Ukraine vor Reformen
10. Februar 2010Der Sieger der Präsidentschaftswahl in der Ukraine, Viktor Janukowitsch, muss zahlreiche innenpolitische und wirtschaftliche Probleme des Landes in den Griff bekommen, erklärte Heike Dörrenbächer, Leiterin des Kiewer Büros der Friedrich-Naumann-Stiftung. Dabei handele es sich um Reformen, die eigentlich schon dessen Vorgänger Viktor Juschtschenko vor fünf Jahren hätte umsetzen müssen.
Versprochen habe Janukowitsch vor der Wahl unter anderem, die Sozialsysteme zu reformieren und die Löhne zu stabilisieren. Ob er aber in der Lage sein wird, seine Wahlversprechen auch einzulösen, bezweifelt Dörrenbächer im Gespräch mit der Deutschen Welle: "All diese Versprechungen der Erhöhung des Mindestlohnes und der Sozialstandards können aus der Staatskasse nicht finanziert werden." Auch sei es nicht möglich, die Öl- und Gaspreise zu senken, wie es Janukowitsch im Wahlkampf versprochen hatte.
Präsident braucht Parlament
Dörrenbächer weist darauf hin, dass die sozialpolitischen Themen auch nicht in der Kompetenz des Präsidenten liegen. Er habe die Oberhoheit in der Außen- und Sicherheitspolitik, aber nicht bei den Wirtschaftsreformen. In diesen Fragen müsse der künftige Präsident mit dem Parlament und der Koalitionsregierung zusammenarbeiten.
Diese wird aber von Premierministerin Julia Timoschenko geführt, Janukowitschs Rivalin in der Stichwahl ums Präsidentenamt. Deshalb könnte Janukowitsch versuchen "Julia Timoschenko so schnell wie möglich loszuwerden als Premierministerin", vermutet Dörrenbächer.
Dass der neue Präsident für bestimmte Gesetzesvorhaben im bestehenden Parlament Mehrheiten finden kann, hält die Expertin für möglich. Ob es Janukowitsch aber schnell gelingen wird, eine neue Koalition unter Beteiligung seiner Partei der Regionen zu bilden, ist fraglich.
Dazu bräuchte Janukowitsch die Stimmen der Partei des derzeitigen Parlamentspräsidenten "Block von Volodymyr Lytwyn", der Kommunisten sowie der Juschtschenko-Fraktion "Unsere Ukraine". Die spannendste Frage dabei sei, ob die Fraktion des scheidenden Präsidenten zu einem Koalitionsvertrag mit dem ehemaligen politischen Erzfeind bereit wäre, so Dörrenbächer.
Neue Konflikte drohen
Neue Koalitionsverhandlungen könnten sich langwierig gestalten und zu neuen Konflikten führen. Gerade diese gelte es aber zu vermeiden, meint Rebecca Harms von der Fraktion der Grünen im Europäischen Parlament. Sie hatte in der Ukraine die Wahl beobachtet: "Die Ukraine ist in einer sehr schwierigen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen Situation, und dieses Land braucht Stabilität und gute verantwortungsvolle Politik und Führung und nicht neue Auseinandersetzungen."
Weitere Konflikte zwischen den beiden konkurrierenden Blöcken der Kandidaten seien schlecht, so Harms. Die ukrainischen Bürger wünschten sich keine neue Revolution, sondern einfach eine bessere Politik im Interesse der Bürger.
Kontinuität der EU-Politik
Dass die Ukraine in einer schwierigen Lage ist und Stabilität braucht, meint auch der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag Gernot Erler. Nach wie vor gebe es Spannungen zwischen dem Osten und Westen des Landes, meint der ehemalige Staatssekretär im Auswärtigen Amt. Auch das Wahlergebnis habe noch einmal diese politische Teilung bestätigt: "Janukowitsch hat sehr gute Ergebnisse im Osten des Landes, im Donezk-Becken bekommen – in seiner politischen, aber auch persönlichen Heimat." Andererseits habe er in der Zentralukraine und in der Westukraine praktisch nirgends mehr Stimmen bekommen als seine Rivalin Timoschenko, so Erler im Gespräch mit der Deutschen Welle.
Wenn Janukowitsch das Land aus der politischen Dauerkrise herausführen wolle, müsse er versuchen, ein Präsident der ganzen Ukraine zu werden und die auseinanderstrebenden Interessen der verschiedenen Landesteile politisch zusammenzuführen. Hinzu komme, dass die Ukraine sehr stark von der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise betroffen sei. So sei 2009 die Produktion um annähernd 15 Prozent eingebrochen. "Die Ukraine braucht starke Partner in dieser Situation. Deswegen ist es klug, eine Kontinuität der EU-Politik zu verfolgen. Das heißt: Eine ausgestreckte Hand, was die Zusammenarbeit angeht und Hilfen bei der Annäherung der Ukraine über Reformen an die europäischen Standards", so Erler.
Autor: Markian Ostaptschuk
Die Gespräche führten Nikita Jolkver, Natalia Nedelko, Eugen Theise
Redaktion: Fabian Schmidt