IS in Bosnien
20. März 2015Es ist eine Provokation: Immer wieder tauchen in dem kleinem Ort Gornja Maoča im Nordosten Bosnien-Herzegowinas Flaggen des sogenannten Islamischen Staates (IS) auf. Mal hängen sie an einer Hauswand, mal an einer anderen.
Anwohner fotografieren die Flaggen und schicken sie an die Presse. Daraufhin setzt sich regelmäßig eine Hundertschaft der bosnischen Antiterroreinheit SIPA (State Investigation and Protection Agency) aus der Hauptstadt Sarajevo in Bewegung. Wenn die Beamten in Gornja Maoča eintreffen, sind die Flaggen aber meist schon wieder verschwunden.
Die Behörden in Bosnien-Herzegowina genießen bei der Bevölkerung einen schlechten Ruf. Im Fall der radikalen Islamisten kann man der SIPA allerdings keine Untätigkeit vorwerfen. Nachdem im Jahr 2011 der Bosnier Mevlid Jašarević mit einer Kalaschnikow am helllichten Tag auf die US-amerikanische Botschaft in Sarajevo schoss, herrscht Alarmbereitschaft im Land.
Haftstrafen für Dschihad-Kämpfer
Die SIPA unternimmt regelmäßig Razzien. Und gegen Terrorreisende hat das bosnische Parlament im Juni 2014 ein Gesetz erlassen, das bosnisch-herzegowinischen Staatsbürgern untersagt, in fremden Ländern zu kämpfen. Wer Dschihad-Kämpfer anwirbt oder selber zu diesem Zweck ausreist, kann mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden.
Aufgrund des Attentats von Islamist Mevlid Jašarević wurde das Dorf Gornja Maoča im ganzen Land bekannt - vorher hatte in Bosnien-Herzegowina niemand etwas von dem Heimatort des Attentäters gehört. Schon das Äußere von Jašarevićs – dichter Bart und ein langes Gewand - verriet seine Zugehörigkeit zu den Wahhabiten.
Gemeint sind Anhänger der wahabitischen Ausrichtung des sunnitischen Islams, wie er etwa in Saudi-Arabien praktiziert wird. Seine Anhäger werden manchmal auch als Salafisten beszeichnet.
Ein eigener, europäischer Islam
"Diese Strömung des Islam stellt allerdings im Gegensatz zu der sunnitisch-hanefitischen Ausrichtung, wie sie seit Jahrhunderten in Bosnien-Herzegowina praktiziert wird", sagt Enes Karić, Professor an der Fakultät für Islamwissenschaften in Sarajevo.
Nach Auskunft von Karić begann die Herrschaft des Osmanischen Reiches in Bosnien 1456 und danach setzte ein Prozess der Islamisierung der lokalen Bevölkerung ein. Der Islam habe sich zu einer "urbanen" Lehre entwickelt, die wichtigsten Interpretationen seien aus den städtisch geprägten Medresen (Islamschulen) gekommen.
"Der Islam lebte in Bosnien-Herzegowina immer im Austausch mit den anderen Religionen des Landes: dem katholischen und serbisch-orthodoxem Christentum, sowie dem Judentum", erläutert Karić. Spätestens seit dem Jahr 1878, als Bosnien-Herzegowina von den Habsburgern regiert wurde, lebten die bosnischen Muslime in einer säkularen Gesellschaft, in der Religion zwar einen wichtigen Platz einnahm, aber nicht den Alltag dominierte.
Dass sich trotz dieser Tradition in Bosnien-Herzegowina eine Gruppe radikaler Islamisten wie die Wahhabiten aus dem Ort Gornja Maoca ausbreiten konnten, hängt vor allem mit dem Krieg von 1992-1995 zusammen. Damals kamen aus verschiedenen islamisch geprägten Staaten Freiwillige nach Bosnien-Herzegowina, die vorgaben, im Namen der moslemischen Bevölkerung zu kämpfen.
Geld aus Saudi-Arabien
Nach dem Krieg haben nicht alle diese islamistiswchen Kämpfer das Land wieder verlassen. Viele der 2000 Söldner bekamen bosnische Pässe und rekrutierten junge Menschen für ihren religiösen Kampf.
Zudem betrachten saudische Stiftungen Bosnien-Herzegowina mittlerweile als ihre Einflusssphäre. Mit viel Geld finanzierten sie den Bau von Gotteshäusern, darunter der die König-Fahd-Moschee in Sarajevo, mit 4000 Plätzen die größte Moschee des Balkans. Sie wurde bereits im Jahr 2000 eingeweiht und von der konservativen Richtung der Wahhabiten geprägt.
"In örtlichen Moscheen und unter der Großteil der autochtoner muslimischen Bevölkerung stoßen die Extremisten auf Ablehnung", meint Dennis Gratz, Vorsitzender der sozialliberalen Partei "Naša stranka". "Trotzdem begünstigen die Armut und die schlechten wirtschaftlichen Aussichten eine Radikalisierung im religiösen Bereich".
Gleichzeitig versuchen nach Einschätzung von Gratz einige bosnische Politiker sich dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan anzubiedern. Erdogan sei der Verfechter einer neoosmanischen Ausrichtung der türkischen Außenpolitik und verfolge die Rückkehr eines konservativen Islams, den man in der Türkei schon überwunden glaubte, sagt Gratz, der in Deutschland zur Schule ging und am Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik promovierte.
In einer Studie für die US-Militärakademie in West Point beschrieb der Analyst Steven Oluic das Dilemma, in dem sich Bosnien-Herzegowina, aber auch die westliche Gemeinschaft befindet, ohne die das Land immer noch nicht überlebensfähig wäre: "Die Fähigkeit Bosniens, Extremismen und einem radikalen Islam zu widerstehen, hängt stark von einem kontinuierlichen Engagement des Westens in dieser Region ab".
Und weiter heißt es in der Studie: "Und auch von der Tatsache, dass sich bosnische Muslime der Herausforderung radikaler Islamisten und ihrer Ideologien stellen müssen." Zumindest Letzteres ist in Bosnien-Herzegowina gewährleistet, eine radikale Interpretation des Islam wird von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt.