Sarrazin erntet Sturm der Empörung
30. August 2010Schon eine Woche diskutiert Deutschland die Thesen des Bundesbank-Vorstandsmitglieds Thilo Sarrazin zum Zuzug von Muslimen und der "genetischen Identität". Doch erst am Montag (30.08.2010) stellte Sarrazin sein Buch "Deutschland schafft sich ab" der Öffentlichkeit vor - und wies jegliche Kritik als überzogen und unbegründet zurück. Die Integrationsprobleme bei Muslimen bestünden über Generationen fort; bei anderen Einwanderern würden sich Schwierigkeiten etwa bei der Sprache oder im Umgang mit Behörden nach der ersten Generation legen. Vor dem Gebäude, in dem Sarrazin sein Buch präsentierte, versammelten sich zahlreiche Demonstranten.
Sarrazin war bereits nach dem Abdruck von Auszügen aus dem Buch wegen seiner Aussagen zu mangelnder Integrationsbereitschaft von Muslimen in die Kritik geraten. Am Wochenende hatte der Autor zudem mit einer Interview-Äußerung zur "genetischen Identität" der Völker parteiübergreifend Empörung ausgelöst. "Alle Juden teilen ein bestimmtes Gen, Basken haben bestimmte Gene, die sie von anderen unterscheiden", sagte er der "Welt am Sonntag".
Merkel und Gabriel äußern sich empört
Das rief sogar die Bundeskanzlerin auf den Plan: Angela Merkels Sprecher Steffen Seibert sagte, Sarrazin grenze ganze Gruppen aus, mache sie verächtlich und habe sich nun noch in "komplett abstruse Erbmaterialtheorien verrannt". Die Bundesbank müsse sich Gedanken machen, wie sie mit dem Fall Sarrazin umgehe. Die deutsche Notenbank distanzierte sich am Montag von den Äußerungen Sarrazins. Diese schadeten dem Ansehen der Bank und seien geeignet, den Betriebsfrieden zu stören, so die Bank. Einen Abwahlantrag soll es aber vorerst nicht geben. Stattdessen solle ein Gespräch zwischen Vorstand und Sarrazin stattfinden, beschloss der Vorstand am Montag in Frankfurt.
Auch die SPD, deren Mitglied Sarrazin seit Jahrzehnten ist, will Konsequenzen ziehen. Der Vorstand beschloss die Einleitung eines Parteiordnungsverfahrens gegen Sarrazin. Am Ende des Verfahrens könnte ein Parteiausschluss stehen. SPD-Chef Sigmar Gabriel begründete den Schritt mit Sarrazins Äußerungen über die angebliche genetische Disposition bestimmter Gruppen wie Juden oder Basken. Sarrazin habe Begriffe benutzt, die "nahe an der Rassenhygiene und Rassentheorie" lägen, sagte Gabriel in Berlin. Damit habe er sich außerhalb der sozialdemokratischen Partei- und Wertegemeinschaft begeben.
Sarrazin ein "Nazi in Nadelstreifen"
Der Generalsekretär der Muslime in Deutschland, Ayman Mazyek, bezeichnete den ehemaligen Berliner Finanzsenator als einen "Nazi in Nadelstreifen", der versuche, "Rassismus wieder salonfähig zu machen". Seine Behauptungen über Muslime entbehrten jeder wissenschaftlichen Grundlage. Damit sind sich die deutschen Muslime einig mit den Katholiken: Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken verurteilte die Äußerungen als "geistige Brandstiftung" und "Spiel mit den Ängsten der Bevölkerung". Der Präsident des Zentralkomitees, Alois Glück, sagte, Sarrazins Positionen stellten "die Grundlagen unserer humanen Gesellschaft infrage". Mit seiner Sprache und seinem Denken sei er ein Wegbereiter rechtspopulistischer und rechtsradikaler Strömungen.
Siemens-Chef Peter Löscher warnte vor negativen Folgen des Wirbels um die Thesen. "Schon jetzt hat die Debatte dem internationalen Ansehen des Standortes Deutschland mit Sicherheit geschadet", sagte Löscher der Berliner Zeitung "Tagesspiegel". So könnten ausländische Fachkräfte von einem Wechsel nach Deutschland abgeschreckt werden, was die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands verringere. Und der Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit bezeichnete Sarrazin schlichtweg als "paranoid". "Dieser Mann ist einfach nur dumm und ein Irrer", sagte Cohn-Bendit einem Frankfurter Stadtmagazin. Cohn-Bendit war der erste Dezernent für multikulturelle Angelegenheiten in Frankfurt und damit in einer deutschen Großstadt überhaupt.
Österreichs Rechte spendet Beifall
Beifall erhält der bekennende Sozialdemokrat Sarrazin nur von rechts. Das rechtspopulistische "Bündnis Zukunft Österreich" teilte mit, die SPD solle Sarrazin ein Denkmal setzen und nicht versuchen, einen mutigen Denker auszuschließen.
Autor: Martin Muno (dpa, afp, apn, epd, kna)
Redaktion: Dirk Eckert