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Schule: Migranten unter sich

Anna Peters21. Juli 2013

In deutschen Städten ist es Normalität, dass Kinder, je nach ihrer Herkunft, auf unterschiedliche Schulen gehen. Diese soziale Trennung ist für Migranten von Nachteil, zeigt eine aktuelle Studie.

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Eine Schülerin mit Migrantenhintergrund steht an der Tafel - Foto: Waltraud Grubitzsch (dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Der 14-jährige Muhammad aus Berlin-Neukölln gilt als Problemkind. Seine beiden älteren Brüder hängen den ganzen Tag auf der Straße rum. Weil sie nur einen Hauptschulabschluss haben, finden sie keine Arbeit. “Ey, Muhammad, warum gehst du Schule?” fragt ihn sein Bruder Gökan fast jeden Morgen in gebrochenem Deutsch. “Alda, isch muss”, antwortet Muhammad dann genervt. Er hasst seine Schule. Im Unterricht kommt er meistens nicht mit. Oft versteht er die Wörter nicht, die seine Lehrer benutzen. Aber das zuzugeben, ist ihm peinlich. Also schweigt er im Unterricht oder spricht mit seinem Sitznachbarn Ali auf Türkisch.

Muhammad und seine Geschichte sind frei erfunden. Aber Jugendliche wie ihn gibt es überall in Deutschland. Sie wohnen in den Problemvierteln von Köln-Mülheim, Frankfurt-Gallus und Berlin-Neukölln, in Straßen, wo mehr Türkisch als Deutsch gesprochen wird. Viele von ihnen haben das Gefühl, dass sie von ihren Lehrern aufgegeben wurden. Ihre Eltern wissen oft nicht, wie sie helfen sollen. Auf ihren Schulen gibt es kaum deutsche Kinder, denn die gehen lieber auf andere Schulen - weit weg von Stadtvierteln, die von Lokalpolitikern als "soziale Brennpunkte" bezeichnet werden, weit weg von Kindern wie Muhammad.

Lernbedingungen an "Problemschulen" verbessern

Bildungsexperten nennen dieses weitverbreitete Phänomen "Bildungssegregation". Der sperrige Begriff beschreibt nichts anderes als die Trennung von Schülern nach sozialer und ethnischer Herkunft. Während Jungen und Mädchen, die Murrat und Hülja heißen, oft die Hauptschule ihres Stadtviertels besuchen, schicken Eltern von Kindrn mit Namen wie Lukas oder Sophie ihre Kinder meistens auf die besten Schulen der Stadt.

Der Forschungsbereich beim Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration, kurz SVR, hat sich in einer gerade veröffentlichten Studie mit eben dieser Entwicklung genauer beschäftigt. "Schüler in Klassen mit hohem Zuwandereranteil sind überdurchschnittlich oft von schlechteren Lern- und Arbeitsbedingungen betroffen", sagt der Leiter des SVR-Forschungsbereichs, Jan Schneider.

Jan Schneider, Leiter des Forschungsbereichs beim Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) - Foto: David Ausserhofer (SVR)
Forschungsleiter Schneider: "Oft schlechte Lern- und Arbeitsbedingungen"Bild: SVR/David Ausserhofer

Den Wissenschaftlern ging es weniger um die Frage, warum Segregation entsteht, sondern vielmehr darum, wie die Schulen und Behörden mit diesem Phänomen umgehen sollen. Der SVR rät davon ab, die Eltern von Lukas und Sophie durch politische Maßnahmen dazu zu zwingen, ihre Kinder in Schulen zu schicken, die von vielen Migranten-Kindern besucht werden. Denn das würde, so heißt es in der Studie, "erhebliche politische und gesellschaftliche Widerstände" hervorrufen. Also sucht der SVR nach anderen Möglichkeiten, um die Lernbedingungen für die Jungen und Mädchen an den Schulen, die von vielen deutschen Eltern vermieden werden, zu verbessern.

Abitur dank Deutsch-Förderunterricht

Die Bertolt-Brecht-Gesamtschule liegt in einem Viertel von Bonn, das nicht zu den gehobenen Wohngegenden der Stadt gehört. Mehr als ein Drittel der Schüler, die diese Gesamtschule in der ehemaligen Bundeshauptstadt besuchen, haben einen Migrationshintergrund. Einige von ihnen leben noch nicht lange in Deutschland, andere sind hier geboren, sprechen aber Zuhause mit ihren Eltern überwiegend in der Muttersprache.

Bertolt-Brecht-Gesamtschule Bonn - Foto: Bertolt-Brecht-Gesamtschule
Bertolt-Brecht-Gesamtschule in Bonn: Internationale Klassen als FördermaßnahmeBild: Bertolt-Brecht-Gesamtschule

Schulleiter Reinhold Pfeifer legt daher besonders großen Wert auf die sprachliche Förderung seiner Zöglinge. Denn wer Deutsch nicht perfekt beherrscht, schafft es nicht bis zum Abitur, dem höchsten deutschen Schulabschluss. Pfeifer und seine Kollegen fördern ihre Schüler beim Deutschlernen daher schon von Anfang an: "Wir machen das in den Klassen so, dass wir jeweils im Deutschunterricht zwei Kollegen und Kolleginnen einsetzen, die dann einzelne Kinder rausholen und mit diesen dann kleine Lerngruppen bilden. Dabei handelt es sich um Förderunterricht, oder bei guten Schülern um Forderunterricht", erläutert er das Prinzip.

Neben dem speziellen Deutsch-Förderunterricht bietet die Bertolt-Brecht-Gesamtschule auch sogenannte Internationale Klassen an. "Dort kommen Kinder hin, die grob in die Jahrgänge 8 bis 10 kämen. Diese sind aber alle zusammen in der Internationalen Klasse, in der fast kein Kind Deutsch spricht." Sinn dieser separaten Klassen ist es, die Deutschkenntnisse so zu fördern, dass die Schüler nach zwei bis drei Jahren die normalen Regelklassen besuchen können. Damit das Ziel erreicht wird, erhalten die Jungen und Mädchen bis zu zwölf Schulstunden Deutsch in der Woche.

Reinhold Pfeifer - Foto: Bertolt-Brecht-Gesamtschule
Schulleiter Pfeifer: "Die Kinder schaffen das Abitur"Bild: Bertolt-Brecht-Gesamtschule

Die Bildungsexpertin Diana Sahrai lehrt an der Universität Duisburg-Essen und befasst sich ebenfalls mit dem Phänomen der Bildungssegregation. Die besondere sprachliche Förderung, die die Kinder an der Bonner Gesamtschule erhalten, lobt sie als vorbildlich. Dennoch ist Sahrai skeptisch, was den Nutzen separater Klassen für Schüler mit schlechten Deutschkenntnissen angeht: "Wenn solche Klassen beispielsweise länger als ein oder zwei Jahre gehen, dann sind diese Schüler, die alle kein Deutsch sprechen, unter sich und haben keinen Kontakt zu den Schülern, die gut Deutsch sprechen. Dadurch lernen sie die Sprache natürlich weniger."

Der Bonner Schulleiter Reinhold Pfeifer sieht in der phasenweise Trennung der Schüler hingegen keine Nachteile: "Die Kinder sind nachher so gut, dass eine ganze Reihe von denen das Abitur schafft." Für ihn, den Praktiker, ist es das Ergebnis, das zählt.

Einziger Ausweg: Interkulturelle Öffnung

Die Forscher des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration geben den Schulen und Behörden Empfehlungen mit auf den Weg, um die schlechteren Chancen von Kindern an sozialen Brennpunkten nachhaltig zu verbesseren. "Eine Schlüsselrolle spielt die Interkulturelle Öffnung der Schulen", betont Forschungsleiter Schneider. Dabei gehen die SVR-Wissenschaftler davon aus, dass die Schulen und übergeordneten Behörden die kulturelle und soziale Vielfalt der Kinder mehr als Bereicherung, denn als Hemmnisse wahrnehmen sollen.

Konkret heißt es in der Studie zum Beispiel, dass die Lehrer durch Fortbildungsmaßnahmen für die Vielfalt ihrer Schüler sensibilisiert, dass die deutsche Sprache über das Fach Deutsch hinaus gefördert und dass die Zusammenarbeit mit den Eltern durch mehrsprachige Elternabende oder Informationen verbessert werden soll.

Für Jungen wie Muhammad aus unserem Fallbeispiel könnte die Interkulturelle Öffnung ein Schritt in die richtige Richtung sein. Wenn sein Deutsch durch gezielte Förderung besser wird und seine Lehrer neue Wege finden, ihn und seine Eltern gezielter zu erreichen, werden seine Zeugnisse in Zukunft besser aussehen. Und vielleicht schafft er dann doch noch sein Abitur.