Sarrazin soll angeblich Ämter verlieren
10. Oktober 2009Einem Magazinbericht zufolge will Bundesbank-Präsident Axel Weber dem wegen umstrittener Äußerungen zu Migranten in Berlin in die Kritik geratenen Thilo Sarrazin wesentliche Kompetenzen entziehen. Unter Berufung auf eine vertrauliche Vorlage für die Vorstandssitzung am kommenden Dienstag berichtete der "Focus", Sarrazin solle die Zuständigkeit für Bargeldumlauf und Risiko-Controlling verlieren. Er würde demnach nur noch für den Bereich Informationstechnologie verantwortlich bleiben, hieß es in dem Vorabbericht vom Samstag (10.10.2009). Die Bundesbank wollte den Bericht auf Anfrage nicht kommentieren.
Weber hatte am vergangenen Wochenende Sarrazin indirekt den Rückritt nahegelegt. Die Bundesbank hatte sich in einem ungewöhnlichen Schritt demonstrativ von den Äußerungen ihres Vorstandsmitglieds distanziert. Sarrazin hatte sich daraufhin öffentlich für seinen Tonfall entschuldigt, einen Rücktritt aber abgelehnt.
Zentralrat der Juden wirft Sarrazin geistige Nähe zu Nazis vor
Mit ungewöhnlich scharfen Worten hatten am Freitag in Berlin Vertreter der Türkischen Gemeinde Deutschland und des Zentralrates der Juden die Äußerungen von Thilo Sarrazin über die angebliche Integrationsunwilligkeit von Migranten verurteilt. "Ich habe den Eindruck, dass Herr Sarrazin mit seinen Äußerungen, mit seinem Gedankengut Göring, Goebbels und Hitler wirklich eine große Ehre macht, so wie er es formuliert", sagte der Generalsekretär des Zentralrates der Juden, Stephan Kramer.
Thilo Sarrazin, der im Vorstand der Bundesbank sitzt, hatte in einem Interview mit dem Intellektuellen-Magazin "Lettre International" vor allem türkische und arabische Migranten scharf angegriffen. An die Adresse der zahlenmäßig stärksten Migrantengruppen in Berlin sagte Sarrazin beispielsweise, ein Großteil von ihnen sei - so wörtlich - "weder integrationswillig noch integrationsfähig", und sie hätten "keine produktive Funktion, außer für den Obst- und Gemüsehandel".
"Perfide und volksverhetzend"
Kenan Kolat, Bundesvorsitzender der Türkischen Gemeinde Deutschlands, zeigte sich schockiert angesichts solcher Äußerungen. "Wir sind viel selbstkritischer mit unserer eigenen Bevölkerung als viele denken, Aber mit solchen Äußerungen erreicht man die Bevölkerung nicht. Man erreicht nur Stigmatisierungen. Man erreicht nicht mal diejenigen, von denen er immer wieder spricht. Er erreicht eine bestimmte Gruppe, die Vorurteile hat, deren Vorurteile durch seine Äußerungen nur gestärkt werden."
Sarrazin hatte in dem Gespräch 70 Prozent der türkischen und 90 Prozent der arabischen Bevölkerung in Berlin als latent aggressiv bezeichnet und ferner über den IQ osteuropäischer Juden schwadroniert. Kein Wunder, dass ihn der Zentralrat der Juden der Volksverhetzung beschuldigt: "Das, was er gesagt hat, ist perfide, infam, volksverhetzend, ja, es ist Muslim-feindlich", sagte Generalsekretär Kramer. Sarrazin versuche, verschiedene Gruppen gegeneinander auszuspielen: "Da gibt es auf der einen Seite die guten Vietnamesen, die guten Chinesen, die guten Inder, die arbeitswillig sind und bereit sich zu integrieren. Und auf der anderen Seite die Hartz-IV-Empfänger, es sind natürlich auch meistens Inländer, Alleinerziehende, Jugoslawen, Türken, Araber, die alle nur 'kleine Kopftuchmädchen' produzieren. Also er entscheidet sozusagen, wer gute Immigranten und wer böse Immigranten sind."
Rücktritt gefordert
Kenan Kolat forderte den sofortigen Rücktritt Sarrazins von allen öffentlichen Ämtern. Ausdrücklich unterstütze die Türkische Gemeinde dabei die von der Staatsanwaltschaft eingeleiteten Ermittlungen: "Er gehört erst mal vor Gericht, und dort soll er sich für seine volksverhetzenden Worte verantworten." Sarrazin hatte noch am Freitag Morgen einen Rücktritt abgelehnt.
Kramer verteidigte ausdrücklich das öffentliche Eingreifen des Zentralrates der Juden. Es solle ein unmissverständliches Signal gesendet werden, dass Minderheiten es sich nicht gefallen ließen, wenn sie "von Demagogen und Populisten angepinkelt und missbraucht werden".
Autor: Richard Fuchs / Julia Elvers-Guyot
Redaktion: Dirk Eckert