Russlands Wirtschaft ist angeschlagen
29. Juli 2014Schon vor der Ukraine-Krise ging es der russischen Wirtschaft nicht gerade gut. Die Zeiten, als die Wirtschaftsleistung jährlich um fünf Prozent und mehr wuchs, waren mit der Finanzkrise vorbei, 2013 lag das Wachstum nur noch bei 1,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP).
Spätestens seit dem Beitritt zur Welthandelsorganisation WTO im Jahr 2011 ist das Land bemüht, seine Wirtschaft zu modernisieren, denn in vielen Bereichen sind russische Firmen nicht wettbewerbsfähig. Zu groß ist die Abhängigkeit vom Öl- und Gasgeschäft, das rund zwei Drittel aller Exporte ausmacht.
Russland braucht daher dringend Investitionen aus dem Ausland oder Zugang zu anderen Finanzierungsquellen. Die aber bleiben wegen der Sanktionen aus oder werden erschwert. Natürlich leiden darunter auch europäische Firmen, so Stefan Schneider, Deutschland-Chefökonom der Deutschen Bank, gegenüber DW. Doch "mittel- und langfristig sind die negative Konsequenzen vor allem in Russland zu spüren. Die Modernisierung dürfte dort nachhaltig leiden."
Knapp am Minus vorbei
Schneiders Institut erwartet für dieses Jahr nur noch ein russisches Wachstum von 0,8 Prozent. Der Internationale Währungsfonds (IWF) ist inzwischen pessimistischer. In der vergangenen Woche senkte der IWF seinen Ausblick für Russland deutlich und rechnet nur noch mit einem Mini-Wachstum von 0,2 Prozent in diesem Jahr.
Nach Ansicht des IWF schrammt Russland in diesem Jahr also nur knapp an einer Rezession vorbei - und das auch nur, wenn die Ukraine-Krise schrittweise entschärft wird. Dafür gibt es bis jetzt aber keine Anzeichen.
Der düstere Ausblick spiegelt dabei des schlechte Geschäftsklima wider. "Russische Investoren haben ihre Investitionsentscheidungen fast eingefroren", so IWF-Chefökonom Olivier Blanchard. "Der Kapitalabfluss ist groß."
Großer Kapitalabfluss
Nach Angaben der russischen Zentralbank wurden im ersten Halbjahr rund 75 Milliarden US-Dollar außer Landes gebracht, doppelt so viel wie im Vorjahreszeitraum. Um die Flucht etwas einzudämmen, erhöhte die russische Zentralbank ihren Leitzins in der vergangenen Woche um einen halben Punkt auf 8,0 Prozent.
Auch die ausländischen Direktinvestitionen sind nach IWF-Angaben "fast eingefroren". Wenn zudem der Zugang russischer Banken zu den Finanzmärkten der EU einschränkt wird, haben russische Firmen ein Problem. "Die Finanzierung künftiger Investitionsprojekte wird schwierig", sagte Alexander Abramov von der Russischen Akademie für Volkswirtschaft der DW.
Zusätzlicher Druck auf die russische Wirtschaft kam am Montag (28.07.2014) aus Den Haag. Der dortige Schiedsgerichtshof verurteilte Russland zur Zahlung von 50 Milliarden US-Dollar an die Aktionäre des Ölkonzerns Yukos. Die Firma war vor zehn Jahren auf Geheiß von Präsident Wladimir Putin zerschlagen worden - "aus politischen Gründen", befanden die Richter und sprachen den Aktionären die Rekord-Entschädigung zu.
Das 50-Milliarden-Urteil
50 Milliarden Dollar - das entspricht 2,5 Prozent der jährlichen russischen Wirtschaftsleistung. Moskau hat bis Mitte Januar 2015 Zeit, die Entschädigung zu zahlen, andernfalls könnten staatliche Vermögen im Ausland gepfändet werden. Russland Regierung nannte das Urteil "fehlerhaft", "einseitig" und "politisch voreingenommen" und kündigte an, die Entscheidung anzufechten.
Das Verfahren könnte sich also noch lange hinziehen. Doch schon jetzt zeichnen sich Konsequenzen ab. "Die Entscheidung des Gerichts beeinflusst die Einschätzung der langfristigen Finanzstabilität Russlands", sagt Aleksei Pogorelow von der Bank Crédit Suisse. "Auf dieser Basis könnten internationale Ratingagenturen ihre Ratings für Russland überarbeiten."
Zudem warf das Verfahren in Den Haag noch einmal ein Schlaglicht auf die Rechtsunsicherheit für Investitionen in Russland. Die führt dazu, dass das Land bei Anlegern ähnlich unbeliebt ist wie Iran, Argentinien und Simbabwe, so das britische Magazin "The Economist". Russische Aktien würden deshalb mit einem deutlichen Abschlag gehandelt. Weil das Kurs-Gewinn-Verhältnis russischer Papiere deutlich schlechter ist als im Durchschnitt der Schwellenländer, gingen Anlegern umgerechnet rund 1000 Milliarden US-Dollar an Wert verloren, so das Magazin.