Skandale in Rio: Brasilien greift durch
18. August 2016Ach, wie praktisch ist doch das schlechte Image von Rio de Janeiro! An der Copacabana scheint alles möglich, Raubüberfälle, Schießereien, Verkehrsunfälle und Entführungen. Ein Zwischenfall mehr oder weniger, wen sollte dies in dem angeblich allgegenwärtigen brasilianischen Chaos kümmern?
Inmitten der Olympischen Spiele scheinen Brasiliens Justiz und Polizei sich von diesem Image ein für alle Mal befreien zu wollen. Am Mittwoch holten sie zum Schlag gegen das organisierte Verbrechen aus - allerdings nicht gegen Drogengangs in den Armenvierteln der Stadt, sondern gegen Mitglieder des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) und der US-amerikanischen Schwimmer-Delegation.
Zu den prominenten internationalen Gästen, die von der Polizei abgeführt wurden, gehört Patrick Joseph Hickey, Präsident des irischen olympischen Komitees und Mitglied des IOC. Bei dem 71-Jährigen wurden 823 Eintrittskarten für die Abschlusszeremonie am Sonntag im Maracana-Stadion und für das Fußball-Finale Deutschland gegen Brasilien am Samstag gefunden.
Es sind noch Tickets zu haben: Für 8000 Dollar
Hickey wird vorgeworfen, Eintrittskarten für die Olympischen Spiele illegal und zu horrenden Preisen verkauft zu haben. So soll er für die Eröffnungszeremonie am 5. August bis zu 8.600 US-Dollar verlangt haben, während die teuersten Tickets in Wirklichkeit rund 1000 US-Dollar kosteten. Neben Hickey wurde gegen sieben weitere Verdächtige des Betrugskartells Haftbefehl erlassen: Einen Niederländer, drei Iren und drei Engländer.
Damit nicht genug. Am internationalen Flughafen von Rio holte die Polizei die beiden US-amerikanischen Schwimmer Gunnar Bentz und Jack Conger unmittelbar vor ihrem Rückflug in die USA aus dem Flieger. Widersprüchliche Aussagen der Schwimmer zum Ablauf eines Überfalls, der auf sie und ihre Teamkollegen Ryan Lochte und James Feigen verübt worden sein soll, hatten Fragen aufgeworfen. Sie sind inzwischen auf freiem Fuß, die brasilianische Polizei will sie aber weiter befragen. Lochte ist bereits am 15. August in die USA abgereist, der Aufenthaltsort von Feigen wurde von der US-Deleagtion "aus Sicherheitsgründen" nicht genannt.
"Ich bin so sauer über die Lügen, die von den amerikanischen Schwimmern verbreitet wurden", kommentiert der brasilianische Jiu-Jitsu Kämpfer Renzo Gracie. "Lochte hat die Geschichte erfunden, um Probleme mit seiner Freundin zu vermeiden", schreibt er in einer Nachricht an seine Freunde, die später von der brasilianischen Zeitschrift "Veja“"veröffentlicht wurde.
Rio ist an allem schuld
Besonders erbost zeigte sich Gracie über die voreilige Entschuldigung des brasilianischen Organisationskomitees Rio 2016 bei der amerikanischen Delegation. "Lochte gibt ein Interview nach dem anderen, um die Lüge zu verbreiten, wie kann das sein? Ich will, dass der Fall aufgeklärt wird und er sich für seine Äußerungen über unsere Stadt entschuldigt", fordert Gracie.
Beim Thema Korruption und Betrug verstehen die Einwohner Brasiliens zurzeit keinen Spaß. Seit vier Jahren macht das Land einen schmerzhaften Reinigungsprozess durch. Im Zuge der Aufarbeitung von Korruptionsskandalen wurden mehrere hochrangige Politiker und Manager verhaftet. Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff wird in der kommenden Woche wahrscheinlich ihres Amtes enthoben - wegen angeblicher Verstöße gegen das Haushaltsrecht und Korruptionsvorwürfen.
Brasiliens Justiz greift nicht nur im eigenen Land durch, sondern setzt auch bei großen internationalen Ereignissen Zeichen. Bereits während der WM 2014 wurden Mitarbeiter und Direktoren des Fifa-Vertragspartners "Match Services" verhaftet, die ebenfalls Tickets zu Wucherpreisen auf dem Schwarzmarkt verkauft haben sollen. Nun setzen IOC-Mitglieder diese unrühmliche Praxis anscheinend während der Olympischen Spiele fort.
Dass die brasilianische Justiz dem IOC nicht traut, machte sie bereits in der vergangenen Woche deutlich. Sie untersagte der Stadtverwaltung von Rio, dem Bundesstaat Rio und der Regierung in Brasilia, Defizite des Organisationskomitees mit öffentlichen Zuschüssen zu decken. Es gebe gegenüber privaten Organisationen wie dem Komitee keine Pflicht, Defizite auszugleichen, zumal das Komitee bisher nicht der Aufforderung nachgekommen sei, seine Finanzen offenzulegen.