Russlands Fußballherzen schlagen höher
1. Dezember 2017"Ich bin schon etwas heiser", sagt Alexander Murachin lachend. In einer kleinen Bar in Zelenograd in den Außenbezirken von Moskau verfolgt der Fußballfan zusammen mit vier Freunden ein Spiel auf einem Großbildschirm. Einem von ihnen gehört die Bar, die nun ganz erfüllt ist von den Anfeuerungsrufen und Kommentaren der Männer. Die Partie heute Abend ist nicht irgendein Spiel: Zenit Sankt Petersburg trifft auf Spartak Moskau - es ist das Duell zweier populärer Top-Teams in Russland.
"Mein ganzes Herzblut hängt daran", erzählt Alexander, "wir unterstützen Spartak mit allem was wir haben". Während sie ihr Team lautstark anfeuern, sind draußen dutzende Pendler auf dem Heimweg. Sie laufen vom örtlichen Bahnhof nach Hause, direkt an der Bar vorbei. Umfragen zeigen, dass über die Hälfte der Russen sich nicht für Fußball interessieren. 32 Prozent schauen zumindest ab und zu ein Spiel an, nur 16 Prozent sehen sich selbst als eingefleischte Fußballfans. Alexander gehört definitiv zu dieser Gruppe. Der Sportlehrer hält schon seit Kindertagen zu seinem Verein. Er will auch die russische Nationalelf bei der WM im kommenden Jahr unterstützen, auch wenn das Team im Moment laut FIFA-Rangliste die schwächste Mannschaft aller Teilnehmer ist.
"Wir sind die Gastgeber. Hauptziel ist es, dass wir Erster oder Zweiter in unserer Vorrundengruppe werden", betont er, und erklärt, dass er die Auslosung in Moskau aufmerksam verfolgen wird: "Ich hoffe, wir erwischen eine leichte Gruppe. Das ganze Land hofft darauf."
Die Fußball-WM - ein teures Vergnügen
Obwohl das Fußball-Fieber das Land noch nicht erfasst hat, sind etwas mehr als die Hälfte der bisher verkauften gut 742.000 WM-Tickets in den Händen russischer Fans. Die FIFA hatte sie unter anderem mit billigeren Tickets gelockt.
Dennoch, selbst in der Hauptstadt, wo die Löhne höher sind als im Rest des Landes, sagen einige, die Eintrittskarten seien reiner Luxus. "Mein Sohn und mein Mann werden sich die WM anschauen, also werde ich es im Fernsehen auch verfolgen", sagt eine junge Russin, die mit ihren Kindern nahe des Roten Platzes in Moskau unterwegs ist, "aber wahrscheinlich werden wir nicht ins Stadion gehen, die Tickets sind einfach zu teuer". Sogar der glühende Fußballfan Alexander gibt zu, dass er nur wegen seiner Schwiegermutter live dabei sein kann. Sie hat ihm die Karten geschenkt.
Moskau wird generalüberholt
Für die Verantwortlichen in Moskau scheint Geld hingegen keine Rolle zu spielen. Seit Monaten wird überall in der Stadt gebaut. Gehwege wurden verbreitert, Straßen neu asphaltiert und Springbrunnen errichtet. Vertreter der Stadt haben auf DW-Anfrage bestätigt, dass umgerechnet rund eineinhalb Milliarden Euro in diese Modernisierung der Verkehrswege und Fußgängerzonen geflossen sind.
"Schon jetzt macht die Stadt einen attraktiven Eindruck, und im nächsten Sommer wird alles noch etwas besser aussehen", erklärte Moskaus stellvertretender Bürgermeister Alexander Gorbenko in dieser Woche am Rande der Vorstellung eines neuen U-Bahn-Zuges in FIFA-WM-Aufmachung. "Was die Bauarbeiten für die Infrastruktur angeht, sind wir schon jetzt bereit für die Weltmeisterschaft. Im Moment sind wir dabei, noch einige Aspekte bei der Logistik und dem Transport zu verbessern. Aber wir sind voll im Zeitplan. Die Stadt wird bereit sein."
Sogar im öffentlichen Nahverkehr sind signifikante Veränderungen spürbar. Bisher war es fast unmöglich, sich ohne Russischkenntnisse im U-Bahnnetz der Metropole zurecht zu finden. Mittlerweile finden sich immer mehr englischsprachige Hinweisschilder. Auch die Durchsagen an den Haltestellen überall in Moskau sind seit April auf Russisch und Englisch zu hören. Ende Mai, kurz vor Beginn des Confed Cup verkündete das Verkehrsministerium stolz, dass inzwischen 360 englischsprechende Mitarbeiter an den Ticketschaltern der Metro im Einsatz seien.
Russland will sein Image aufpolieren
"Wir hoffen, dass die WM als eine der Besten in die Geschichte eingeht, genauso wie der Confed Cup", unterstrich Gorbenko. WM-Ausrichter zu sein, gibt Russland die Chance, sich der Welt zu präsentieren. Kein Wunder also, dass das Land umgerechnet rund zehn Milliarden Euro in die Vorbereitungen gepumpt hat, darunter in den Neubau von sieben Stadien.
Die Schokoladenseiten des Landes zeigen zu können, scheint vor allem für die Politiker wichtig zu sein, die zuletzt immer häufiger eine Schmutzkampagne gegen Russland beklagt haben. Auslöser sind beispielsweise der jüngste Umgang der US-Regierung mit dem russischen Staatssender "RT", die Vorwürfe um angebliche Hackerattacken aus Moskau und die Aufdeckung des mutmaßlich staatlich geförderten Doping-Programms.
Fußball als eiskalte Leidenschaft
Draußen im Moskauer Außenbezirk ist das WM-Turnier im Juni und Juli kommenden Jahres noch weit weg. Auch minus sieben Grad schrecken Alexander Murachin und seine Mitspieler nicht ab, "Alabuschewo" - wie sich ihre Hobbymannschaft nennt - trifft sich draußen auf dem Platz zum Training.
Mit Mütze und Handschuhen geht es zur Sache, egal wie kalt es ist. Der Schnee macht den Platz rutschig, aber die Männer haben Spaß am Spiel: "Wir spielen hier vielleicht nicht gerade auf WM-Niveau", meint Murachin, "aber wir versuchen immer schön zu spielen".
Mit Blick auf die WM erklärt er: "Ich kann es kaum mehr erwarten. Ich will hingehen und die Mannschaften aus der Nähe sehen, die hierher zu uns kommen." Und er ist sich sicher, dass er mit viel Leidenschaft dabei sein wird. Egal, wie weit es die russische Mannschaft im Turnierverlauf schafft. Grinsend fügt er hinzu: "Vielleicht fiebere ich mit der deutschen Nationalelf, wenn unser Team ausscheiden sollte."