Schalke schlittert in die Krise
18. September 2016Plötzlich explodiert er. 25 Sekunden sind gespielt, und Markus Weinzierl ist nicht mehr zu halten. Er hüpft an der Seitenline auf und ab und brüllt auf seine Spieler ein. Gleich beim ersten Hertha-Angriff ärgert ihn das zögerliche Abwehrverhalten seiner Mannschaft. Und so geht es über weite Strecken des Spiels, das mit 0:2 (0:0) verloren gehen wird. Meist breitbeinig, mit beiden Händen in den Hosentaschen, steht der neue Schalke-Trainer da, um dann auf einmal wie wild geworden zu gestikulieren. Dampf ablassen. Sein Team wachrütteln.
Dabei ist Weinzierl nicht gerade für sein extrovertiertes Verhalten in der Coaching-Zone berüchtigt, doch in diesem Spiel erinnert er fast schon an die Wilden seiner Zunft: Klopp, Simeone, Guardiola, Tuchel. Bis in der zweiten Halbzeit auch er nicht mehr kann. Die heimstarken Berliner machen innerhalb von zehn Minuten durch Mitchell Weiser (64. Minute) und Valentin Stocker (74.) zwei Tore, die Weinzierl wie versteinert zur Kenntnis nimmt.
Negativ-Rekord für Weinzierl als Schalke-Coach
"Wir haben den Gegner durch zwei individuelle Fehler eingeladen, Tore zu schießen, die uns sehr weh tun", ärgerte sich der neue Schalker Coach nach dem Anpfiff. Es dürfte ihm schwer fallen, die nun schon dritte Bundesliga-Pleite in Folge zu verdauen. Es ist ein Negativ-Rekord: Noch nie hat ein Schalker Cheftrainer seine ersten drei Bundesliga-Partien verloren. "Wir sind unzufrieden." Mehr war auf der Pressekonferenz aus ihm nicht herauszubekommen.
Auch seine Spieler schlichen mit ratlosen Gesichtern vom Platz. "Null Punkte nach drei Spielen, das ist nicht Schalke. Das ist nicht gut genug. Das ist nicht unser Anspruch", meinte Abwehrchef Naldo. "Es ist nicht gerade das, was wir vorhatten", ergänzte Klaas-Jan Huntelaar. Manager Christian Heidel versuchte derweil, die Niederlage auch auf die fehlende geistige Frische zu schieben. Denn die Schalker mussten erst am vergangenen Donnerstag in der Europa-League ran.
Gegen Nizza gab es einen 1:0-Sieg, in der Liga tritt der Klub weiter auf der Stelle. Ausgerechnet die beiden Neuzugänge im defensiven Mittelfeld, Benjamin Stambouli und Nabil Bentaleb, die in den letzten Wochen zu den Schalker Stützen zählten, leisteten sich zwei schwere Fehler, die zu den Gegentoren führten. "Das war fast schon ein wenig überheblich", sagte Heidel. "Das ist sehr bitter. Aber damit müssen wir jetzt umgehen."
"Überzeugt, dass wir auf dem richtigen Weg sind"
Dabei sollte alles anders laufen auf Schalke. Ein neues Führungsduo, Trainer und Manager ausgetauscht, vielversprechende Neuzugänge. Es war tatsächlich so etwas wie Aufbruchstimmung im Revier zu spüren. Einige Schalker Fans träumten schon davon, den großen Rivalen Borussia Dortmund anzugreifen und den zweiten Rang hinter den Bayern zu erobern. Doch nun hat schon nach drei Spielen Ernüchterung eingesetzt.
"Klar, wir sind nicht gut gestartet, was die Punktzahl betrifft. Aber ich bin dennoch absolut davon überzeugt, dass wir auf dem richtigen Weg sind", sagte Kapitän Benedikt Höwedes. Einigen der neuen Schalkern muss Weinzierl allerdings noch den Weg weisen. Flügelstürmer Breel Embolo bot gegen Hertha eine erschreckend schwache Leistung. Der junge Schweizer traf häufig die falschen Entscheidungen und leistete sich Abspielfehler en masse. Weinzierl hatte zur Halbzeit ein Einsehen und nahm ihn vom Platz.
Schalke wartet immer noch auf das erste Tor
Doch auch der für ihn eingewechselte Yevhen Konoplyanka konnte diesmal nicht überzeugen. Seine auffälligste Szene: eine Flanke hinter das Hertha-Tor ins Niemandsland. Sie fasste den Schalker Abend perfekt zusammen. Nicht ein Abschluss im gegnerischen Strafraum - es war fast schon erschreckend, wie wenig Torgefahr die Schalker gegen Hertha zustandebrachten. Und so warten sie nach drei Spieltagen immer noch auf das erste Tor. Die Harmlosigkeit im Schalker Angriff wächst zum echten Problem heran. Die ganze Mannschaft wirkt insgesamt nicht eingespielt, die Neuen sind überfordert.
"Die Jungs hängen ein bisschen in den Seilen. Wir müssen sie jetzt wieder aufbauen", meinte Manager Christian Heidel. In den Reihen der mitgereisten Schalker Fans war in der Schlussphase nur noch zaghaftes Anfeuern zu vernehmen. Kurz vor dem Schlusspfiff verließen schon einige das Stadion und machten sich auf den Nachhauseweg. "Die Fans erwarten, dass wir jetzt Punkte holen", sagte Naldo.
Der Brasilianer brachte den Arbeitsauftrag für die kommende englische Woche auf den Punkt. Gegen die noch ungeschlagenen Kölner brauchen die Schalker am Mittwoch (20:00 Uhr MESZ im DW-Liveticker) unbedingt einen Heimsieg. Auch Manager Heidel weiß um die Brisanz der Partie: "Wir möchten ungern den ersten Saisonsieg noch weitere Wochen vor uns herschieben." Die Schalker sehnen sich nach einem Befreiungsschlag. Sie haben ihn auch bitter nötig, damit Markus Weinzierl in Ruhe weiterarbeiten und die Spiele wieder etwas entspannter verfolgen kann.