Rio: Von Kater keine Spur
23. August 2016Rio de Janeiro an Tag eins nach den Olympischen Spielen: Vor den Restaurants stehen viele "Cariocas", wie sich die Einwohner der Stadt nennen, Schlange. Der Himmel ist grau und bewölkt, doch die Stadt schwebt auf Wolke sieben.
Der Sturm und die heftigen Regenfälle, die während der Abschlussfeier im Maracanã-Stadion wüteten, haben sich gelegt. Ein Hauch von Sehnsucht und ungewohnter Stille liegen über der Stadt. Während die "Cariocas" ihren Kater ausschlafen und danach mit einem ausgedehnten Mittagessen auskurieren, warten am internationalen Flughafen Tausende von Athleten und Besuchern auf ihren Abflug.
Samba am Flughafen
Die Samba-Schulen, die im Maracanã für Karnevalsstimmung sorgten, bestimmen auch den Rhythmus beim Check-in. Um den Passagieren die Zeit zu vertreiben, feiern sie den Abschied mit Trommeleinlagen und geben Schnellkurse im Sambatanzen.
"Die Spiele waren spektakulär, sie haben alle Erwartungen übertroffen", bilanziert Carlos Arthur Nuzman, Chef des lokalen Organisationskomitees und Vorsitzender des brasilianischen olympischen Komitees. "Ich bin sehr glücklich, dass Brasilien bewiesen hat, dass es olympische Spiele ausrichten kann", erklärte er gegenüber der brasilianischen Tageszeitung "Folha de São Paulo".
Die Stadt bereitet sich nun auf die nächsten großen Ereignisse vor: auf die Paralympics vom 7. bis 18. September und die landesweiten Gemeinde- und Bürgermeisterwahlen am 2. Oktober.
Sponsorengelder vom Staat
Doch die Paralympischen Spiele zu garantieren, ist eine Mammutaufgabe für das Organisationskomitee. Umgerechnet 75 Millionen Euro fehlen dem Komitee für die Ausrichtung der Spiele. Nachdem die brasilianische Justiz die Überweisung von staatlichen Zuschüssen untersagt hat, sollen nun Sponsorengelder staatlicher Unternehmen die zusätzllichen Kosten decken.
Dazu kommt: Die Athleten werden wahrscheinlich vor leeren Kulissen antreten. Weil bisher erst zwei Prozent der Eintrittskarten für die Paralympics verkauft worden sind, überlegt das lokale Organisationskomitee, den Olympiapark für alle Einwohner Rios zu öffnen und nicht nur für die Besitzer von Eintrittskarten. "Wer nicht nur durch den Park bummeln, sondern auch Spiele in den Arenen anschauen will, kann sich für umgerechnet drei Euro noch ein Ticket vor Ort kaufen", beschreibt Sprecher Mario Andrada die Pläne.
Was eigentlich selbstverständlich sein sollte, wird in Rio als Erfolg verkauft: Alle geplanten 22 Sportarten können stattfinden. Über 4000 Sportler aus 165 Ländern werden bei den Paralympics antreten.
Doch auch nach den Paralympics hört die Arbeit des Komitees und der Stadtverwatung im Olympiapark nicht auf. Auf der ehemaligen Rennbahn mit einer Fläche von 1,18 Millionen Quadratmetern sollen weiter Athleten trainiert werden und Wettkämpfe stattfinden. Die Finanzierung für die kommenden 15 Jahre soll über eine öffentlich-private-Partnerschaft gesichert werden.
Das Militär bleibt
Die Zukunft der "Arena der Zukunft" ist bereits beschlossen: Das Stadion wird zerlegt und sein Material für den Bau von vier öffentlichen Schulen in den Olympia-Stadtteilen Barra und Jacarepagua genutzt. Die Kajak-Strecke in Deodoro soll in einen riesigen Stadtpark verwandelt werden.
Auch die schwer bewaffneten Soldaten, die während der Spiele auf den Straßen und rund um die Stadien patroullieren, werden noch eine Weile das Stadtbild prägen. Denn nach dem Auftrag des Obersten Wahlgerichts sollen die Streitkräfte bis zu den Gemeindewahlen am 2. Oktober weiter in der Stadt bleiben, um einen sichereren Ablauf der Wahlen in den von Drogenhandel und Milizen dominierten Gebieten der Stadt zu gewährleisten.
Freiwillige als Werbeträger
Doch auch wenn die Liste der Probleme im Vorfeld der Paralympics noch lang ist, haben die Olympischen Spiele in Rio zwei heimliche Gewinner hervorgebracht, die gegensätzlicher nicht sein können: Müllsammler und Sponsoren. Zu den offensichtlichen Gewinnern gehören der Tourismus in der Stadt und die Stadt selbst.
Rios Müllsammlern verschafft die internationale Sportparty, die täglich 260 Tonnen Abfall produziert, zusätzliche Einnahmen. Denn die Hälfte der rund sieben Millionen Tonnen Müll, die in den 27 Tagen anfallen, wird von den 240 Mitgliedern der 33 Kooperativen in der Stadt recycelt. Für diese Aufgabe haben sich die ansonsten konkurrierenden Kooperativen erstmals zusammengeschlossen: Alle Einnahmen aus dem Verkauf der verwertbaren Überreste gehen an sie und werden unter den Mitgliedern verteilt.
Auf die ganz großen Gewinne hofft die in Europa bisher kaum bekannte Sportartikelmarke "361 Grad". Die chinesische Marke ist offizieller Ausstatter der Olympischen Spiele in Rio und kleidete insgesamt 106.000 Olympiateilnehmer ein, darunter 50.000 Freiwillige, Schiedsrichter, Ärzte, Komiteemitglieder sowie die Delegationen Griechenlands und Südafrikas.
Die gestreiften Shirts der unzähligen "Volunteers" - der freiwilligen Helfer - prägten das Stadtbild von Rio. "Jeder hat eine Uniform in dreifacher Ausführung bekommen", erzählt Viacheslav Keshkov, der als Übersetzer arbeitete. "Weil die Uniformen nach der Abreise der Teilnehmer in die ganze Welt hinausgetragen werden, ist das ein echter Marketingcoup", findet der 20jährige Wirtschaftsstudent.