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Schlechte Stimmung vor Bosnien-Wahlen

Nils Neubert10. Oktober 2014

Etwa jeder zweite Bürger in Bosnien-Herzegowina ist arbeitslos, das Land liegt wirtschaftlich am Boden. Vor den Parlaments- und Präsidentenwahlen am Sonntag gibt es kaum Hoffnung auf Besserung.

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Protestierende in Sarajewo im Februar (Foto: dpa)
Proteste in SarajewoBild: dpa

Die Menschen in Bosnien-Herzegowina sind unzufrieden mit ihren Politikern: Schon im Februar gingen sie auf die Straße, um gegen Armut, Korruption und Vetternwirtschaft zu protestieren. Vor allem das Verhältnis zwischen dem Einkommen der Bevölkerung und dem der politischen Eliten erzürnt die Bürger auch im Vorfeld der Wahlen. Nach Angaben der Steuerverwaltung des Landes liegt der Durchschnittslohn bei weniger als 400 Euro, ein Rentner bekommt sogar nur um die 150 Euro im Monat. Doch Mitglieder der politischen Elite können sich nach Angaben dieser Behörde über 3000 bis 5000 Euro im Monat freuen.

Auch die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen am Sonntag werden voraussichtlich kaum etwas an der katastrophalen wirtschaftlichen Lage des Landes ändern, in dem fast jeder zweite Bürger keinen Arbeitsplatz hat. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt sogar bei 72 Prozent - ein trauriger Rekord in Europa. Aus den sozialen Protesten ist nur eine kleine politische Bewegung hervorgegangen - "Die erste Partei", die ihren multiethnischen Charakter betont. Unter jüngeren Menschen ist auch "Unsere Partei" beliebt, eine sozialliberale Gruppe - doch ihr Erfolg bei den Wahlen am Sonntag wird voraussichtlich nicht sehr groß sein. Von den Protesten profitieren konnten nämlich auch noch die Mitte-Links-Partei "Demokratische Front" und die "Partei für eine bessere Zukunft" des Medienmoguls Fahrudin Radoncic. Letztere richtet sich eindeutig an die Bosniaken, die muslimische Bevölkerung des Landes. Umfragen zeigen, dass die ethnisch ausgerichtete Parteien der Bosniaken, Kroaten und Serben bei den anstehenden Wahlen wieder die meisten Stimmen bekommen können. Viele Kritiker werfen ihnen vor, nationalistische Ressentiments zu schüren, um mehr Stimmen aus den Reihen der eigenen Ethnie zu bekommen.

Teilung der Macht nach dem ethnischen Prinzip

Bosnien-Herzegowina besteht aus zwei sogenannten "Entitäten", also Verwaltungseinheiten, in denen drei sogenannte "konstitutive Völker" gleiche Rechte genießen und über die Geschicke des Landes entscheiden sollen. Diese Strukturen sind im Jahr 1995 durch den Friedensvertrag von Dayton entstanden, der das Ende des blutigen Bosnien-Kriegs markiert. Den Vertretern der bosnischen Serben konnte eine Zustimmung zu diesem Friedensvertrag nur entlockt werden, indem man dem von Serben dominierten Teil des Landes weitgehende Autonomie zugestand. Dies führte zu einer der beiden Entitäten, der sogenannten "Republika Srpska".

Die zweite Entität bildet die sogenannte kroatisch-bosniakische Föderation. Bosniaken sind in diesem Fall die muslimischen Bosnier, während die bosnischen Kroaten mehrheitlich katholisch sind und die bosnischen Serben mehrheitlich serbisch-orthodox. Diese drei Gruppen bilden die sogenannten konstitutiven Völker in Bosnien-Herzegowina: Sie stellen die Mehrheit der Bevölkerung und sollen daher zu gleichen Maßen an der politischen Verwaltung beteiligt werden. Das spiegelt sich in der Institution des dreigliedrigen Präsidiums wider: Nicht nur ein Präsident führt das Land, sondern jeweils einer aus jedem der konstitutiven Völker. Also werden am Sonntag ein bosniakischer, ein serbischer und ein kroatischer Präsident gewählt. Zusätzlich wird in der Entität "Republika Srpska" ein eigener Präsident für diesen serbischen Landesteil gewählt.

Wahlplakate für die Parlamentswahlen in Bosnien-Herzegowina (Foto: DW)
Wahlplakate in Bosnien-HerzegowinaBild: DW/D. Maksimovic

Drei Präsidenten für Bosnien-Herzegowina

Dieser konstitutionelle Wirrwarr, der im bosnischen Volksmund oftmals nur achselzuckend mit "Dejton" (für Dayton) bezeichnet wird, ist das Ergebnis eines historischen Kompromisses. Im Jahr 1995 ging es den Verhandlungsführern, in erster Linie den USA, nur darum, die verfeindeten Gruppen an einen Tisch zu bekommen. Fast zwanzig Jahre später ist in dem Land niemand mehr zufrieden mit "Dejton". Denn dieser Kompromiss ist nicht dazu geeignet, das Land auch für die Zukunft zu wappnen. Ganz im Gegenteil, das Ergebnis der Teilung der Macht nach dem ethnischen Prinzip hat sich als katastrophal für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Landes erwiesen. Aus dem Prinzip der gerechten Teilung der Macht ist das Prinzip der Lähmung der Macht geworden.

Ein Beispiel dafür ist die Anekdote der ehemaligen US-Außenministerin Condoleezza Rice. Sie wollte im Jahr 2005 mit der Staatsführung in Bosnien-Herzegowina über eine Verfassungsreform verhandeln. Zum vereinbarten Gespräch erschien aber nicht ein Präsident des Staates, sondern drei - ein Serbe, ein Kroate und ein Bosniake. In ihren Memoiren schrieb Rice, dass sie jeden der Vertreter mit vollem Namen ansprechen musste und jeder auch seine vorab definierte Redezeit hatte. Aber alle Initiativen, die komplizierte Konstruktion von 1995 zu verbessern, haben nichts gebracht und die politisch-wirtschaftliche Lähmung des Staates besteht weiterhin. Die Korruption grassiert und es gibt kaum Investitionen in die Infrastruktur.

Hilfe für die überfluteten Gebiete bleibt aus

Eine neue Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung, die auch ein Büro in Bosnien-Herzegowina betreibt, stützt diese Diagnose: 64 Prozent der Staatseinnahmen seien demnach 2014 in den Staatsapparat geflossen, "ohne dass dabei eine Straße, eine Schule oder ein Krankenhaus gebaut wäre". Das könne nicht sein, sagt der bosnische Journalist Zoran Catic - und überspitzt absichtlich: "Wenn da 64 Prozent stehen, sind es in Wirklichkeit 94 Prozent der Staatseinnahmen, die den Politikern direkt in die Tasche fließen."

Die Folgen dieses Missverhältnisses bei den Staatsausgaben sieht er jeden Tag. Neben seiner Arbeit als Redakteur für einen Studentensender in Sarajevo leitet er auch Werkstätten für Kinder und Jugendliche, in denen es um die Vermittlung von Medienkompetenzen geht. Er dreht kleine Filme mit ihnen, lässt sie ihre Geschichten erzählen und hilft ihnen, die erlebten Schrecken zu verarbeiten. Denn die Kinder kommen alle aus Gebieten, die am stärksten von den katastrophalen Überflutungen im Mai betroffen waren: "Inzwischen sind Monate seit den Überschwemmungen vergangen, es wurde viel Geld aus dem Ausland für den Wiederaufbau der zerstörten Häuser und Straßen gespendet, aber in vielen Orten wurde einfach nichts getan", kritisiert sagt Zoran Catic. Alleine dies zeige, so der 44-Jährige, dass die bestehenden Strukturen in Bosnien-Herzegowina eine Entwicklung des Landes verhindern würden. Und daran würden auch die Wahlen am Sonntag wahrscheinlich nichts ändern.

Eine überflutete Vorstadt von Sarajewo im Mai 2014 (Reuters)
Verheerende Fluten im Mai: Trotz Spenden wurde zu wenig getan, kritisiert Journalist CaticBild: Reuters/Armed Forces of Bosnia and Herzegovina