Schwellenländer unter Druck
29. Januar 2014Die Schwellenländer, zur Zeit der globalen Finanzkrise die Hoffnungsträger der westlichen Welt, machen turbulente Zeiten durch. Als die westlichen Notenbanken in der Finanzkrise die Zinsen gegen Null senkten, wurden sie mit Anlagekapital aus den Industrieländern förmlich überschüttet, denn hier gab es hohe Wachstumsraten und vergleichsweise hohe Zinsen. Doch seitdem die US-Notenbank Fed den Einstieg in den Ausstieg der ultralockeren Geldpolitik erprobt, ziehen Investoren und institutionelle Anleger Milliardenbeträge aus den Schwellenländern ab - in der Hoffnung, daheim wieder höhere Renditen zu erzielen - bei geringerem Risiko.
"Die jetzige Entwicklung erklärt, warum die Finanzminister der Schwellenländer damals gesagt haben, wir wollen diese große Liquidität nicht" sagt Günter Beck, Professor am Lehrstuhl Europäische Makroökonomische Studien an der Universität Siegen. "Weil dieses Anlagekapital zwar erst zu einer positiven wirtschaftlichen Entwicklung führt, dann aber auch zu einer Überhitzung. Und damit ist die Abkühlung quasi vorprogrammiert", so Beck zur DW.
Wirtschaft in Unordnung
Tatsächlich haben beide Kapitalbewegungen - Zufluss in der Krise, Abfluss nach der Krise - den Schwellenländern nicht besonders gut getan. Der massive Kapitalzufluss zu Zeiten der globalen Finanzkrise hatte zum Beispiel den brasilianischen Finanzminister Guido Mantega so in Rage gebracht, dass er von einem "Währungskrieg" sprach: Die hyper-lockere Geldpolitik der Fed mit ihren Nullzinsen spüle spekulatives Anlagegeld nach Brasilien, treibe Zinsen und Wechselkurse nach oben, drohe, gefährliche Preisblasen zu schaffen und bringe letztlich die gesamte Volkswirtschaft in Unordnung.
Jeder Finanz- und jeder Wirtschaftsminister versucht, ausländisches Kapital und ausländische Investitionen in sein Land zu locken. Doch auf die Dosis kommt es an. Was in normalen Zeiten für Wachstum und Arbeitsplätze sorgt, kann zum Problem werden, wenn in kurzer Zeit so viel Liquidität in ein Land strömt, dass sie nicht mehr absorbiert werden kann. "Zu viel, in zu kurzer Zeit - das bedeutet, dass es zu unangemessenen Allokationen dieses Kapitals kommt - sprich zu einer Überhitzung und zu möglichen Krisen", so Günter Beck.
Währungen unter Abwertungsdruck
Doch genauso, wie die Währungen der Schwellenländer seinerzeit unter massiven Aufwertungsdruck gerieten, befinden sie sich jetzt im freien Fall - weil zu viel Kapital in zu kurzer Zeit abfließt. So hat die argentinische Zentralbank bereits aufgegeben und ihre Stützungskäufe eingestellt, worauf der Peso am vergangenen Donnerstag mit einem 20prozentigen Kurseinbruch reagierte.
Unter besonders starken Verkaufsdruck gerieten vor allem die Währungen derjenigen Länder, die von ausländischem Kapital besonders abhängig sind - wie die Türkei. Aber auch der russische Rubel, der südafrikanische Rand, der brasilianische Real oder mexikanischer Peso verloren massiv - und notieren inzwischen auf dem tiefsten Stand seit Jahren.
Zu viel in zu kurzer Zeit
Begonnen hat der Exodus des ausländischen Kapitals bereits im Mai vergangenen Jahres, als der damalige US-Notenbankchef Ben Bernanke vor dem Kongress die Möglichkeit des "Tapering" andeutete, des schrittweisen Rückzugs aus der ultralockeren Geldpolitik der Fed. "Es ist grundsätzlich sehr, sehr schwer, diese Politik zurückzunehmen. Es ist meines Erachtens auch nicht ratsam, das in einer Krisensituation zu tun. Es ist aber aus meiner Sicht für die langfristige Stabilität von zentraler Bedeutung", sagt Günter Beck von der Uni Siegen. Denn Fachleute sind sich einig, dass eine zu lange betriebene Politik des billigen Geldes neue Preis- und Vermögensblasen heraufbeschwören kann.
Grau ist alle Theorie
Doch nun sieht man, dass auch der Ausstieg aus dieser Politik nicht schmerzfrei verläuft. "Schmerzen sind fast nicht vermeidbar", sagt Beck. Die Politik des billigen Geldes habe durchaus positive Effekte gehabt. Eine Umkehrung der Politik hieße aber auch, dass sich ihre Effekte umkehren. "Die Politik muss in Kauf nehmen, dass es reale negative Effekte gibt, wenn sie umschwenkt."
Langfristig, so Professor Beck von der Uni Siegen, werde es immer zu Zielkonflikten kommen, wenn eine Notenbank nicht nur dem Ziel der Geldwertstabilität verpflichtet ist, sondern auch für Wachstum und Arbeitsplätze sorgen soll, wie es der amerikanischen Fed auferlegt ist.
Die Europäische Zentralbank ist da - zumindest theoretisch - in einer komfortableren Lage. Denn sie braucht sich auf dem Papier nur um einen stabilen Euro zu kümmern und nichts anderes. "Eine Zentralbankpolitik sollte so aufgestellt sein, dass sie sich grundsätzlich nicht der realen Wirtschaft verpflichtet fühlt in dem Sinne, dass sie die Feinsteuerung der realen Wirtschaft zur Zielsetzung hat", so Beck zur DW. Aber grau ist alle Theorie. Denn gefragt, ob er anders gehandelt hätte als Ben Bernanke oder EZB-Chef Mario Draghi, kommt ein Schulterzucken, und die Antwort: "Vermutlich nicht."