Schiffsfriedhof Ostsee
8. August 2022In der Lübecker Trave ist im vergangenen Jahr bei einer Routinemessung in elf Metern Tiefe ein knapp 400 Jahre altes, versunkenes Schiff aus der Hansezeit mit mehr als 150 Fässern an Bord entdeckt worden. Für die Hansestadt Lübeck ist es ein Sensationsfund und ein wichtiges Zeugnis der eigenen Geschichte. Es soll nun geborgen werden. Doch Entdeckungen von Wracks in der Ostsee seien zunächst einmal keine Seltenheit, meint der Unterwasserarchäologe Florian Huber.
"Nach Schätzungen liegen auf dem Grund der Ostsee zwischen 10.000 bis zu 100.000 Schiffswracks" in stiller Ruhe auf dem Meeresgrund. Was den Fund bei Lübeck einzigartig macht: der Fundort in der westlichen Ostsee und dass das Schiff vom Ende der Blütezeit der Seehandel-treibenden Hansestadt aus dem 17. Jahrhundert stamme. "Aus der Zeit kennen wir nicht so viele Schiffe," führt Huber aus.
"Die Ostsee ist ein riesiges, eiskaltes Museum"
Aus Sicht der Wissenschaft sei ein solcher Fund "besonders spannend, denn man kann daraus lernen, wie Schiffe damals gebaut waren, welche Technik dahinter steckt," erläutert Huber, der seit 1992 die Weltmeere erkundet. Die rund 150 Fässer, die auf dem Lübecker Schiff entdeckt wurden, seien ebenso ein wichtiges Zeugnis der Vergangenheit. "Wir lernen etwas über die Ladung, die damals gehandelt wurde".
Aber warum halten sich Wracks und andere längst versunkene Schätze in der Ostsee eigentlich so gut? Dafür gibt es mehrere Gründe. Große Teile des nordeuropäischen Binnenmeers sind sauerstoffarm, kalt, dunkel und haben einen niedrigen Salzwassergehalt.
"Die Ostsee ist wie ein riesiges eiskaltes Museum - wie ein Kühlschrank, der einfach alles konserviert, was da reinfällt", so Huber. Oftmals sei nicht nur das Holz erhalten, sondern auch noch die Ladungen. "Es werden oft Leder- und Textil-Reste gefunden." Man finde häufig noch die Ware - "teilweise steckt der Stockfisch noch in den Fässern drin. Man findet Knochen. Alles Organische erhält sich unter Wasser einfach sehr, sehr gut," so Huber. Auch in den Fässern des Lübecker Wracks wurden Spuren von Branntkalk entdeckt, einem wichtigen Baustoff, mit dem zur Hansezeit gehandelt wurde.
"In der Ostsee wurden tatsächlich schon Weinflaschen, Champagnerflaschen und auch Bierflaschen gefunden. Die waren natürlich nicht so alt, aber ich sage mal 100 Jahre, 200 Jahre. Die waren noch genießbar. Der Champagner wurde versteigert und ging für Zigtausende über den Tresen."
Der Schiffsbohrwurm ist der größte Feind von Holzwracks
Aber nicht nur die Kälte und die Dunkelheit des Meeres konservieren: Eins der beliebtesten Urlaubsziele der Deutschen ist bei manchen Lebewesen überhaupt nicht beliebt. Das kommt vor allem den auf dem Ostseegrund schlummernden Holzwracks zugute. Denn ihr größter Feind, der Schiffsbohrwurm Teredo navalis, fühlt sich hier gar nicht wohl. Er mag sauerstoffreiches Salzwasser. Je weiter man in der Ostsee gen Osten geht, desto mehr Süßwasser sammelt sich dort. "Am Bottnischen Meerbusen um Finnland und Schweden gibt es fast schon Süßwasser, also nur noch ganz wenig Salz und dementsprechend kann da der Schiffsbohrwurm schon nicht mehr überleben."
Deshalb finden sich dort meist sehr gut erhaltene Wracks. "In der Ostsee liegen teilweise Wracks, die zwei-, drei-, vier- oder fünfhundert Jahre alt sind - und die stehen noch aufrecht mit den Masten. Das ist weltweit einzigartig."
Das erklärt auch, warum die in Lübeck gefundenen Schiffsteile schon etwas "angefressen" aussehen. Lübeck liegt im westlichen Teil der Ostsee. Auf Bildern, die die Stadt Lübeck vom Fund veröffentlicht hat, sind klare Spuren vom Schiffsbohrwurm im Holz zu sehen. "Neben dem Schiffsbohrwurm sind Wracks allerdings auch von Klimawandel, Fischtrawlern und Plünderungen bedroht", ergänzt Huber.
Ein anderer Grund zur Sorge: In einer Pressemeldung der Hansastadt zum Sensationsfund heißt es, das Wrack sei neben den Schiffsbohrwurm massiv durch Meeresströmung gefährdet. Man müsse den Fund deshalb schützen und erhalten, weil er als "einmaliger und herausragender Fund für die Historie und Archäologie der westlichen Ostsee" eingestuft wird.
Die Konservierung von Wracks ist schwierig
Eine der Mammutaufgaben, die die Hansestadt Lübeck jetzt bewältigen muss, wenn sie das Wrack birgt, wird die Konservierung der Wrackteile sein. Denn, alles, was aus dem Wasser komme, könne man nicht einfach irgendwo trocknen und dann ins Museum stellen, gibt Huber zu bedenken.
Insbesondere Holz arbeitet weiter. Nach einem jahrhundertelangen Schlummer auf dem Meeresgrund ist es vollgesogen mit Wasser. Das müsse langsam rausgeholt werden. Das Wasser "muss mit einem flüssigen Kunststoff ersetzt werden, damit die Holzzellen nicht zusammenfallen. Der Prozess ist aufwändig und teuer."
Wie aufwändig die Konservierung von alten Wracks sein kann, zeigen eindrücklich andere geborgene Schiffe, wie die englische Mary Rose, oder die Bremer Kogge. Schweden holte 1961 das Kriegsschiff Vasa, das im 17. Jahrhundert gesunken war, aus der Ostsee und errichtete eigens dafür ein Museum. Das Wrack musste 17 Jahre lang mit Polyethylenglycol imprägniert werden, damit das Holz beim Trocknen nicht schrumpft oder reißt.
"Es muss immer wohlüberlegt sein, ob man sich das leisten kann und ob man das möchte."
Wichtiges kulturelles Erbe für Lübeck
Die Hansestadt Lübeck jedenfalls ist sich sicher, das Wrack aus der Trave muss an die Oberfläche: "Es soll schnellstmöglich geborgen und konserviert werden, um es dann als ein Teil der Geschichte der Hanse zu bewahren und für die Zukunft in seiner gesamten Authentizität zu erhalten".