Rätselraten um Xi Jinping
4. März 2013Jedes Jahr im März tritt Chinas Nationaler Volkskongress zusammen. Diesmal wartet eine besondere Aufgabe auf die knapp 3000 Delegierten: Sie werden den Führungswechsel an der Spitze des Landes abschließen. Auf dem 18. Parteitag im vergangenen November wurden bereits die Spitzenposten in der allein herrschenden Kommunistischen Partei vergeben. Jetzt wird Chinas Parlament den neuen Parteichef Xi Jinping auch zum Staatspräsidenten wählen. Auch die Zusammensetzung der Regierung, die in China der Staatsrat ist, wird von den Delegierten abgenickt werden.
Personalentscheidungen hinter verschlossener Tür
Es gehört zu den Eigenarten von Chinas politischem System, dass der Kandidat für das Staatspräsidentenamt keinen Wahlkampf führen muss. Schließlich wird er nicht vom Volk gewählt, sondern von den zuvor handverlesenen Delegierten des Volksongresses. Die Kommunistische Partei trifft ihre Personalentscheidungen hinter verschlossenen Türen. Mithin musste Xi keiner Öffentlichkeit erklären, für welche Politik er steht, welche Positionen er bezüglich Chinas mannigfaltiger Problemfelder vertritt. Entsprechend wenig weiß man von dem 59-Jährigen.
Xi wurde bereits 2008 zum Vizepräsidenten gewählt. Seither galt er als designierter Nachfolger von Hu Jintao, der nun alle seine politischen Ämter abgibt. Trotzdem war der chinesischen Öffentlichkeit Xis Frau wesentlich besser bekannt: Peng Liyuan ist eine berühmte Folkloresängerin.
Symbolpolitik
Auch Fachleute wie der Tübinger Chinawissenschaftler Günter Schubert tun sich schwer, aus den Auftritten von Xi Jinping in den vergangenen Monaten abzuleiten, wohin der neue Staats- und Parteichef China steuern wird. "Er hat zwar in den letzten Monaten versucht, in mehreren öffentlichen Reden darauf hinzuweisen, dass China einen neuen Reformprozess braucht, neue Reformen im wirtschaftlichen Bereich. Aber das alles ist noch im Bereich des Symbolischen geblieben und hat noch keine konkrete Politik hervor gebracht", so Schubert im Interview mit DW.DE.
Es hat noch mehr Signale gegeben: Den Kampf gegen die Korruption hat Xi ganz oben auf die Tagesordnung gesetzt. Tatsächlich verloren im letzten Vierteljahr mehrere Dutzend hochrangiger Funktionäre ihre Ämter, bis hin zu einem stellvertretendem Provinzparteichef. Solche Kampagnen hatte es allerdings auch unter der letzten Führung in regelmäßigen Abständen gegeben und auch die Rethorik gleicht sich.
Zugleich versucht Xi, ein Image der Bescheidenheit zu kultivieren und gegen die Verschwendung etwa bei offiziellen Banketten vorzugehen. Demonstrativ bescheidet er sich mit "vier Gerichten und einer Suppe" - das entspricht in etwa einem Hauptmenü mit drei Beilagen plus einer Suppe in der westlichen Küche - an Stelle der oft üblichen üppigen Berge teurer Spezialitäten, mit denen sich die Parteifunktionäre sonst gerne auf Staatskosten den Bauch vollschlagen - zum Ärger der Bevölkerung. Dazu passt, dass Xi sich filmen ließ, als er in einem Hotel einfach mal vom Buffet aß. Der Heidelberger China-Experte Christian Göbel deutet das als Zeichen für eine eher konservative Politik. "Er will wieder zurück. Vielleicht nicht gerade zu revolutionären Zeiten, aber zu einer Zeit, wo die Parteimitglieder von ihrem Idealismus getragen wurden", analysiert Göbel gegenüber DW.DE.
Nähe zum Militär
In eine eher konservative Richtung weist für Göbel auch, dass Xi Jinping erkennbar die Nähe zum Militär sucht. Die chinesische Armee ist nicht dem Staat untergeordnet, sondern der Partei. Xi Jinping ist als Chef der Zentralen Militärkommission ihr oberster Befehlshaber. Der neue KP-Chef hat im Zuge der Konsolidierung seiner Macht systematisch Standorte für die verschiedenen Waffengattungen im ganzen Land besucht und das Militär auf sich eingeschworen.
Xi Jinping hat auf den Spuren des Architekten von Chinas Reform- und Öffnungspolitik, Deng Xiaoping, eine "Reise in den Süden" unternommen. Dabei hat Xi einen Kranz vor einer Statue des 1997 verstorbenen Deng abgelegt - eine Verneigung vor dem Reformer. Allerdings hat Xi ebenfalls bei dieser Reise in den Süden eine Rede gehalten, deren Inhalte erst kürzlich dank der Pekinger Journalistin Gao Yu bekannt geworden sind. Xi Jinping hat darin den Zerfall der Sowjetunion als warnendes Beispiel für Chinas Kommunistische Partei hervorgehoben. Dort hätte die Kommunistische Partei ihre Ideale und ihren Glauben verloren. Vor allem kritisierte Xi, in der Sowjetunion sei die Einheit von Partei und Militär aufgegeben worden. Als es darauf ankam, sei die Partei wehrlos gewesen - etwas, was für Xi in China nie passieren darf.
Erste Auslandsreise nach Russland
Jetzt wird Moskau das erste Reiseziel des neuen chinesischen Staatspräsidenten werden. Für den China-Experten Günter Schubert liegt die Bedeutung Russlands für China vor allem in der Sicherung der Energieversorgung. Und: "Es gibt natürlich auch diese strategische Partnerschaft, die immer wieder hoch gehalten wird gegen eine westliche Allianz." So sieht Schubert in der Reise ein Symbol und ein Signal an den Westen, dass "China eben auch woanders hinblicken kann als in den Westen".
Äußerlich hebt sich Xi Jinping von seinem oft hölzern wirkendem Vorgänger Hu Jintao durch sein vergleichsweise lockeres und selbstbewusstes Auftreten ab. Ein liberaler Reformer ist er deswegen noch lange nicht. Christian Göbel betont: "Wenn jemand wie Xi Jinping - und das gilt für jeden Parteiführer und jedes Mitglied des Politbüros - so weit gekommen ist, hat er eine sehr, sehr lange Ochsentour hinter sich. Das zeigt, dass sie sich gut an das System anpassen können, die Regeln kennen und wissen, wie sie im System überleben." Auch deshalb erwartet Göbel keinen gravierenden Kurswechsel. Auch Gunter Schubert gibt zu bedenken, man müsse abwarten, "inwiefern es denn möglich sei, von dem, was sein Vorgänger zehn Jahre betrieben hat, wirklich abzuweichen."
Deswegen überrascht es nicht, dass Xi Jinping in der bereits zitierten Rede auf der Reise in den Süden betont haben soll: "Nur der Sozialismus kann China retten. Nur wirtschaftliche Reform und Öffnung können China entwickeln, den Sozialismus entwickeln, den Marxismus entwickeln.“ Nach einem politischen Kurswechsel klingt das wirklich nicht.