Rezession abgewendet - Wirtschaft wächst
30. Juli 2021Die deutsche Wirtschaft ist mit dem Ende des Corona-Lockdowns im Frühjahr wieder in Schwung gekommen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) stieg von April bis Juni um 1,5 Prozent zum Vorquartal, wie das Statistische Bundesamt am Freitag in einer Schnellschätzung mitteilte. Von Reuters befragte Ökonomen hatten allerdings ein Plus von 2,0 Prozent erwartet.
Zu Jahresbeginn war die Wirtschaft in der dritten Corona-Welle um 2,1 Prozent eingebrochen, wie aus neuesten Berechnungen der Statistiker hervorgeht. Zunächst war nur von einem Minus von 1,8 Prozent die Rede.
Privater Konsum treibt den Aufschwung
Ökonomen gehen davon aus, dass vor allem der private Konsum den Wirtschaftsaufschwung in den kommenden Monaten antreiben wird. Bei den privaten Haushalten hatten die Lockdowns zu einem Konsumstau mit beispiellosem Sparen geführt.
Die Industrie klagt dagegen über Störungen in den globalen Lieferketten und Materialknappheit. Das Verarbeitende Gewerbe sitzt zwar auf prall gefüllten Orderbüchern, kann die Aufträge wegen Lieferengpässen bei Rohstoffen und Vorprodukten aber oft nicht abarbeiten.
"Die Zweiteilung der deutschen Volkswirtschaft hat sich im Vergleich zu den letzten Quartalen umgekehrt", sagte Andreas Scheuerle von der Dekabank. "Bis vor kurzem war die Industrie der Träger der konjunkturellen Entwicklung, während die Dienstleister unter den Lockdown-Beschränkungen litten." Nun spiele die Musik bei den Dienstleistern. "Befreit von den Fesseln des Lockdowns blühte der Einzelhandel wieder auf, füllten sich die Tische in der Gastronomie, die Kinosäle und die Auftragsbücher der Reiseunternehmen", so der Analyst.
"Die Wachstumsrate gegenüber dem Vorjahresquartal markiert einen neuen Rekord seit der Wiedervereinigung", kommentierte Thomas Gitzel, Chefökonom der VP Bank. Aber das sei in Anbetracht des massiven wirtschaftlichen Einbruchs aufgrund der ersten Corona-Welle und der verhängten Eindämmungsmaßnahmen im vergangenen Jahr auch kein großes Kunststück. Die Aufmerksamkeit gilt vielmehr der Entwicklung gegenüber dem ersten Quartal dieses Jahres.
Bundesbank hält Vorkrisenniveau bald für möglich
Die Bundesbank geht davon aus, dass sich das Wachstumstempo im Zuge der schrittweisen Öffnung der Wirtschaft im Sommer noch beschleunigt. So könnte das BIP im laufenden dritten Quartal sein Vorkrisenniveau erreichen.
Gegenüber dem zweiten Vierteljahr 2020 wuchs das Bruttoinlandsprodukt im Zeitraum April bis Juni 2021 preisbereinigt um 9,6 Prozent. Im ersten Lockdown nach Ausbruch der Corona-Pandemie im vergangenen Frühjahr war die Wirtschaftsleistung dramatisch eingebrochen.
Ökonomen trauen Europas größter Volkswirtschaft in diesem Jahr insgesamt ein kräftiges Comeback zu. Wirtschaftsforschungsinstitute sagten zuletzt einen Anstieg des Bruttoinlandsproduktes zwischen 3,2 und 3,9 Prozent voraus. Im vergangenen Jahr hatte die Pandemie die deutsche Wirtschaft in die tiefste Rezession seit der globalen Finanzkrise 2009 gestürzt.
Für Unsicherheit sorgt derzeit neben Lieferengpässen allerdings die Ausbreitung der Delta-Variante des Corona-Virus. So hatte sich die Stimmung in der deutschen Wirtschaft im Juli überraschend eingetrübt. Die vom Münchener Ifo-Institut befragten Unternehmen beurteilten insbesondere künftige Geschäfte skeptischer. "Lieferengpässe bei Vorprodukten und Sorgen um wieder steigende Infektionszahlen belasten die deutsche Wirtschaft", erläuterte Ifo-Präsident Clemens Fuest.
Wirtschaft in der Eurozone wächst schneller als erwartet
Auch die Wirtschaft in der Euro-Zone insgesamt hat im Frühjahr überraschend deutlich zugelegt. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) stieg im Zeitraum April bis Juni zum Vorquartal um 2,0 Prozent, wie das Statistikamt Eurostat am Freitag mitteilte. Von Reuters befragte Experten hatten lediglich ein Plus von 1,5 Prozent erwartet. Wie kräftig die Aufholjagd nach dem Corona-Einbruch 2020 ausfällt, zeigt der Vergleich mit dem Vorjahreszeitraum: Das BIP legte gegenüber dem zweiten Quartal 2020 um 13,7 Prozent zu.
"Unter den Mitgliedstaaten, für die Daten für das zweite Quartal 2021 vorliegen, verzeichnete Portugal (plus 4,9 Prozent) den höchsten Anstieg im Vergleich zum Vorquartal, gefolgt von Österreich (plus 4,3) und Lettland (plus 3,7), während Litauen (plus 0,4) und Tschechien (plus 0,6) die niedrigsten Wachstumsraten verzeichneten", so Eurostat mit Blick auf die gesamte EU. "Die Wachstumsraten zum Vorjahr waren für alle Länder positiv."
ul/hb (rtr, dpa)