Schadensersatz für somalischen Piraten?
17. Dezember 2011Ist die deutsche Bundeswehr für die Bedingungen verantwortlich, unter denen sie ausländische Gefangene im Rahmen der Operation Atalanta inhaftiert? Darüber hatten die Richter am Kölner Verwaltungsgericht zu entscheiden.
Konkret ging es dabei um den Fall von Ali Mohammed Aw-Dahir. Seit mehr als zwei Jahren sitzt der Somalier in Kenia in Haft. Er soll 2009 zusammen mit acht anderen Männern den Frachter "MV Courier" überfallen haben. Von einem Motorboot aus sollen Aw-Dahir und seine Komplizen damals das Schiff mit einer Panzerfaust und Kalaschnikows beschossen haben. Eine deutsche Fregatte konnte die Gruppe von Piraterieverdächtigen noch am Tag des Überfalls stellen. Die Deutsche Marine lieferte die Männer dann an Kenia aus.
Die Kölner Richter entschieden nun, dass die Festnahme von Aw-Dahir und seinen Komplizen zwar rechtmäßig war, die Übergabe an Kenia war in ihren Augen aber ein Verstoß gegen das Völkerrecht. Denn die Bedingungen im kenianischen Gefängnis hätten nach Beurteilung der Kölner Richter im Jahr 2009 "erkennbar nicht völkerrechtlichen Mindeststandards" genügt. Dabei hatte Deutschland in einem Briefwechsel mit den kenianischen Behörden vorher vereinbart, dass die Verdächtigen nach rechtsstaatlichen Maßstäben inhaftiert werden mussten.
Rechtsimperialismus oder bewusstes Auslagern von Justiz?
Der Frankfurter Rechtsanwalt Oliver Wallasch hat die Klage Aw-Dahirs beim Verwaltungsgericht Köln eingereicht. Wallasch engagiert sich in der Londoner Nichtregierungsorganisation "Fair Trials International", die auch den Kontakt zu dem somalischen Piraten hergestellt hatte. Der Frankfurter Anwalt hält den Fall Aw-Dahir für gezieltes "Outsourcen von Justiz": Die Deutsche Marine habe die Piraten festgenommen. Die Piraten seien also in einem Verwahrungsverhältnis mit Verantwortlichkeit der Bundesrepublik Deutschland gewesen. Daher hätte sich auch die Bundesrepublik Deutschland darum kümmern müssen, "dass die Festgenommenen in vernünftige Standards übergeben werden. Ganz einfach", sagt Wallasch. Stattdessen habe sein Mandant aber eineinhalb Jahre "in einem Dreckloch" gesessen.
Einige Piraterie-Experten sehen in dem Kölner Präzedenzfall jedoch einen Fehler. Dr. Michael Stehr, Jurist am Deutschen Marine Institut in Bonn, nennt das Urteil "wenig hilfreich". Er gibt zu bedenken, "ob denn die relativ hohen Maßstäbe, die wir hier in den Wohlstandsstaaten anlegen, überhaupt in Kenia anwendbar sind."
Stehr hält es für grundsätzlich falsch, dass sich Deutschland einmische und spricht von "Rechtsimperialismus": "Es gibt nun mal erhebliche Unterschiede auf diesem Globus, was die Organisation und Durchführung von Untersuchungshaft und Haftverbüßung betrifft. Wir müssen tolerant sein gegenüber den Standards in anderen Ländern."
Das Bundesverteidigungsministerium, das Deutschland im Fall Aw-Dahir vertritt, hat einen Antrag auf Berufung beim Oberverwaltungsgericht Münster gegen das Urteil der Kölner Richter gestellt. Der zuständige Ministerialrat am Bundesverteidigungsministerium kündigte an, wenn nötig auch bis vor das Bundesverwaltungsgericht zu ziehen.
Falls in letzter Instanz zu Gunsten des somalischen Piraten entschieden würde, hätte das spürbare Folgen für Deutschland: Oliver Wallasch rechnet dann mit einem Tagessatz von 25 Euro Schadensersatz für seinen Mandanten. Bei zwei Jahren Haft unter völkerrechtswidrigen Bedingungen käme auf die Bundesrepublik eine Zahlung von 18.250 Euro zu – alleine für Ali Mohammed Aw-Dahir. Mit ihm und seinen Komplizen wurden damals noch 19 weitere mutmaßliche Piraten an Kenia übergeben.
"Nach wie vor kompliziert"
Der Bundestag hat die deutsche Beteiligung an der Mission Atalanta im Dezember 2011 für ein weiteres Jahr verlängert. 1.400 deutsche Soldaten bekämpfen also weiterhin die Piraterie vor der Küste Somalias. Doch auch nach dem Kölner Urteil bleibt unsicher, wie die deutsche Bundeswehr mit festgenommenen Piraten umgeht. Kenia hat das Abkommen mit Deutschland gekündigt – und das obwohl mit deutscher Unterstützung extra ein Gefängnis modernisiert worden war. Es gebe jetzt Vereinbarungen mit Mauritius und den Seychellen, Piraten aufzunehmen, sagt Hauke Bunks, Sprecher für Maritime Einsätze der Bundeswehr. Die Haftbedingungen seien dort auch ausreichend, vermutet er, allerdings sitzen bisher noch keine von Deutschland festgenommenen Piraten dort ein.
Trotz dieser Vereinbarungen ist nicht eindeutig geregelt, was mit Piraten passiert, die deutsche Schiffe angegriffen haben. "Die Lage ist nach wie vor kompliziert", sagt Bunks. Das liege aber nicht am Kölner Urteil, sondern daran, dass Atalanta eine EU-geführte Mission sei. Zuständigkeiten würden deshalb von Fall zu Fall variieren.
Alternative: Internationaler Seegerichtshof
Eine weitere Möglichkeit besteht darin, Piratenprozesse grundsätzlich in Deutschland zu führen. Aber selbst Oliver Wallasch, der diese Lösung immer befürwortet hat, ist davon abgekommen. "Ich verteidige seit 60 Hauptverhandlungstagen einen Piraterieverdächtigen in Hamburg und muss sagen, dass dieses Verfahren zeigt, dass auch das fast unmöglich ist." Beispielsweise könnten Entlastungszeugen nicht angehört werden, weil diese Zeugen aufgrund der "katastrophalen Situation" in Somalia nicht eingeflogen werden könnten.
Oliver Wallasch schlägt eine pragmatische Lösung vor: "Die EU sollte einen Internationalen Seegerichtshof in Afrika einrichten." Hier könnten dann Piraterieverdächtige unter völkerrechtlich anerkannten Bedingungen inhaftiert werden und ihr Prozess ohne jede Auslieferung vor Ort stattfinden. Auch Verantwortliche der Marine finden diese Idee gut, eine endgültige Entscheidung steht aber noch aus. Allerdings wäre die Alternative auch nur langfristig hilfreich. Der Aufbau eines internationalen Gerichtshofs dauert erfahrungsgemäß länger als zehn Jahre.
Autorin: Heike Mohr
Redaktion: Manfred Böhm/Andrea Grunau