Ein "Spiel mit dem Feuer"
27. November 2015Der russische Präsident Wladimir Putin verweigerte am Freitag einen direkten Kontakt zu seinem türkischen Kollegen Recep Tayyip Erdogan, weil dieser keine Entschuldigung angeboten habe. Und sein Außenminister Sergej Lawrow setzte noch eins drauf und kündigte an, die Visafreiheit mit der Türkei vom 1. Januar 2016 an einseitig aufzuheben. Zumindest vorerst ist damit der Versuch einer Deeskalation gescheitert.
Der visafreie Reiseverkehr zwischen beiden Ländern war im April 2011 in Kraft getreten und vor allem von Touristen genutzt worden. Zuletzt reisten jährlich etwa vier Millionen Russen in die Türkei. Nach dem Abschuss eines russischen Kampfjets hatten russische Reisebüros sämtliche Türkeireisen vorerst annulliert. Weitere Sanktionen gegen Ankara will die Regierung in Moskau am Samstag bekanntgeben.
Treffen der Streithähne beim Klimagipfel?
Präsident Erdogan wiederum warnte die russische Regierung vor einem "Spiel mit dem Feuer". Er sei dagegen, den Konflikt auf andere Gebiete der zwischenstaatlichen Beziehungen auszudehnen. Erdogan wies zugleich russische Vorwürfe zurück, wonach die Türkei von der IS-Terrormiliz Öl kauft. Dies sei Verleumdung. Im französischen Sender France 24 warf Erdogan Russland erneut vor, in Syrien gegen die gemäßigte Opposition und nicht gegen die Terrormiliz IS vorzugehen. Russland bombardiere zudem die in der Grenzregion lebende Minderheit der Turkmenen. Die Türkei versteht sich als Schutzmacht der Turkmenen in Syrien.
Dennoch zeigte sich Erdogan grundsätzlich gesprächsbereit. Er wolle am Rande des UN-Klimagipfels am Montag in Paris "von Angesicht zu Angesicht" mit seinem russischen Kollegen Putin sprechen, sagte der Staatschef in Ankara. Der Streit um den Abschuss solle die beiderseitigen Beziehungen nicht dauerhaft beschädigen.
Während die angekündigte Aufhebung der Visafreiheit mit Russland vor allem für die türkische Tourismusbranche teuer werden dürfte, wird eine Eskalation gegenseitiger Wirtschaftssanktionen beide Länder hart treffen.
Beide Seiten bleiben bei ihrer Version
Die Türkei hatte am Dienstag einen russischen Kampfjet abgeschossen, der nach Darstellung der Regierung in Ankara ihren Luftraum verletzt hatte. Laut Erdogan war der türkischen Armee die Herkunft des Kampfbombers nicht bekannt. Sie habe nicht bewusst ein russisches Flugzeug abgeschossen, sondern sei nur gemäß den geltenden Einsatzregeln vorgegangen.
Nach russischer Darstellung flog die Maschine vom Typ Su-24 ausschließlich über syrischem Territorium. Außerdem wies Moskau die türkische Darstellung, der Kampfjet sei vor dem Abschuss im türkisch-syrischen Grenzgebiet gewarnt worden, vehement zurück und sprach von "geplanter Provokation".
Die Beziehungen zwischen beiden Ländern waren bereits vor dem Abschuss angespannt, weil Russland ein wichtiger Verbündeter des syrischen Staatschefs Baschar al-Assad ist. Erdogan will ihn dagegen stürzen. Der UN-Sonderbeauftragte für Syrien, Staffan de Mistura, kritisierte, der Abschuss helfe nicht bei den internationalen Bemühungen um eine Friedenslösung für Syrien. "Wahrscheinlich wird er diese verkomplizieren", sagte er in Stockholm. Die Bundesregierung hatte beide Seiten bereits zur Deeskalation und zur Konzentration auf einen gemeinsamen internationalen Kampf gegen die radikalislamische Miliz IS aufgerufen.
qu/jj (rtr, dpa, afp)