Chinas tickende Zeitbomben
23. März 2014Wenn George Soros laut über Gefahren für die Weltwirtschaft nachdenkt, dann spitzt die globale Finanzwelt die Ohren. So geschehen im Januar, als die lebende Investorenlegende ein ungewohnt dramatisches Kapitel der großen chinesischen Wachstums-Story aufschlug: "Die größte Unsicherheit, vor der die Welt heute steht, ist nicht der Euro, sondern die künftige Richtung Chinas." Denn Chinas bisherigem Wachstumsmodell sei die Puste ausgegangen.
Soros warnt vor dem "exponentiellen Anstieg verschiedener Formen der Schuldenfinanzierung" in China und konstatiert "einige unheimliche Ähnlichkeiten zu den Finanzbedingungen, die in den USA im Vorfeld des Crashs von 2008 herrschten".
Doch anders als in den USA, räumt der 83-jährige Hedgefonds-Manager ein, wo die Finanzmärkte dazu neigten, die Politik zu dominieren, sei in China der Staat Eigentümer der Banken und des Großteils der Wirtschaft, und die Kommunistische Partei kontrolliere die staatseigenen Unternehmen.
Doch wie effektiv lässt sich Chinas Schattenbank-Sektor von der Staats- und Parteiführung kontrollieren? Über die Antwort zu dieser Frage brüten derzeit nicht nur in China Banker und Finanzexperten. Auch Horst Löchel von der Frankfurt School of Finance & Management beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den Chancen und - in letzter Zeit - auch mit den Risiken der chinesischen Volkswirtschaft. Der Bank- und Finanzexperte hat während der prägenden Jahre des chinesischen Wirtschaftswunders in Shanghai gelebt und gearbeitet. Als Gastprofessor an der China Europe International Business School (CEIBS) ist er regelmäßig in Shanghai.
Gerade aus der boomenden Wirtschaftsmetropole zurückgekehrt, kann Löchel nur bestätigen, dass Schulden und Kreditrisiken zurzeit das beherrschende Thema unter Chinas Finanzexperten und Anlegern ist - besonders seit zwei Schattenbanken-Fonds in den vergangenen Monaten nur knapp an der Zahlungsunfähigkeit vorbei geschrammt sind. "Da gibt es eine große Diskussion in China zurzeit: Sollen wir die jetzt fallen lassen, sollen wir die Bankrott gehen lassen, so dass die Anleger ihr Geld verlieren oder sollen die Investoren herausgekauft werden?", sagt Löchel.
Banken, die keine Banken sind
Der Begriff Schattenbank ist irreführend. In China dominieren mehrere Dutzend Investmentgesellschaften - so genannte Trusts - einen großen Teil des staatlich nicht regulierten Kapitalmarkts. Sie sammeln Geld bei Anlegern ein und verleihen das Geld an Unternehmen, die nur schwer oder gar nicht an reguläre Kredite der staatlichen Geschäftsbanken kommen. Die Trusts wiederum legen Fonds auf, in die Privatanleger kurzfristig investieren können - zu deutlich höheren Zinsen als sie die staatlichen Banken anbieten. Die 'Trust-Fonds' geben dann dieses Geld als Kredite weiter, etwa an Betreiber von Bergwerken, Stahlwerken oder an Immobilienentwickler.
Irreführend für viele Privatanleger ist dabei, dass die Fonds von staatlichen Banken vertrieben werden: Es entsteht der Eindruck, dass das Verlustrisiko gering ist und am Ende der Staat dafür sorgen wird, dass die Anleger an ihr Geld kommen. Die Banken lehnen im Gegenzug jede Verantwortung für die Trust-Fonds ab. Trotzdem haben bislang Anleger noch keine Totalverluste hinnehmen müssen, weil angeschlagene Trust-Fonds in der Regel von der Regierung aufgefangen wurden.
Kurze Laufzeiten, hohe Renditen
Die Investoren kommen vor allem aus Chinas gut verdienender Mittelschicht, die vor allem in den boomenden Wirtschaftsregionen an der Küste lebt. "Die haben ein gewisses Einkommen und eine gewisse Sparquote. Die wollen sich mit zwei, drei Prozent Zinsen der Staatsbanken nicht abspeisen lassen. Der chinesische Aktienmarkt ist auch keine Alternative. Immobilien sind schon hoch bewertet, zumindest hier in Shanghai", sagt Löchel. Fünf oder sechs Prozent Zinsen in einem überschaubaren Zeitraum - für viele Anleger ist das ein verlockendes Angebot, weiß Löchel aus seinem Bekanntenkreis in Shanghai. Denn in China gebe es nicht nur einen Mangel an Krediten vor allem für kleinere und mittlere Unternehmen, sondern auch einen Mangel an Anlagemöglichkeiten.
"Wenn Sie als Privatmann oder -frau so einen Fonds kaufen, dann kaufen Sie den für maximal drei Monate. Und dadurch entsteht natürlich ein noch größeres Gefühl von Sicherheit. Weil nämlich kurzfristige Anleihen viel sicherer sind - im Regelfall jedenfalls - als langfristige Anleihen. Und die Leute gehen davon aus: In ein bis drei Monaten wird schon nichts passieren. Aber wenn der Zustrom in diese Fonds einmal abreißt, dann kommt dieses ganze System ins Wanken."
Unbekannte Größe
Das wirkliche Volumen dieses grauen Kapitalmarkts liegt völlig im Dunkeln: Die Schätzung der US-Bank J.P. Morgan Chase liegt bei knapp 70 Prozent des chinesischen Bruttoinlandsprodukts (BIP). In der Studie "Risks in China's Shadow Banking" vom Oktober 2013 hat der in Hongkong tätige Makro-Analyst der Schweizer Großbank UBS, Tao Wang, einen Wert von 46,5 Prozent des BIP im dritten Quartal 2013 hochgerechnet. Bei einem chinesischen BIP von mehr als neun Billionen US-Dollar im Jahre 2013 alles andere als ein Pappenstiel.
Dass niemand den genauen Umfang des chinesischen Schattenbanken-Sektors kennt, ist für Volkswirt Löchel keine Überraschung: "Es wäre ja kein 'Shadow Banking', wenn wir die Zahlen kennen würden. Ich kenne Zahlen von 30 bis 40 Prozent des chinesischen BIP - das ist immer noch groß genug. Mann muss aber sehen, dass viele Fonds - weit über 90 Prozent - sehr gut laufen und den Mangel an Finanzierung durch die Banken ausgleichen."
Die Ratingagentur Fitch beobachtet mit Argusaugen die Situation im Reich der Mitte und kommt zu dem Ergebnis: "Chinas Schattenbank-Reformen brauchen Zeit, um zu greifen." Für Chinas Finanzsystem werde es ein langwieriger Prozess sein, Vermögensverluste zahlungsunfähiger Investment-Trusts zu verdauen. Die Gefahr: Wenn immer mehr Geld in die Stützung notleidender Fonds fließe, stehe immer weniger zur Finanzierung der Realwirtschaft zur Verfügung.
Problem erkannt - Gefahr gebannt?
Horst Löchel glaubt, dass Chinas Staatsführung das Problem erkannt hat und gegensteuert. Noch sei das Problem unter Kontrolle, noch sei China von einer Kreditklemme weit entfernt. Aber der China-Experte sieht auch die Risiken: "Man muss aufpassen, dass keine Kettenreaktion ausgelöst wird, wenn jetzt ein oder zwei davon umfallen. Wenn es zu einer Kettenreaktion kommt, dann hat China - und nicht nur China - dann hat die Welt ein Problem. Das ist wie im Westen auch: Ein Baustein im Finanzsystem hängt am anderen und wenn dann zwei oder drei große Player ins Wanken kommen, dann hat das weitreichende Folgen, dann kommt das ganze System ins Wanken. Weil dann beispielsweise die Liquidität zwischen den Banken aus Sicherheitsgründen eingefroren wird."
George Soros warnte bereits im April 2013 vor den Ausmaßen dieser tickenden Zeitbombe. Auf dem exklusiven "Boao Forum for Asia" auf Chinas Tropeninsel Hainan gab er der chinesischen Regierung noch zwei Jahre, um die unregulierten Bereiche des chinesischen Finanzsektors zu regulieren und das Platzen einer Spekulationsblase zu verhindern. "Wenn man die Erfahrungen aus den USA als Maßstab anlegt, dann haben die Regierenden noch zwei Jahre Zeit, um den Schattenbanken-Sektor unter Kontrolle zu bringen. Es hat nämlich in den USA nur zwei bis drei Jahre rasantes Wachstum im Ramsch-Hypothekenmarkt gebraucht, um die Finanzkrise von 2007/2008 auszulösen. Ich denke, es ist von größter Wichtigkeit, dass die Regierenden dabei Erfolg haben, nicht nur im Interesse Chinas, sondern der ganzen Welt."