IKRK: "Immer wieder Kampflärm"
9. April 2019Deutsche Welle: Frau Al-Rifai, wie stellt sich Ihnen die Situation der Zivilbevölkerung dar?
Rabab Al Rifai: Unsere Kollegen vor Ort zufolge berichten immer wieder von Kampflärm. Und natürlich wächst die Sorge, dass sich die Situation weiter verschlechtert. Die Menschen sollen einige Viertel verlassen haben, um Schutz in sichereren Gebieten zu suchen. Die meisten wohnen bei Verwandten und Freunden. Wir haben zudem von Dutzenden von Familien gehört, die derzeit vertrieben werden. Das IKRK hat inzwischen eine erste Bewertung vorgenommen. Und es reagiert auf die Bedürfnisse einiger der vertriebenen Familien. Nach jüngstem Stand sind 150 Haushalte betroffen, das sind rund 900 Menschen. Das erste, was wir anbieten, sind Lebensmittel und andere Artikel, hauptsächlich Hygienesets.
Es heißt, es hat auch Tote gegeben.
Wir wissen noch nicht, wie groß der humanitäre Bedarf insgesamt ist. Wir haben von Dutzenden Personen gehört, die entweder verletzt oder getötet wurden. Im Rahmen unseres Bereitschaftsplans halten wir etwa Versorgungs-Kits für Personen bereit, die durch Waffen verletzt wurden. Pro Einheit lassen sich 100 bis 400 verwundete Patienten behandeln. Auch andere Hilfsmittel stehen bereit, etwa Lebensmittel, Haushaltsgegenstände wie Decken, Matratzen, Hygienematerial und dergleichen. Wir verfolgen die Situation sehr genau, um zu wissen, was gebraucht wird und darauf reagieren zu können.
Libyen wird seit 2011 von einem Bürgerkrieg heimgesucht. Wie sehen die Folgen für die Zivilbevölkerung aus?
In mehreren Landesteilen hält sich die Gewalt seitdem kontinuierlich oder mit Unterbrechungen. Dies hat Auswirkungen auf die Bevölkerung im gesamten Land. Die Intensität der Auswirkungen unterscheidet sich von Ort zu Ort. Besonders stark betroffen sind etwa Gesundheitseinrichtungen. Sie wurden teils hart getroffen. Hier hat das IKRK dazu beigetragen, sie wieder instand zu setzen.
Die heftigen Zusammenstöße in Tripolis Ende August 2018 haben in vielen Teilen der Stadt Stromausfälle verursacht. Zehntausende Menschen blieben ohne direkten Zugang zu Wasser. Zudem ist generell die Infrastruktur beschädigt. Die mittel- bis langfristigen Auswirkungen des Konflikts belasten die libysche Bevölkerung weiterhin.
In Libyen halten sich auch viele Flüchtlinge aus den Ländern südlich der Sahara auf. Wie geht es ihnen angesichts der nun eskalierenden Gewalt?
Vorausschicken muss ich, dass das IKRK nicht spezifisch Flüchtlinge oder Migranten betreut. Für diese Aufgabe gibt es andere Organisationen. Allerdings sind die Migranten oder Flüchtlinge in den Sammmelzentren derzeit besonders anfällig. Sie müssen ebenso wie andere Zivilisten geschützt werden. Auch gilt es, deren grundlegende humanitären Bedürfnisse abzudecken. Aber das IKRK arbeitet nicht speziell in diesem Bereich, sondern widmet sich der gesamten Zivilbevölkerung in Libyen.
Wie engagiert sich das IKRK in Liyben?
Wir haben derzeit vier Büros in Libyen. Wir sind auch in Tripolis vor Ort. Derzeit haben wir etwa 70 Teammitglieder, die vor Ort arbeiten und die Situation genau beobachten. Ihre Aufgabe ist es, den Bedarf möglichst frühzeitig zu erkennen, damit wir auf die humanitären Bedürfnisse schnell reagieren können. Derzeit gegen wir davon aus, dass die sich abzeichnende Eskalation dramatische Folgen für die Bevölkerung haben wird.
Das Interview führte Kersten Knipp.
Rabab Al-Rifai ist Kommunikationskoordinatorin der Libyen-Delegation des IKRK. Ihr Dienstsitz ist Tunis.