras sich noch scheute, auch Nordmazedonien offen in seine balkanfreundliche Politik einzubeziehen, verbrachte Zoran Zaev, Chef der Regierung in Skopje, den Neujahrswechsel in Thessaloniki als privater Gast des Stadtoberhaupts.
Viele Kommunen der Region setzen sich inzwischen über die Nationalattitüden ihrer Regierungen hinweg und nehmen ihre Probleme selbst in die Hand. So auch Shpend Ahmeti, Bürgermeister der kosovarischen Hauptstadt Pristina. "Städte in der Region arbeiten sehr viel besser zusammen, als Regierungen" , so Ahmeti am Wochenende auf dem ersten "Thessaloniki Regional Forum", einer Initiative, die das Netzwerk regionaler Kooperationen zwischen Griechenland und dem Balkan ausbauen will. "Als Städte sind wir direkt mit den Problemen der Menschen konfrontiert. Wir kümmern uns um die Grundbedürfnisse der Menschen."
Pristina und Thessaloniki liegen nur etwa drei Autostunden voneinander entfernt. "Wenn ich durch Thessaloniki spaziere, dann erkennen mich viele Menschen aus dem Kosovo wieder. Viele kommen hierhin zum einkaufen." Gleiches gilt für Nordmazedonien. Thessaloniki liegt näher an Skopje, als an Athen. Doch die Herausforderungen der Region sind zahlreich: der Ausbau der Infrastruktur, die Vereinfachung der Visaauflagen, Zusammenarbeit bei Themen wie Umweltschutz oder Abfallmanagement, die Aufarbeitung der gemeinsamen Geschichte. Die Vorteile liegen auf der Hand, doch Initiativen zur Aktivierung der Potenziale enstehen nur langsam.
"Diese Region gehört zu Europa"
2003 fand in Porto Carras, etwa 100 km südlich von Thessaloniki, ein Europagipfel statt. Damals hatte Griechenland den EU-Ratsvorsitz inne. Den teilnehmenden Westbalkanstaaten wurde damals ein EU-Beitritt in Aussicht gestellt, wenn sie es schaffen sollten, ihre Länder nach europäischem Model zu reformieren. Die daraus resultierende Abschlusserklärung wurde als ‚Agenda von Thessaloniki‘ bekannt. Seitdem sind 16 Jahre vergangen. Die nötigen Reformen sind zu großen Teilen versäumt worden. Und gerade Griechenland hat in der Krise lernen müssen, dass eine EU-Mitgliedschaft nicht automatisch das Ende aller Probleme bedeutet.
Der ehemalige griechische Ministerpräsident Georgios Papandreou war 2003 griechischer Außenminister. "Unter griechischem Ratsvorsitz hat die EU zum ersten Mal erklärt, dass die Region zu Europa gehört," so Papandreou im Interview mit der DW. Griechenland könne als erfahrenes EU-Mitglied eine führende Rolle in der Region übernehmen. "Wir müssen den Prozess jetzt in unsere eigene Hand nehmen, an uns selbst glauben und darauf vertrauen, dass wir gemeinsam nach vorne schreiten können." Papandreou hofft auf einen Neuanfang, intensive Zusammenarbeit und auf einen offenen Umgang miteinander.
Wirtschaftswachstum mit griechsicher Hilfe
Die Realität aber gestaltet sich schwierig. Politische Konflikte beherrschen das Klima. Der Grenzstreit zwischen Kosovo und Serbien ist dabei nur das aktuellste Beispiel. Der griechische Wirtschaftsprofessor Christos Nikas blickt mit Sorge auf die Nachbarländer: "Die wirtschaftliche Leistung der Westbalkan-Länder ist enttäuschend. Sie stehen sehr viel schlechter da als EU-Mitgliedsstaaten wie Ungarn oder Tschechien. Der Hauptgrund dafür ist, dass sie nach dem Zusammenbruch von Jugoslawien aufgehört haben, Handel untereinander zu betreiben. Sie haben versucht, sich auf Märkten zu etablieren, auf denen sie keine Chance hatten."
Dialog und Austausch zwischen den einzelnen Ländern seien ein wichtiger erster Schritt. Die Region könne von den griechischen Fehlern in punkto Wirtschaft lernen, so Nikas. Doch nicht nur so könne sich Griechenland als nutzbar erweisen: "Wir können helfen, die Probleme hier zu lösen und die Länder dabei unterstützen, sich in die EU zu integrieren."
Wirtschaft gut, alles gut?
Für die Westbalkanländer bleibt das große Ziel die Anbindung an den Westen. Gerade das Prespa-Abkommen hat die Frage nach möglichen EU-Mitgliedschaften neu aufleben lassen. Denn durch die Beiliegung des Namensstreites hat Griechenland nicht nur die NATO-Blockade gegen Nordmazedonien aufgehoben, sondern auch den Weg frei gemacht für einen möglichen EU-Beitritt.
Doch die EU zögert mit der Aufnahme weiterer Mitglieder. Gerade die Westbalkanländer genießen aufgrund der wirtschaftlichen und politischen Situation keinen guten Ruf, weder in Berlin, noch in Brüssel. Dabei werden sie unterschätzt, erklärt Dusan Relijc, Leiter des Brüsseler Büros der Stiftung Wissenschaft und Politk: "Der Westbalkan ist kein Verlustgeschäft für die Wirtschaft. Im Gegenteil. In den letzten zehn Jahren hat die Europäische Union mit den sechs südosteuropäischen Staaten einen Handelsgewinn von 100 Milliarden Euro erwirtschaftet."
Das Treffen in Thessaloniki könnte der Startschuss für neue Grundlagen der Zusammenarbeit in der Region werden. Sicher ist: Von dem dadurch beflügelten wirtschaftlichen Aufschwung in Griechenland und im Westbalkan würde auch Westeuropa profitieren.