Russische Hooligans: Prügeln fürs Vaterland
14. Juni 2016Der Bericht eines angeblichen Zeugen auf dem russischen Fußballhooligan-Portal Fanstyle.ru ist anonym. "Drei Stunden vor dem Spiel gab es ein Treffen in einem Park, wir waren rund 250-300 Mann", beschreibt er die Ereignisse am Samstag im französischen Marseille. Alle seien dabei gewesen: "Obdachlose", "Fleisch", "Dampfloks", "Bullen". So heißen in der Fansprache Anhänger der russischen Mannschaft "Zenit" aus Sankt Petersburg und der drei führenden Clubs aus Moskau: "Spartak", "Lokomotive" und "Dynamo". Die Gruppe sei danach "zu einem Platz gezogen, wo es ein paar irische Pubs und viele Briten gab".
Was dort vor dem EM-Spiel England gegen Russland geschah, sorgt weltweit für Empörung. Fans beider Mannschaften lieferten sich blutige Straßenschlachten mit Stühlen und Flaschen. Der anonyme russische Augenzeuge schreibt, dass am "Hauptgefecht" in der Nähe des Hafens 100 bis 150 Hooligans teilgenommen hätten. Diese Zahl nennt auch die französische Polizei. Nach dem Spiel machten einige Russen regelrecht Jagd auf Engländer im Stadion. Der Europäische Fußballverband UEFA drohte beiden Mannschaften mit einem Ausschluss aus dem Turnier, sollten sich die Krawalle wiederholen. Denn auch englische Fans prügelten sich untereinander - und mit mehreren Franzosen.
Englische Tradition, russische Ausführung
Die Hooligan-Schlacht sei unentschieden ausgegangen, heißt es im Augenzeugenbericht. Man habe jedoch "viele Trophäen" gesammelt. Gemeint sind britische Flaggen. Ein Foto zeigt offenbar junge Russen in Marseille, die stolz umgedrehte englische Flaggen in den Händen halten. Laut Bildunterschrift sind es Hooligans aus Moskau und Sankt Peterburg.
Zu Hause würden sie aufeinander losgehen, doch im Ausland treten russische Hooligans gemeinsam auf. Bei einem internationalen Turnier gab es zuletzt während der EM 2012 in Polen vergleichbare Ausschreitungen, als sich in Warschau russische und polnische Fans prügelten. Es scheint eine Ironie der Geschichte zu sein, dass die Russen diesmal ausgerechnet Engländer als Gegner hatten. Denn die russische Hooliganszene hat englische Wurzeln.
Eine allgemeine Fanbewegung entstand in der Sowjetunion in den 1970er Jahren und blühte nach der Entspannung im Ost-West-Konflikt auf. Vor allem englische Fußballfans galten als Vorbild. Auch die Subkultur der prügelnden Hooligans wurde übernommen. In den 1990er Jahren entstanden russische Hooligangruppen, die sich englische Namen wie "Red-Blue Warriors" gaben.
Kämpfe im Wald und nationalistische Stimmung
Am Anfang war die Bewegung in Großstädten wie Moskau konzentriert. Heute gibt es rund um die meisten Vereine eine oder sogar mehrere Hooligangruppen. Genaue Zahlen sind nicht bekannt. Schätzungen zufolge könnten in einer Gruppe zwischen 20 und 50 Mitglieder sein. Sie treffen sich regelmäßig, um sich zu prügeln. Solche Faustkämpfe finden meistens am Stadtrand oder in einem Wald statt. "Die russischen Fußballfans verdrängen Bewegungen des alten Europa von den ersten Plätzen in einem Hooligan-Ranking", schrieb Dmitri Lekuch auf einer Fanseite im Internet. Er ist selbst ehemaliger Hooligan und ein guter Kenner dieser Szene. Die Russen seien "besser organisiert und diszipliniert".
Wie stark und gewaltbereit die Fußballszene in Russland geworden ist, zeigte sich im Dezember 2010 im Herzen von Moskau. Mehr als 5.000 junge Männer versammelten sich am Maneschnaja-Platz, um gegen die Ermordung eines Fans bei einer Schlägerei zu protestieren. Am Ende prügelten sich die Hooligans mit der Polizei und machten Jagd auf Passanten, die nicht slawisch aussahen.
Diese Aktion wurde von rechtextremen Gruppen mitorganisiert. Ähnlich wie im Westen gibt es auch unter russischen Fans Neonazis. Eine Initiative für Toleranz zählte in der Saison 2014/2015 rund 100 rassistische Vorfälle im russischen Fußball. Manche Beobachter glauben, dass die russische Hoolliganszene nationalistischer sei als zum Beispiel die englische.
Politiker nimmt Randalierer in Schutz
Auch manche Politiker von den rechten und linken Rändern versuchen, diese Stimmung zu nutzen. Die Briten "sollen die russische Faust spüren", schrieb nach den Krawallen in Marseille der linksextreme russische Politiker Eduard Limonow. Igor Lebedew, Mitglied des Exekutivkomitees im Russischen Fußballverband, lobte den Einsatz russischer Fans: "Gut gemacht, Jungs!", twitterte er. Schuld an der Randale sei die französische Polizei. Der 43-Jährige ist stellvertretender Vorsitzender im russischen Parlament und Sohn des russischen Rechtspopulisten Wladimir Schirinowski. Seine nationalistische Liberal-Demokratische Partei Russlands (LDPR) versuchte in den vergangenen Jahren mehrmals, Fußballhooligans als Wähler zu gewinnen.
In zahlreichen Interviews nahm Lebedew nun den russischen Sportminister Vitaly Mutko in Schutz, der wegen seines Verhaltens nach dem Spiel England-Russland von westlichen Medien kritisiert wurde. Mutko begrüßte die russischen Fans im Stadion in dem Moment, als einige von ihnen englische Fans auf der Tribüne angriffen. Auf einem Video ist jedoch unklar, an wen genau sich Mutko richtete.
Sorgen im Vorfeld der WM 2018 in Russland
Die Krawalle bei der EM in Frankreich werfen Fragen nach dem Verhalten russischer Hooligans bei der Weltmeisterschaft in Russland 2018 auf. Einiges deutet darauf hin, dass die russischen Behörden nun härter gegen gewaltbereite Fans vorgehen werden. Anfang des Jahres wurde ein Strafverfahren nach einer Schlägerei in Moskau eröffnet. Mehrere Fans wurden festgenommen, ihre Wohnungen durchsucht. Das sei ein Novum, schrieb Gazeta.ru. Nach Informationen dieser russischen Zeitung könnten einige Hooligangruppen vor der WM in Russland verboten werden.