Russlands Interessen im Iran
17. Mai 2013Russland und der Iran sind Nachbarländer, getrennt nur durch das Kaspische Meer. Heute ist ihre Beziehung zueinander von Pragmatismus geprägt. Das war aber nicht immer so. Die Islamische Revolution im Iran wurde 1979 nicht nur von anti-amerikanischen, sondern auch von anti-sowjetischen Ressentiments beflügelt. Revolutionsführer Ajatollah Ruhollah Chomeini formulierte das einst so: "Amerika ist schlimmer als Großbritannien, Großbritannien ist schlimmer als Amerika und die Sowjetunion ist schlimmer als beide. Einer ist schlimmer als der andere, jeder ist abscheulicher als der andere."
Der Wendepunkt in den iranisch-russischen Beziehungen kam erst Anfang der 1990er Jahre, als der Iran zusammen mit Russland an der Beilegung des Bürgerkrieges in Tadschikistan mitwirkte. "Seitdem betrachtet man den Iran in Russland, im Gegensatz zum Westen, als einen rationalen Partner, mit dem man durchaus Kompromisse schließen kann", sagt Fjodor Lukjanow, der Chefredakteur der Fachzeitschrift "Russland in der globalen Politik", gegenüber der DW. "Moskau hält zum Iran, weil die Iraner russische Sicherheitsinteressen verstehen und respektieren - insbesondere in Zentralasien und im Kaukasus", meint auch Walter Posch, Iran-Experte der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik.
Wichtige Handelspartner
Im vergangenen Jahrzehnt stieg Russland zu einem der führenden Handelspartner des Iran auf. Das Handelsvolumen wächst seitdem stetig, allein zwischen 2005 und 2008 von einer Milliarde auf 3,8 Milliarden US-Dollar. Russland verkauft an den Iran vor allem Atomtechnologien, Waffen und Weizen, der Iran exportiert im Gegenzug Lebensmittel, Ölprodukte und Textilien. Das wichtigste Energieprojekt der Russen im Iran ist die Fertigstellung des Kernkraftwerks in Buschehr, dessen Bau bereits in den 1970er Jahren als iranisches Joint-Venture mit Beteiligung des deutschen Unternehmens Siemens begonnen hatte. 2011 wurde Buschehr als erstes iranisches Atomkraftwerk ans Netz angeschlossen.
Dabei verläuft die politische Zusammenarbeit von Moskau und Teheran bei weitem nicht immer harmonisch. "Die beiden verbindet keine bewusste strategische Allianz, sie haben nur teilweise gemeinsame Interessen“, so Fjodor Lukjanow. "Die politischen Beziehungen zwischen Russland und Teheran sind komplex und oft auch durch gegenseitige Vorwürfe gekennzeichnet".
Das Atomprogramm und andere Zankäpfel
Das iranische Atomprogramm ist das Hauptkonfliktthema zwischen dem Iran und dem Westen. Eigentlich habe Moskau kein Interesse daran, dass der Iran eine Atomwaffe entwickelt, sagt Walter Posch, aber gleichzeitig wolle Russland verhindern, dass der Westen militärisch gegen den Iran vorgeht. "Man will unbedingt vermeiden, was mit dem Irak 2003 geschehen ist", so der SWP-Experte.
Die Anrainerstaaten des Kaspischen Meeres - dazu zählen auch Russland und Iran - können sich seit Jahren nicht über den völkerrechtlichen Status des Gewässers einigen. Die "neuen" Anrainer Aserbaidschan, Kasachstan und Turkmenistan wollen ihm den Status als "Binnengewässer" absprechen. Damit würden sie zusätzliche Förderrechte für Erdöl und Erdgas erhalten. Iran und Russland profitieren dagegen beide vom Status quo. Das verbindet. Moskau und Teheran teilen auch gemeinsame Sorgen über die Situation in Afghanistan nach 2014, wenn die westlichen Truppen das Land weitgehend verlassen haben. "Ein Aufkommen Al-Kaida-artiger, salafistischer und radikal sunnitischer Gruppen in Afghanistan und in der gesamten Region ist für beide Staaten wichtiger als das nukleare Programm des Iran", meint Posch.
Interesse am Status Quo
Zudem profitiert Moskau von den Spannungen zwischen dem Iran und dem Westen. Aufgrund der Sanktionen gegen den Iran ist ein wichtiger Konkurrent vom lukrativen europäischen Energiemarkt isoliert. Auch treiben die gegenseitigen Drohgebärden seitens des iranischen Regimes und des Westens den Ölpreis in die Höhe. Schließlich könnte im Falle eines Krieges auch die Straße von Hormus gesperrt werden, ein schmaler Meeresarm, durch den täglich bis zu 40 Prozent des weltweit benötigten Öls transportiert wird.
Auch SWP-Experte Walter Posch sieht in der derzeitigen Situation viele Vorteile für Russland: "Russland ist Teil der sogenannten 5+1-Gruppe (dazu gehören die UN-Vetomächte Russland, USA, China, Großbritannien und Frankreich sowie Deutschland – Anm. der Red.), wenn es um das iranische Atomprogramm geht. Die Iraner haben Probleme, ihre Produkte in Europa abzusetzen. Auch da springt Russland ein. Der Kreml ist an der iranischen Waffenindustrie beteiligt." Moskau profitiere davon, dass der Westen Russlands Hilfe für den Dialog mit dem Iran eben doch brauche, so Posch.
Sanktionen hemmen russisches Engagement im Iran
Den Russen sind die Sanktionen des Westens vor allem ein Dorn im Auge, da sie ein größeres russisches Engagement im Iran behindern. Die russische Ölfirma "Lukoil" zum Beispiel musste 2007 ihre Aktivitäten im Iran beenden. Die USA hatten ihre Sanktionen auf Unternehmen ausgeweitet, die im Iran tätig sind. Das stellte auch russische Firmen vor die Frage, ob sie ihre Geschäfte in den USA oder im Iran behalten wollen. "Lukoil" wählte Ersteres. 2011 musste ein Tochterunternehmen des russischen Gasgiganten "Gazprom" seine Pläne begraben, ein Ölfeld im Iran zu erschließen – aus ähnlichen Gründen.
Die UN-Sanktionen machen auch den russischen Waffenexporteuren zu schaffen. 2010 hat Russland das bereits fertig gestellte Flugabwehrraketensystem S-300 doch nicht an den Iran geliefert. Das führte russischen Angaben zufolge zu Verlusten in Höhe von mehreren hundert Millionen Euro.