Lewandowski: "Nicht sicher, ob Gewinner Meister wird"
4. April 2019Nur vier Spieler haben in der Geschichte der Fußball-Bundesliga mehr Tore erzielt als Robert Lewandowski. Während der polnische Stürmer zwar die unglaubliche Bestmarke Gerd Müllers von 365 Treffern kaum noch erreichen kann, braucht er nur noch einen weiteren, um in den 200-Tore-Klub der Top-Vier-Torjäger aufgenommen zu werden. Es wäre eine bemerkenswerte Leistung, die Lewandowski zudem in deutlich weniger Spielen erreicht hat als seine Vorgänger Klaus Fischer, Jupp Heynckes und Manfred Burgsmüller.
In der laufenden Saison konnte Lewandowski seine bemerkenswerte Bilanz weiter ausbauen: Der 30-Jährige hat schon wieder 19 Tore erzielt. Damit sind ihm zum achten Mal in Folge mindestens 17 Tore gelungen. Nur in seiner ersten Saison bei Borussia Dortmund, als er lediglich acht Treffer erzielte, kam er nicht in den zweistelligen Bereich. Gute Argumente, wenn es um die Frage geht, wer die beste Nummer neun der Welt ist.
Immer besser werden
Verlassen kann sich Lewandowski immer auf seinen Tor-Instinkt: "Eine wichtige Fähigkeit für einen Stürmer, die du einfach in deiner DNA haben musst", sagt Lewandowski im Gespräch mit der DW und warnt vor Selbstüberschätzung: "Wenn du denkst, dass du der Beste der Welt bist, dann ist es zu Ende. Du musst immer danach streben, noch besser zu werden."
Seit Lewandowski 2011 in die Bundesliga wechselte, waren nur wenige besser als der Pole: In drei der fünf vergangenen Spielzeiten war er bester Torschütze der Bundesliga. Gerade weil er immer besser werden möchte, auch wenn er schon an der Spitze steht: bessere Laufwege, bessere Ballkontrolle mit seinem schwächeren linken Fuß, besseres Kopfballspiel.
"Wenn ich jetzt auf den Fußball von vor 20 oder 30 Jahren schaue, dann ist er gewachsen", sagt Lewandowski. "Beim Fußball geht es nicht nur um den Ball, sondern auch darum, was man im Training macht, im Fitnessstudio, weil die Leute ständig immer mehr wollen."
Lewandowski: "Zwei Schritte, um sich abzusetzen"
Immer mehr, das möchte auch Lewandowski selbst. In diesem Jahr - nach dem Aus in der Champions League - bedeutet das: die Torjägerkanone, den DFB-Pokal und die siebte Bayern-Meisterschaft in Folge. Doch obwohl Lewandowski in den vergangenen Wochen regelmäßig getroffen hat, ist der FC Bayern vor dem "Klassiker" gegen Borussia Dortmund wieder in der Verfolgerrolle. Sieben Spieltage vor dem Saisonende trennen die beiden besten Klubs nur zwei Punkte. So eng war es seit vielen Jahren nicht mehr. Beste Voraussetzungen für ein spannendes Spiel. Und auch danach wird noch nichts entschieden sein, glaubt Lewandowski.
"Ich bin mir nicht sicher, ob der Gewinner auch automatisch Meister wird. Ich glaube nicht daran", sagt Lewandowski und räumt ein: "Gut, der Sieger macht einen großen Schritt nach vorne, aber ein Schritt ist nicht genug. Wir haben danach immer noch eine Menge Spiele bis zum Saisonende, und ich denke, der spätere Meister muss schon zwei Schritte machen, um sich abzusetzen."
Die Bayern hatten im Laufe der Saison zeitweise schon einen Rückstand von neun Punkten auf die Dortmunder. Dann schafften sie es, den BVB einzuholen und sogar zu überholen. Nach dem 1:1 in Freiburg am vergangenen Spieltag sind sie allerdings wieder hinter die Borussia zurückgefallen. Der Druck lastet also erneut auf dem FC Bayern.
Große Momente
Braucht es also wieder einen großen "Lewandowski-Moment"? Der polnische Stürmer hatte davon in seiner Karriere einige, zum Beispiel diesen: vier Tore für Dortmund gegen Real Madrid im Halbfinal-Hinspiel der Champions-League-Saison 2013. Ein traumhafter Abend und ein Moment, der ihn - wie Lewandowski selbst sagt - als Spieler verändert hat. Oder der Fünferpack innerhalb von nur neun Minuten gegen den VfL Wolfsburg - auch das eine unglaubliche Leistung.
"Ich hätte nie gedacht, dass mal so etwas passieren kann", sagt Lewandowski heute über den denkwürdigen Tag im September 2015. "Ich habe gar nicht mitbekommen, dass es nur neun Minuten waren. Ich habe eins geschossen, dann das zweite und das dritte. Dann kam das nächste und noch eins, aber ich erinnere mich, dass ich sogar noch ein Tor mehr hätte erzielen müssen, weil es noch eine große Chance gab. Normalerweise hätte ich den machen müssen, aber vielleicht wollte jemand, dass ich fünfmal in neun Minuten treffe."
Ist Lewandowski ein großer Spieler?
Möglicherweise ist es auch sein Instinkt als Torjäger, der ihn die kleinen Dinge und die Details erkennen lässt, zum Beispiel eine Sache, die ihm in Deutschland manchmal fehlt. "Stellen Sie sich unsere Umkleidekabine vor, mit vielen Spielern aus vielen verschiedenen Ländern. Sie bekommen mit, wie die Kultur in Italien, Spanien, Brasilien oder Polen ist. Sie können den Unterschied sehen. Eine solche Spontanität ist in Deutschland aber manchmal unvorstellbar. Wenn ein Deutscher überrascht ist, dann weiß er oft nicht, wie er sich verhalten soll", sagt Lewandowski. "Es ist der Unterschied zwischen Ordnung, die manchmal zu groß ist, und Spontanität, die manchmal etwas Cooles bringt, eine Chance, kreativ zu sein."
Lewandowski fehlt es nicht an Kreativität. Sein Tor gegen Freiburg war herausragend, dennoch beschäftigten sich die Kritiker anschließend vor allem mit den Chancen, die er vergeben hatte. Auch das Champions-League-Aus gegen Liverpool brachte alte Vorwürfe wieder nach vorne: Ein Raunen, dass der 30-Jährige kein "großer Spieler" sei, weil er in den letzten sieben Champions-League-Achtelfinalspielen ohne Tor geblieben sei und sich immer dann verstecke, wenn es gegen große Teams um etwas gehe.
"Alles dreht sich um die letzte Saison", sagt Lewandowski, dessen große Vorbilder früher Thierry Henry und Alessandro De Piero waren. "Weil ich in der letzten Saison wegen meiner Verletzung im Viertelfinale und im Halbfinale nicht treffen konnte - weil ich acht Monate lang mit Schmerzen durchgespielt habe. Aber wenn man die Saison davor und die fünf Saisons davor sieht, habe ich in jedem Halb- und jedem Viertelfinale immer mindestens ein Tor erzielt. Das ist der Unterschied: Die Leute sehen manchmal nur, was gestern passiert ist, aber nicht, was auf lange Sicht geschieht."
Lieblingsgegner Borussia Dortmund
Persönlich nimmt Lewandowski diese Angriffe nicht mehr: "Ich habe das über so viele Jahre erlebt und eine dickere Haut entwickelt, und sie wird dicker und dicker. Ich habe gelernt, damit umzugehen und damit zu leben", sagt Lewandowski. "Manchmal tut es weh, aber man muss damit umgehen."
In den letzten Jahren waren "große Spiele", in denen es um alles oder nichts ging, in der Bundesliga selten, zu groß die Dominanz der Bayern. Diesmal aber ist im Duell der Münchener gegen den BVB wirklich Spannung drin. Besonders interessant wird das Spiel dadurch, dass die Bayern gewinnen müssen, wenn sie zum siebten Mal in Folge Meister werden wollen. Eine seit langem nicht mehr dagewesene Drucksituation.
Robert Lewandowski trifft gerne auf und gegen Borussia Dortmund: Im Hinspiel, beim 3:2-Sieg des BVB, erzielte Lewandowski beide Münchener Treffer. Ohnehin: Seit seinem Wechsel nach München im Sommer 2014 war der Pole in neun Bundesliga-Partien schon zwölfmal gegen seinen alten Verein erfolgreich. Es würde daher niemanden verwundern, wenn er diese starke Bilanz am Samstag weiter ausbauen würde.
Das Interview führten Anna Maciol & Kamilla Jarzina.