Schmecken lernen an der Uni
4. Oktober 2004
Aus der Luft betrachtet, sieht das alles schon sehr eindrucksvoll aus: die Schlösser und Weingüter des Barolo, die hügelige Landschaft 50 Kilometer südlich von Turin, und mitten drin die neueste Universität Italiens, in der sich alles ums Essen dreht. "Es gibt auf der ganzen Welt keine Institution, die sich mit der gesamten Komplexität der Ernährung befasst", erklärt Beat Koelliker. Der Schweizer, der jedes Jahr einen anerkannten deutschsprachigen Weinführer herausgibt, ist einer von 200 Dozenten aus aller Welt, die an der "Universität der gastronomischen Wissenschaften" lehren.
Politische Bürgerbewegung
Die Universität residiert mit ihren 60 Studenten in einem historischen Gebäude, in dem schon die Savoyen-Könige im 19. Jahrhundert eine Art Landwirtschaftsministerium errichtet hatten. Jetzt wurden die neogothische Backsteinkirche und der quadratische Bau für 20 Millionen Euro renoviert - auf Staatskosten. Es handele sich zwar um eine Privatuniversität, doch die Region Piemont habe ein großes Interesse daran, sagt Roberto Burdese, der Vizepräsident von "Slow Food". Die Organisation, die sich als Gegenbewegung zum "Fast Food"-Trend sieht, steckt hinter der Universität.
Es sind keine Snobs, die sich da eben mal eine Privatuniversität leisten. Es geht um mehr: Die Gründer der Genuss-Universität verstehen sich als eine politische Bürgerbewegung, die es mit der Nahrungsmittelindustrie aufnimmt und natürlich vor allem gegen die Gentechnik kämpft; es geht um Philosophie und Wissenschaft, denn, so sagt Carlo Petrinelli, der Gründer von "Slow Food": Es sei erstaunlich, dass das Essen als eine so zentrale Beschäftigung des Menschen bis heute nicht Gegenstand einer akademischen Ausbildung geworden sei.
Einzelstudium des Brotes
Auf dem Unterrichtsplan der Uni stehen Geographie der Weine, Lebensmittelgesetze oder die Geschichte der Gastronomie, Hygiene und Geschmacksbildung, aber auch das Einzelstudium von Nahrungsmitteln wie Brot, Kaffee oder Fischereiwesen. 19.000 Euro kostet das Studium pro Jahr - nicht gerade wenig. Aber darin sind Immatrikulationsgebühren, Unterkunft, Lehrmittel und sogar ein Laptop enthalten. Zweieinhalb Monate dürfen die Studenten jedes Jahr zu Auslandspraktika durch die Welt reisen - von Kalifornien bis Marokko und von Mexiko bis Australien. Nach drei Jahren ist man dann "Diplom-Gastronom", nach 5 Jahren kann man zum "Doktor der Gastronomie" promovieren.
Gekocht wird übrigens nicht an der Universität. Wir wollen keine Köche ausbilden, sondern Ernährungsmanager, Gastronomen, Journalisten, heißt es - Menschen, die Betriebe leiten oder schreiben und damit den Geschmack retten sollen als Bollwerk gegen die amerikanische Invasion.
Die Würde des Nahrungsmittels
Aus 500 Bewerbern wurden die Studenten ausgesucht - es sind nur 60 aus der ganzen Welt. Darunter sind zum Beispiel auch Rechtsanwälte, die ihren Beruf aufgeben haben und ihrer Neigung zur Gastronomie nachkommen wollen. Aber Amateure und Hobby-Gastronomen sucht man nicht im Piemont, sondern harte entschlossene Profis, die sich eine Zukunft aufbauen wollen. Das Thema Ernährung nimmt man an der neuen Uni auf jeden Fall sehr ernst. Schließlich geht es um "die Würde der Nahrungsmittel", wie Dozent Koelliker erklärt.