Russland, die UNESCO und der Ukrainekrieg
17. September 2023Noch bis zum 25. September tagt die UNESCO im saudi-arabischen Riad und berät unter anderem über die Aufnahme neuer Stätten in die Welterbeliste sowie den Schutz des Menschheitserbes. Am Freitag setzte die Kommission zwei Orte in der Ukraine auf die Liste der gefährdeten Welterbestätten: die Sophienkathedrale und zugehörige Klosterbauten in Kiew sowie das historische Zentrum in Lwiw. Venedig und seine Lagune schaffte es nicht auf die Liste.
Die Deutsche Welle hat mit Roman Luckscheiter, Generalsekretär der Deutschen UNESCO-Kommission, über den richtigen Umgang mit Russland in Zeiten des Ukraine-Krieges gesprochen.
Deutsche Welle: Die UNESCO-Sitzung sollte ursprünglich im Juni 2022 im russischen Kasan stattfinden, wurde dann aber nach Riad verlegt. Wenn man an den Bürgerkrieg im Jemen denkt, der häufig als Stellvertreterkrieg zwischen Riad und Teheran gesehen wird, fragt man sich, ob die Entscheidung ein richtiges Zeichen setzt.
Roman Luckscheiter: Die Tatsache, dass die Komitee-Sitzung nicht in Russland stattfinden konnte, hat eine lange Vorgeschichte. Da sind angesichts des brutalen Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine sehr viele Gespräche geführt worden, sehr viele Zweifel entstanden. Am Ende hat Russland den Vorsitz zurückgezogen, sodass dann nach den Statuten dieses Komitees automatisch das Land, das im nächsten Jahr den Vorsitz innehat, dran war, und das war Saudi-Arabien.
Warum ist Russland bei der aktuellen Sitzung des UNESCO-Welterbekomitees noch dabei? Wie ist es möglich, dass zwei zweifelsohne bedeutende Denkmäler Russlands auf der Liste der Nominierten sind?
Solche Bewerbungen haben eine lange Vorgeschichte, und sie haben ihre eigene Dynamik. Wenn man beispielsweise an die Bewerbung von Erfurt aus Deutschland denkt, dann hat das eine Vorgeschichte von 15 Jahren. Da muss man, glaube ich, unterscheiden: Dieses Komitee entscheidet über die Kulturgüter, die in den Rang des Welterbes aufgenommen werden sollen. Und das ist es zunächst einmal. Welterbe ist jenseits von politischen und nationalen Grenzen etwas ganz Besonderes. Dafür ist die Konvention geschaffen. Dafür sind diese Komitee-Sitzungen. Wenn ein Mitgliedstaat jetzt die Konvention mit Füßen tritt, wie Russland es durch den Angriffskrieg auf die Ukraine gerade tut, und damit auch Welterbe ganz konkret gefährdet, dann ist das die eine Sache. Die andere ist, dass die Mechanismen des UNESCO-Programmes, die für die Kultur vorgesehen sind, weiterhin funktionieren.
Nach den Angriffen auf Odessa und Lemberg hatte die Ukraine verlangt, dass man Russland aus allen UNESCO-Programmen rausnimmt. Wie realistisch sind diese Forderungen?
Aus unserer Sicht ist es wichtig, dass die UNESCO eine Weltorganisation ist, in der sich alle Mitgliedstaaten über die dringlichen Fragen der Kultur, der Bildung und der Wissenschaft verständigen und austauschen und an Standards arbeiten, zu denen sie sich dann selbst verpflichten. Insofern ist die Frage des Ausschlusses eine Frage, die vielleicht anders gestellt werden kann. Wie kann man als eine solche Weltorganisation reagieren, wenn die Mitgliedstaaten die selbst ratifizierten Konventionen verletzten, während man trotzdem davon ausgeht, dass wir eine Weltgemeinschaft brauchen, in der das thematisiert werden kann. Wir brauchen solche Foren, um darauf aufmerksam machen zu können. Eine andere Lösung könnte sein, dass man denen, die dem Geist der UNESCO zuwiderhandeln, das in solchen Gremien das Stimmrecht entzieht und damit ein Signal setzt.
Ist das nicht passiert?
Nein, die russischen Kollegen sitzen in Riad. Das ist nur eine Option, über die man diskutieren sollte.
Wie wahrscheinlich ist es, dass Russland auf eigene Initiative aus der UNESCO austritt?
Wie realistisch das ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Es wäre sicherlich nicht die Lösung der aktuellen Spannungen, denn ist es ja gerade der Zwang zusammenzuarbeiten, der die Weltgemeinschaft auch immer wieder neu herausfordert.
Woran würden Sie Ihre Kolleginnen und Kollegen, Politikerinnen und Politiker und die russische Gesellschaft heute erinnern?
Ich glaube, es ist ganz wichtig, zwischen der politischen Ebene und der Ebene der Zivilgesellschaft, die von der UNESCO gleichermaßen angesprochen werden, zu unterscheiden. Es gibt eine ganze Reihe an Programmen, mit denen die Werte der UNESCO, der Friedensgedanke über Bildung, Kultur und Wissenschaft, in die Gesellschaft getragen werden. Einzelne Mitglieder der Zivilgesellschaft haben die Chance, über die UNESCO das Gefühl zu haben, sie sind Teil einer Weltgemeinschaft. Und das ist ein ganz wichtiger Effekt, gerade in Zeiten des Krieges, wo Länder, die in Bedrängnis kommen, Solidarität einfordern. Insofern ist es wichtig, dass sich die Mitgliedstaaten der UNESCO verpflichten, diese Werte zu erfüllen. Und für die Wahrnehmung der UNESCO ist es wichtig zu wissen, es gibt die politische Ebene, aber der Geist der UNESCO ist viel weiter.
Das Gespräch führte Marina Jung.