Schwarze Flaggen über Mindanao
2. Juni 2017Julie Bishop gilt als moderate liberale Politikerin und schlägt normalerweise sachlich-nüchterne Töne an. Umso mehr ließ Australiens Außenministerin im März 2017 aufhorchen, als sie erklärte, dass Australien sich auf "ein mögliches IS-Kalifat im Süden der Philippinen" vorbereite. "Rund 600 südostasiatische IS-Kämpfer", erklärte sie in einem Fernsehinterview mit dem australischen Sender Sky News, "sind im Irak und Syrien aktiv, einige von ihnen sind bereits nach Südostasien zurückgekehrt." Isnilon Hapilon, Anführer der philippinischen Abu-Sayyaf-Gruppe und meistgesuchter Terrorist der Philippinen, sei vom IS zum "Emir aller philippinischen IS-Kämpfer" ernannt worden, so Bishop weiter. "Dies bringt die Bedrohung direkt vor unsere Haustür."
Die jüngsten Entwicklungen auf der südphilippinischen Insel Mindanao scheinen Bishops Mahnungen zu bestätigen. In Marawi, einer Stadt mit rund 200.000 Einwohnern, liefern sich Islamisten, die sich zum IS bekennen, seit einer Woche Feuergefechte mit philippinischen Sicherheitskräften. Offiziellen Angaben zufolge wurden dabei mehr als hundert Menschen getötet. Nur mit viel Mühe bekommen die philippinischen Sicherheitskräfte die Lage wieder halbwegs in den Griff.
Gefahr wurde lange heruntergespielt
Die jüngsten Ereignisse auf Mindanao hätten die Regierung in Manila aufgeschreckt, sagt Felix Heiduk, der gerade erst von den Philippinen nach Deutschland zurückgekehrt ist. "Für Armee und Regierung waren die dort kämpfenden Extremisten bislang nur ein paar lokale Banditen, die noch nie den Koran gelesen haben, aber mit ein paar selbstgebastelten schwarzen Fahnen eine Art IS-Trittbrettfahrerei betreiben", so der Südostasienexperte der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Die Gefahren seien lange heruntergespielt worden, auch weil die Regierung mit den drei zahlenmäßig deutlich stärkeren Rebellengruppen auf Mindanao, den islamischen Gruppen MILF und MNLF sowie der kommunistischen New People's Army, in mehr oder weniger weit fortgeschrittenen Friedensgesprächen steckt. "Seit Ausbruch der Gefechte in Marawi nimmt man die Gefahr aber deutlich ernster", das zeige nicht zuletzt die Verhängung des Kriegsrechts durch Präsident Duterte.
Dschihadistischer Strategiewechsel
Zu Recht, findet SWP-Experte Heiduk. Denn in den letzten zwei Jahren lasse sich bei einigen islamistischen Milizen ein klarer Strategiewechsel beobachten, so etwa bei der Maute-Gruppe oder bei Teilen der Abu Sayyaf. Das gelte nicht nur für die Rhetorik dieser Gruppen, die sich klar die IS-Ideologie zu eigen gemacht hätten und mittlerweile auch über offizielle Sprachkanäle des IS kommunizieren. "Die Gruppen, die sich dem IS angeschlossen haben, unternehmen seitdem auch keinerlei Entführungen mehr, sondern treten immer mehr als klassische Guerilla auf. Durch Überfälle, Bombenanschläge und militärische Auseinandersetzungen versuchen sie viel stärker als zuvor, das Gewaltmonopol des philippinischen Staates offensiv in Frage zu stellen."
Bereits im November 2016 hatten rund 300 Kämpfer vier Tage lang die ebenfalls auf Mindanao liegende Kleinstadt Butig besetzt und die schwarze IS-Flagge über dem Rathaus gehisst. Jetzt lasse sich eine ähnliche Vorgehensweise in Marawi erkennen. "Warum sollten Banditen, die nur an Geld interessiert sind, versuchen, eine 200.000-Einwohner-Stadt einzunehmen, und das gegen eine viel größere militärische Übermacht?", fragt Felix Heiduk. "Das macht nur Sinn, wenn man tatsächlich versucht, Territorium zu erobern und dort parastaatliche Strukturen aufzubauen, so wie es der IS auch in Syrien und Irak getan hat." Dabei helfen den militanten Gruppen auch immer mehr ausländische Dschihadisten. "Neu ist, dass sich die lokalen Gruppen gezielt für internationale Kämpfer öffnen. Bei den Gruppen, die jetzt unter IS-Fahne kämpfen, und auch unter den jetzt in Marawi getöteten Extremisten, sind viele Saudis, Jemeniten, Indonesier, Malaysier oder Singapuris", so Heiduk.
Südostasien im Fokus des IS
Angeführt werden die Gruppen mittlerweile von Isnilon Hapilon. Hapilon ist ein Islamistenprediger mit philippinischem Universitätsabschluss, der schon in den 1990er Jahren für die Moro National Liberation Front (MNLF) aktiv war, eine Rebellengruppe, die für die Unabhängigkeit Mindanaos von den Philippinen kämpfte. Später stieg er in der Befehlskette der islamistischen Abu Sayyaf bis zu einem ihrer Anführer auf. Hapilon steht seit über zehn Jahren auf der FBI-Liste der weltweit meistgesuchten Terroristen. Unter anderem soll er für den Anschlag auf eine Fähre in der Bucht von Manila verantwortlich sein, bei der 2004 116 Menschen ums Leben kamen. Die USA haben auf Hapilon ein Kopfgeld von fünf Millionen Dollar ausgesetzt. Er hat dem IS die Treue geschworen und ist auch aus Raqqa offiziell zum Emir über die südlichen Philippinen ernannt worden. "Wie weit die Verbindungen gehen, ob Hapilon operativ von außen gelenkt wird, ob der IS in Syrien und Irak aktiv bei der Rekrutierung von Kämpfern für Mindanao hilft, oder ob Geld zum Aufbau von IS-Strukturen auf den Philippinen geflossen ist, darüber gibt es nur Mutmaßungen", so Heiduk. "Aber dass es Verbindungen des IS nach Mindanao gibt, wurde schon offiziell bestätigt."
Kämpfer mit transnationalen Verbindungen
Und das nicht nur nach Mindanao. Auch die Nachbarländer Indonesien und Malaysia wappnen sich für eine immer größer werdende Bedrohung durch militante IS-Anhänger. "Dass die lokalen philippinischen Gruppen jetzt in die Nachbarländer expandieren, glaube ich eher nicht", sagt SWP-Experte Heiduk. Bisher sei es eher umgekehrt der Fall gewesen, dass die IS-Gruppen auf Mindanao aufgrund ihrer spektakulären Aktionen Kämpfer aus den Nachbarländern angezogen hätten. "Dass diese Kämpfer aber aufgrund des hohen Verfolgungsdrucks zurückkehren - mit den entsprechenden Kenntnissen, mit einer womöglich noch radikaleren Weltanschauung und einem Netzwerk nach Mindanao, - das ist jetzt schon zu beobachten", so Heiduk. Die Regierung in Jakarta hat bereits Truppen im Norden der Insel Sulawesi zusammengezogen, weil sie ein Einsickern indonesischer Kämpfer von Mindanao aus befürchtet. Auf Sulawesi sind IS-Anhänger schon länger aktiv, in der Gegend um Poso hat einer der meistgesuchten Terroristen Indonesiens namens Santoso bis zu seiner Tötung durch indonesische Sicherheitskräfte im Juli 2016 jahrelang Trainingscamps für islamistische Extremisten unterhalten. Und auch Malaysias östlichste Provinz Sabah gilt immer mehr als Rückzugsraum.
Verschärft werden diese Entwicklungen noch durch die militärischen Erfolge der internationalen Koalition gegen den IS im Irak und in Syrien. Denn, davor warnte auch Australiens Außenministerin Bishop noch einmal deutlich, je mehr der IS dort militärisch in die Defensive gerate, desto größer werde auch die Gefahr durch heimkehrende südostasiatische IS-Kämpfer. "Das ist auch der Grund, warum wir geheimdienstlich so eng mit Indonesien, Malaysia und den Philippinen zusammenarbeiten. Australien ist vorbereitet", versichert Bishop. "Wir haben unsere Sicherheitskräfte und Geheimdienste mit allen Ressourcen ausgestattet, die sie brauchen, um die terroristische Bedrohung in unserer Region auszulöschen.”
Auf den Philippinen selbst ist man davon jedoch noch weit weg. "Denn trotz aller Verbindungen zum IS: Der Kern der jetzigen Aufstandsbewegung ist zunächst einmal lokaler Natur. Und das sind auch die Antreiber für die Radikalisierung: Armut, Perspektivlosigkeit, ein seit 30 Jahren dauernder Bürgerkrieg", so Heiduk. "Der IS verfängt dort am besten, wo er sich an lokale Aufstandsbewegungen anhängen kann", sagt der SWP-Experte. "Und solange der grundlegende Konflikt auf Mindanao nicht gelöst ist, wird auch der IS dort weiter an Boden gewinnen."