Renten in Afrika
30. Juni 2013Die Demographin Valérie Golaz wohnt und arbeitet in Uganda. Sie gehört zu den Autoren einer Studie von INED, des Nationalen Instituts für demografische Studien. Die Wissenschaftler sind der Frage nachgegangen, wie die Länder Afrikas mit der Herausforderung des Alterns umgehen. Ihr Fazit: "Für die große Mehrheit aller Afrikaner gibt es bis jetzt keine Rente, wie wir sie in den Ländern des Nordens verstehen."
Im Norden des Kontinents gäbe es zwar Länder mit eine größeren, strukturierten Wirtschaft. "Aber auch in diesen Ländern zahlen oder beziehen sehr wenige Leute eine Rente", sagt die Forscherin vom INED im Gespräch mit der DW. Südlich der Sahara sind die Rentensysteme indes kaum entwickelt. "Sie betreffen fast ausschließlich Menschen, die im privaten Sektor beschäftigt sind oder im öffentlichen Sektor. Innerhalb dieser Sektoren wiederum beziehen nur sehr wenige Leute eine Rente."
Dazu gibt es große Unterschiede zwischen Männer und Frauen. In Tunesien, so ein Beispiel aus der Studie, sind 30 Prozent aller Männer über 60 pensioniert. Im gleichen Alter, sind es aber nur drei Prozent der Frauen.
Der informelle Arbeitsmarkt
Seit den 1960er Jahren gibt es in den meisten Ländern Afrikas Bemühungen, eine staatliche Rente einzuführen. Hilfe leisten dabei Institutionen wie die Internationale Arbeitsorganisation (ILO). Es handelt sich um Formen der Altersvorsorge, für die sowohl der Arbeitgeber als auch der Arbeitnehmer beitragen. Jedoch bleibt der Arbeitsmarkt Afrikas im Großen und Ganzen überwiegend informell, sprich: Es gibt kaum funktionierende behördliche Strukturen.
Die Folge ist klar: In vielen Ländern beziehen weniger als zehn Prozent der Senioren eine Rente, insbesondere in West- und Zentralafrika. Deutlich besser ist die Lage in Ländern wie Mauritius, Südafrika, Namibia oder Lesotho. Jedoch ist die Höhe der Pension auch in diesen Ländern meistens sehr gering.
Ohne Rente gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder arbeitet man solange, bis man körperlich und geistig überhaupt nicht mehr in der Lage ist. Oder man ist auf die Solidarität der Familie angewiesen. Diese Solidarität wird jedoch immer häufiger in Frage gestellt, einerseits wegen der wachsenden geographischen Entfernung zwischen Verwandten; andererseits wegen der schwierigen finanziellen Lage der jüngeren Generationen.
Alternative Modelle finden
Dazu kommt, dass die Bevölkerung älter wird. Nach UN-Schätzungen wird sich die Zahl der Senioren über 60 in den nächsten 40 Jahren in Afrika vervierfachen, von 56 Millionen in 2010 bis 215 Millionen in 2050. Es sind alles Menschen, die ein solides Einkommen brauchen werden.
Ein bei afrikanischen Regierungen zurzeit beliebtes Modell ist das sogenannte "bedingungslose Grundeinkommen". Dieses Transfermodell ist bereits besonders erfolgreich in Lateinamerika und sieht vor, dass der Staat dem schutzbedürftigsten Teil der Bevölkerung ein Einkommen zahlt
Dieses Modell wird gerade in Uganda getestet. Bis jetzt war das Land einer der schlechtesten Schüler Afrikas im Bereich Renten. "Hauptsächlich unter der Schirmherrschaft Großbritanniens wurde ein System von 'cash transfer' eingeführt, zugunsten der verletzlichsten Personen, aber auch für alle, die über 65 sind", erklärt Valérie Golaz.
Die Pension liegt in Uganda gerade mal bei umgerechnet 10 US-Dollar im Monat. Aber die finanzielle Lage erlaubt es der ugandischen Regierung derzeit nicht, die Zahl der Begünstigten zu erweitern, noch den Betrag zu erhöhen.
Ein Nachtteil dieses Modells ist tatsächlich sein finanzielles Gewicht für den Staat. Länder wie Brasilien oder Ecuador können es womöglich leisten. Die meisten Regierungen Afrikas jedoch nicht, jedenfalls nicht ohne ausländische Hilfe.
Die Gewerkschaften verhandeln
Was ist mit Privatrenten? Gerät der afrikanische Markt schon ins Visier von großen Lebensversicherungen? Noch nicht, behauptet Tharcisse Nkanagu, Koordinator für Sozialversicherung bei der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO).
Dafür breitet sich eine andere Art von Zusatzrente aus: die Betriebsrente, vor allem in den größten Firmen. "Es sind nicht die Arbeitgeber, die das Personal ermuntern, solche Betriebsrenten aufzubauen. Es sind die Gewerkschaften," konstatiert Tharcisse Nkanagu. "Sie denken nach und verhandeln mit dem Arbeitgeber, um solche Zusatzrenten in der Firma einzuführen."
Ein Gesamtbild von Sozialversicherung
Die ILO sieht eine enge Verknüpfung zwischen Senioreneinkommen und anderen Formen der Sozialversicherung. Tharcisse Nkanagu erklärt: "In der Vision der ILO gibt es zwei Achsen: der Zugang zu Einkommen und der Zugang zu den Gesundheitsdiensten. Diese zwei Komponenten sind untrennbar. Wenn man über ein Einkommen verfügt, gibt man prinzipiell das Geld aus, um grundsätzliche Bedürfnisse - insbesondere Gesundheitsdienste - zu decken. Und wenn man Zugang zu den Gesundheitsdiensten hat, dann braucht man ein Einkommen, um gesund zu bleiben."
Um zu vermeiden, dass die Senioren wegen der Pflegekosten in die Armut getrieben werden, sieht die ILO einen Bedarf an verschiedenen Formen von Kostenübernahme durch die Gemeinschaft, über nationale Sozialversicherungssysteme oder gemeinschaftliche Versicherungsvereine.
Letztere haben heutzutage einen deutlichen Erfolg, insbesondere in Senegal, Benin, den Kapverden oder Ruanda, so Tharcisse Nkanagu. Ihr Prinzip basiert darauf, dass nur zwischen zehn und 20 Prozent der Mitglieder jedes Jahr Pflegekosten zahlen müssen.
Was dagegen noch fehlt, sind ausreichende und moderne Gesundheitsdienste. Viele Fachärzte findet man nur in größeren Städten - wenn überhaupt - und die für Senioren spezifischen Pflegedienste sind auf diesem noch "jungen" Kontinent so gut wie nicht entwickelt.